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Panorama: Die Insel für Reiche

In Manhattan wurde ein ganzes Stadtviertel verkauft. Für 5,4 Milliarden Dollar. In der Stadt explodieren Mieten und Preise

Auf den ersten Blick sieht die Gegend nicht gerade aus wie ein Paradies: Gesichtslose rote Backsteinklötze ragen in den Himmel von Manhattan, dicht an dicht in den Boden gepflanzt, die Fenster gewähren direkten Einblick in Nachbars Küche, Wohn- oder Schlafzimmer. Die Treppenhäuser wirken, wie man sich das von sozialen Wohnungsbauten vorstellt, abwaschbare Farbe, Neonlicht, immerhin sind sie relativ sauber – für New Yorker Verhältnisse. Die beiden Komplexe Stuyvesant Town und Peter Cooper Village erstrecken sich von der 14. bis zur 23. Straße an der Lower Eastside von Manhattan, 25 000 Menschen leben dort in 11 232 Wohneinheiten, fast Dreiviertel davon mit subventionierten Mieten, 50 Prozent und mehr unter Marktniveau. Das macht die Gegend zur letzten Bastion einer Art „Mittelschicht“ auf der Luxusinsel, eine Nische für Lehrer, Busfahrer, Polizeibeamte, Krankenschwestern, Künstler. Bis jetzt. Denn Anfang dieser Woche unterzeichnete der Lebensversicherer MetLife, der den größten zusammenhängenden Wohnkomplex Manhattans besitzt, einen Vertrag mit der Firma Tishman Speyer. Kaufpreis: 5,4 Milliarden Dollar.

Es ist einer der größten und spektakulärsten Immobiliendeals der Welt. Mehr als ein halbes Dutzend anderer Firmen hatten um das Filetstück in der New Yorker Immobilienlandschaft mitgeboten, darunter auch eine Gemeinschaft von Tausenden Mietern. Doch mit dem weltweit operierenden Immobilien-Mogul Jerry I. Speyer, der unter anderem in Berlin den neuen Hauptbahnhof und das Sony-Center entwickelte, in Frankfurt den Opern- und den Messeturm, konnte niemand mithalten. Nun befürchten die Mieter, dass ihre Wohnungen in Luxus-Unterkünfte umgewandelt und verkauft werden. Wie sonst käme Speyer auf seine Kosten, fragen sie sich, schließlich bezahlte er pro Wohnung rund 450 000 Dollar. Der neue Besitzer bemühte sich sogleich, die Bedenken zu zerstreuen: „Wir wollen eng mit den Bewohnern, ihren Delegierten und den Vorsitzenden der Kieze zusammenarbeiten“, sagte Speyer, „wir wollen ihre dynamische und bunte Zukunft sicherstellen.“ Das Problem ist nur, dass sich mit den künstlich regulierten Mieten kein Geld verdienen lässt. Für eine Drei-Zimmer-Wohnung müssen langjährige Stuyvesant-Bewohner weniger als 2000 Dollar auf den Tisch blättern, ihre Nachbarn auf dem freien Wohnungsmarkt sind froh, wenn sie eine vergleichbare für 5000 Dollar im Monat finden. Die Quadratmeterpreise in Manhattan sind in den vergangenen fünf Jahren um bis zu 90 Prozent gestiegen. Wer nicht kaufen kann, muss für die Miete nicht selten bis zu 100 000 Dollar im Jahr auf den Tisch legen, um in einer guten Gegend zu leben. Kein Wunder, dass sich das kaum noch jemand leisten kann. 57 Prozent der Bewohner Manhattans sind inzwischen Akademiker, hat die jüngste demografische Erhebung ergeben. Sie müssen 138 Prozent mehr verdienen als der Landesdurchschnitt, um sich einen vergleichbaren Lebensstandard zu leisten.

Wenn jetzt sogar ein wenig attraktives Sozialwohnungsviertel zum Gegenstand der Spekulation wird, in der Hoffnung, dass dort Besserverdienende einziehen wollen, dann wird deutlich, dass die Entwicklung weiter anhalten wird.

Ihre Chauffeure, Putzhilfen, Kinderfrauen und Sekretärinnen haben wegen des Kostendrucks Manhattan längst verlassen und sind in die angrenzenden Stadtbezirke gezogen. Selbst das East Village, einst ein Hort von Künstlern und Aussteigern, wandelt sich so immer mehr zum Spielplatz der Begüterten. Und auch an der Peripherie steigen die Kosten rasant, in den guten Gegenden Brooklyns sind Dreizimmerwohnungen für weniger als 2500 Dollar längst nicht mehr zu haben.

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