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Panorama: Die letzte SMS

Ein ganzes Dorf wurde auf den Philippinen verschüttet. Plötzlich meldeten sich Eingeschlossene über Handy. Dann wurde es still

Mehr als zehn Stunden nach dem gewaltigen Erdrutsch piepst das Handy von Pamela Tiempo. Eine SMS: „Wir sind immer noch in einem Zimmer. Lebendig!“, steht im Display. Absender ist Pamelas Mutter, eine Lehrerin an der Schule von Guinsaugon. Auch andere Verwandte von Vermissten bekommen Nachrichten, die Hoffnung machen. „Wir leben. Buddelt uns heraus“, lautet eine. Aber der Matsch liegt meterdick über der Schule.

Und er ist weich. Rettungskräfte haben schon beim Gehen Mühe, schweres Gerät kann nicht benutzt werden, weil es sofort im Schlamm versinken würde. Ohne Schaufelbagger ist es unmöglich, die verschütteten Menschen zu befreien. Nach und nach kommen immer weniger Nachrichten, dann herrscht Stille, furchtbare Stille.

In der Schule hatten 200 Kinder und deren Mütter den „Tag der Frauen“ gefeiert, als die Schlammmassen sie begruben. Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo rief die Bevölkerung auf, für die Verschütteten zu beten. „Es bricht mir das Herz, wenn ich an diese kostbaren Schulkinder denken, deren Unschuld und Hoffnung auf so tragische Weise ausgelöscht wurden“, sagte Arroyo.

Ein kleines Kind, das die Katastrophe am Freitag wie durch ein Wunder überlebt hatte, stirbt in der Nacht im Krankenhaus an seiner Kopfverletzung. Samstagmorgen: Dicke Wolken verhüllen die Spitze des Canabag-Berges, 700 Meter ist er hoch. Im Steilhang klafft eine riesige Lücke, da, wo die riesige Schlammlawine abgerutscht war.

Am Fuß des Berges stampfen hunderte Männer in der Tropenschwüle über den dunklen Erdteppich, der sich auf neun Quadratkilometern ausgebreitet hat. „Ich glaube nicht, dass noch eine Chance besteht, Überlebende zu finden“, sagt ein Feuerwehrmann, „wir bergen seit Stunden nur Leichen.“ Soldaten, Rot-Kreuz- Mitarbeiter und Freiwillige arbeiten mit Schaufeln oder mit bloßen Händen. Sie legen die leblosen, mit Dreck überzogenen Körper in dunkelblaue Plastik-Leichensäcke.

Am Rande der Matschlawine stehen Angehörige und Freunde von Opfern. Manche starren fassungslos den Berg an, andere weinen. Als der Hang abrutschte, waren etwa 1200 Dorfbewohner in ihren Häusern, 206 Kinder und 40 Erwachsene hielten sich in der Schule auf. Knapp 60 Menschen waren kurz nach der Katastrophe gerettet worden, wahrscheinlich sind alle anderen tot. Am Abend fängt es wieder an zu regnen. Aus elf Dörfern, die in der Nähe von Berghängen liegen, werden alle Bewohner evakuiert.

Philippinische und amerikanische Soldaten haben eine gemeinsame Übung abgebrochen. Am heutigen Sonntag sollen zwei US-Kriegsschiffe Leyte erreichen. 1000 US-Soldaten wollen im Katastrophengebiet arbeiten. Hunderte Leichen müssen noch geborgen werden, außerdem brauchen Verletzte, Obdachlose und Evakuierte Hilfe.

Die Vereinten Nationen entsandten ein Expertenteam zur Unglücksstelle. Zudem stellten sie 50 000 Dollar Soforthilfe bereit. Das Internationale Rote Kreuz schickte verschiedene Rettungsgüter sowie 150 000 Dollar Soforthilfe. Australien bot 740 000 Dollar an, um Überlebende zu retten und Notunterkünfte zu errichten.

Der südostasiatische Inselstaat ist dieses Jahr immer wieder von schweren Stürmen und Regenfällen heimgesucht worden, die die Erde aufgeweicht haben. Jährlich fegen rund 20 Taifune über die Philippinen hinweg, die enorme Niederschlagsmengen mit sich bringen. Allein Ende 2004 gab es eine Reihe von Stürmen, in deren Folge im Nordosten des Landes etwa 1800 Menschen ums Leben kamen oder vermisst wurden.

Beim schlimmsten Unglück in der jüngeren Geschichte des Staates starben 1991 ebenfalls auf Leyte nach schweren Überschwemmungen mehr als 5000 Menschen.

Spendenaufruf: Misereor, Spendenkonto 52 100, Sparkasse Aachen, BLZ 390 500 00, Stichwort „Erdrutsch Philippinen“.

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