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Panorama: Die einst als heißblütig geltenden Spanier gehen erst mit Anfang 30 eigene Wege

Felipe packt demnächst seine Koffer. Zieht aus.

Felipe packt demnächst seine Koffer. Zieht aus. "Er hat es satt, bei Mama und Papa zu wohnen", erzählen seine Freunde. Will seine eigenen vier Wände haben. Sich ohne Kontrolle der Eltern verabreden.Endlich. Wenn auch spät. Felipe ist 32. Doch irgendwo immer noch Kind mit Anzug und Krawatte. Jurastudium abgeschlossen, trotzdem speist er bis heute an Vaters Tisch. "Keine Heirat, kein eigenes Heim" - das Lebensmotto der spanischen Jugend. Extremfall? Nein: Normalfall.

Spaniens Jugend ist die älteste ganz Europas. Wird nur langsam erwachsen. "Eine Generation von Spätzündern", kalauert ein Radiokommentator. Die jungen Männer sind Muttersöhnchen, die jungen Frauen Nesthäkchen. In Nordeuropa geht der Nachwuchs mit 20. In Spanien frühestens mit 30. Nicht revolutionär, aber bequem und billig. Langzeiturlaub im "Hotel Mama und Papa".

Insofern ist Felipe echtes Mittelmaß. Prototyp der kommenden Generation der Söhne und Töchter. Typischer Nesthocker. Auch wenn alles andere an dem Burschen untypisch ist. Mit 1,97 ist er gute 20 Zentimeter mehr größer als der Durchschnittsspanier. Er hat Geld, einen interessanten Job, fährt einen schicken Wagen. Überall wird ihm der rote Teppich ausgerollt und die Welt liegt ihm zu Füßen. Die Rede ist vom Kronprinz Felipe - dem Mann, der einmal Spaniens König sein wird .

Miguel hingegen ist auf allen Ebenen ein typischer Vertreter der jungen Generation. Nicht wirklich arm, nicht wirklich arbeitslos, ziemlich aussichtslos, aber nicht mutlos. Politik steht am unteren Ende seiner Interessenskala, genauso wie Religion. Ganz oben auf der Hitliste: Freizeit, Freunde, Fitness und Konsum.

Sex? Nur mit Präservativ. Oder besser gar nicht. Enthaltsamkeit ist in, Sex ist out. Doch wo bleibt die heißblütige spanische Jugend? "Ich möchte meine Jungfräulichkeit bewahren." "Ich will nicht schwanger werden." "Ich habe Angst vor Aids." Das waren die häufigsten Antworten der bis 20jährigen Frauen auf die Frage nach ihrer Verweigerung. Nirgendwo gehen die Heranwachsenden so spät und so selten miteinander ins Bett wie in Spanien. Adiós, sexuelle Befreiung.

Miguel bleibt bei diesem Thema stumm. Über Sex spricht man nicht, höchstens in zotigen Witzen. Und mit dem Sex stirbt der Kinderwunsch.

"Die Schwierigkeiten, ein Kind aufzuziehen, sind außerordentlich", sagt Celia Valiente, Soziologin an der Uni Madrid. "Es gibt kaum staatliche Hilfen." Zu wenig billige Wohnungen für junge Familien. Außerdem: "Den Männern und Frauen von heute mangelt es an einer fundamentalen Sache, um Kinder großzuziehen: Zeit." Wenn Spaniens Nachwuchs Familien gründet, dann ohne Kinder oder nur mit einem. Zwei sind schon die Ausnahme. Der Durchschnitt liegt genau bei 1,07 - das ist die niedrigste Geburtenrate der Welt. Wenn sich das Paarungsverhalten nicht ändert, muss, mittelfristig, ausländische Hilfe her: Das Land braucht 300 000 Einwanderer, errechneten Bevölkerungswissenschaftler, um Wirtschaft und Sozialsystem in Gang zu halten.

Doch statt zu viel, gibt es derzeit noch zu wenig Arbeitsplätze. 28 Prozent der jungen Menschen sind ohne Arbeit. Spanien ist europäisches Schlusslicht, behauptet jene Statistik, die per staatliche Umfrage ("Suchen Sie Arbeit?") zustande kommt und eigentlich Rebellionen auslösen müßte. Doch das Heer der Jungarbeitslosen bleibt ruhig.

Bei den Arbeitsämtern, die finanzielle Stütze, Jobs und Weiterbildung verteilen, melden sich nur 11 Prozent der arbeitsfähigen Jungen als joblos. Hier liest sich ebenfalls die allgemeine Rate der Beschäftigungslosen weniger dramatisch: 16 Prozent (Umfragewert) schmelzen zu 10 zusammen. Fast europäischer Durchschnitt.

Der Traum vom großen Job, möglichst gleich in der ersten Reihe, ist einer der Gründe, warum viele Junge zunächst mal auf der Straße landen. "Unflexibel, wenig mobil", klagen Arbeitsvermittler. Zwei Drittel der spanischen Schulabgänger wollen studieren, Handwerker und Facharbeiter fehlen. Bau, Landwirtschaft und Tourismus suchen händeringend Helfer.

"Keine Ahnung, keine Praxis, wenn sie von der Uni kommen, aber sie wollen gleich das dicke Einkommen", schimpft eine sevillanische Unternehmensberaterin. Die Personalchefs nutzen die Schieflage gnadenlos aus: Kleine Einkommen, jederzeit kündbare Zeitverträge. Spaniens Arbeitgebern geht es gut, den Arbeitnehmern - und erst recht den jungen - weniger.

Doch Miguel jammert nicht. Ein Lebenskünstler, wie so viele hier unter der andalusischen Sonne. "Warum soll man sich das Leben unnötig schwer machen", philosophiert er munter. Ein Piepsen unterbricht ihn. Über das Display seines Mobiltelefons blitzt eine Botschaft. "Meine Freundin Paula", sagt er grinsend. "Sie will mich treffen." In der Tapa-Bar "Giralda". Gleich neben dem "Alcazar", Sevillas Königspalast. In dem auch Prinz Felipe, Spaniens prominenteser junger Mann und künftiger König, gerne absteigt. "Viva el rey - viva la vida", mailt Miguel an Paula zurück, "Es lebe der König - und das Leben." Startet seinen Motorroller und gibt Gas.

Ralph Schulze

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