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Panorama: Die käuflichen Damen organisieren sich

In Venezuela wollen die Prostituierten eine Gewerkschaft gründenVON SALVADOR BRACHO CARACAS.Ein Aufschei ging durch Venezuela, als die Prostituierten des Landes verkündete, eine Gewerkschaft gründen zu wollen: Ende vergangenen Jahres beantragte die Selbsthilfeorganisation AMBAR (Asociacion de Mujeres por el Bienestar y la Ayuda Reciproca) beim Arbeitsministerium die Anerkennung als offizielle Arbeitsvertretung, bis Ende März muß das Ministerium über das Anliegen entscheiden - und damit die Frage beantworten, ob die über 300 000 "Sexarbeiterinnen" Venezuelas ein Recht auf legale Arbeitsvertretungen haben.

In Venezuela wollen die Prostituierten eine Gewerkschaft gründenVON SALVADOR BRACHO CARACAS.Ein Aufschei ging durch Venezuela, als die Prostituierten des Landes verkündete, eine Gewerkschaft gründen zu wollen: Ende vergangenen Jahres beantragte die Selbsthilfeorganisation AMBAR (Asociacion de Mujeres por el Bienestar y la Ayuda Reciproca) beim Arbeitsministerium die Anerkennung als offizielle Arbeitsvertretung, bis Ende März muß das Ministerium über das Anliegen entscheiden - und damit die Frage beantworten, ob die über 300 000 "Sexarbeiterinnen" Venezuelas ein Recht auf legale Arbeitsvertretungen haben.Ziel der Gewerkschaft ist es, die Sexarbeit zu organisieren und damit sicherzustellen, daß Prostituierte die gleichen Arbeitsrechte haben wie jede andere Erwerbstätige auch, erklärt Nury Pernia.Sie ist seit zehn Jahren im Gewerbe und war 1995 Mitbegründerin von AMBAR.Zu diesen Rechten gehöre ein legales Arbeitsverhältnis, das Anrecht auf Versicherungen und Gesundheitsversorgung sowie der Zugang zu staatlichen Kindergärten und Sozialleistungen, ergänzt Pernia.Die Gewerkschaft namens UNTRASEX soll vorerst nur in der Hauptstadt Caracas tätig sein und die Interessen von der dort arbeitenden 25 000 Sexarbeiterinnen wahrnehmen.Kaum hatte AMBAR ihre Pläne öffentlich gemacht, sahen sich die Initiatoren scharfer Kritik ausgesetzt: Von konservativer und kirchlicher Seite wie auch von Frauengruppen kamen moralische Vorhaltungen, vom Staat formale Einwände.So erklärte das Arbeitsministerium zunächst, daß die Hälfte der 150 Unterschriften, die die Gewerkschaftsgründung unterstützen, ungültig seien.Die Debatte in den Medien hat das ursprüngliche Anliegen längst aus den Augen verloren, klagen die Mitarbeiterinnen von AMBAR: Nämlich Menschen- und Arbeitsrechte auch für diejenigen, die im gern tabuisierten Sexgewerbe arbeiten.Auf dem lateinamerikanischen Kontinent gibt es nur in Uruguay eine Gewerkschaft für Sexarbeiterinnen.Seit Mai 1996 vertritt die AMEPU (Asociacion de Meretrices Profesionales del Uruguay) in Montevideo die Prostituierten als eingetragene Gewerkschaft.In Venezuela ist Prostitution einem Gesetz aus den 40er Jahren zufolge illegal.Paradoxerweise jedoch ist es das Arbeitsministerium, das Lizenzen für Bordelle vergibt, und das Gesundheitsamt ist für die Registrierung aller Sexarbeiterinnen zuständig.AMBAR, finanziell von der EU und unabhängigen medizinischen Einrichtungen in Europa unterstützt, widmet sich unter anderem der Aidsprävention und Gesundheitsprogrammen.Darüber hinaus setzt sich die Nichtregierungsorganisation für die Menschen- und Bürgerrechte ihrer Klientel ein und kämpft gegen die Doppelmoral in der venezolanischen Gesellschaft.Die Mehrheit der venezolanischen Frauen, die Sexarbeit leisten, macht dies aus ökonomischen Gründen, weiß Pernia."Das ist natürlich nichts erfreuliches, aber eine Tatsache.Deswegen wollen wir, daß eine solche persönliche Entscheidung respektiert wird." Eine aktive Gegnerin der Gewerkschaftsgründung ist Zoraida Ramirez, die lateinamerikanische Repräsentantin der "Koalition gegen Frauenhandel"."Vorschläge, die Prostitution zu regulieren oder gewerkschaftlich zu legitimieren, sind immer nur im Interesse der transnationalen Sexindustrie", macht Ramirez geltend.Ein Recht auf Prostitution könne nicht existieren, es verletze die Würde der Frauen und habe nur noch mehr sexuelle Ausbeutung zur Folge.Ramirez plädiert dafür, Sexarbeiterinnen in "das normale Leben wieder einzugliedern".Sie ist federführend in der öffentlichen Kampagne gegen AMBAR und bat in einen offenen Brief den Präsidenten Rafael Caldera, einen 82jährigen Christdemokraten, in dem Fall zu intervenieren.Die Gewerkschaften halten sich bislang bedeckt.Carlos Navarro, Generalsekretär des Dachverbandes der Arbeiter Venezuelas (CTV) erklärte unverbindlich, das Anliegen der Prostituierten auf gewerkschaftliche Organisierung sei "komplex und schwierig"."Dieser Sektor ist bei uns nicht organisiert, da die Lösung des Problems nicht im Umgang damit, sondern in den Ursachen liegt," ergänzt er vielsagend.Inoffiziellen Aussagen zufolge ist die größte Arbeitervertretung des südamerikanischen Landes aber nicht bereit, UNTRASEX nach einer möglichen Gründung in den Verband aufzunehmen.Aller Augen richten sich nun das Ministerium für Arbeit, das schließlich die Entscheidung treffen muß.Noch im Juli vergangenen Jahres hatte ein Sprecher erklärt, daß in Venezuela die "gewerkschaftlichen Rechte allen Arbeitern ohne Ausnahme zustehen".Inzwischen ist es jedoch keine arbeitsrechtliche, vielmehr eine moralische Entscheidung, die getroffen werden muß.Pernia, die schon an mehreren internationalen Kongressen der Prostituiertenbewegung teilnahm, erklärt die Aufregung über den Gewerkschaftsantrag mit der "Doppelzüngigkeit" in der venezolanischen Gesellschaft.De facto sei die Prostitution nicht verboten, nur das Thema sei ein Tabu.Nur deswegen sei es möglich, daß Sexarbeiterinnen immer wieder von der Polizei verfolgt würden, ohne sich dagegen wehren zu können."Die Prostitution muß endlich entkriminalisiert werden," so ihr Plädoyer.

SALVADOR BRACHO

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