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Bäcker Jonathan Samson mit seiner kleinen Tochter.

© Ingrid Müller

Die Philippinen nach Taifun "Haiyan": „Es war wie eine Atombombe“

Nach dem Taifun: Die Menschen auf den Philippinen suchen nach Zuversicht – und wissen doch nicht, wer alles wieder aufbauen soll. Das größte Problem ist sauberes Trinkwasser.

Für die Menschen von Madridejos war der 8. November die Stunde null. An diesem Morgen fegte der Supertaifun Haiyan über ihre Gemeinde – danach war hier so gut wie kein Haus mehr heil, die meisten stehen gar nicht mehr. An so etwas können sich auf der Insel Bantayan nicht einmal die ganz Alten erinnern. Die Insel lag mitten in der Schneise, die der Taifun Haiyan quer über die Philippinen zog. Erthel Toris Ribo steht dort, wo einmal die erste Etage ihres Hauses war. Es gibt keine Wände mehr, Teile des Daches fehlen. „Das da war meine Küche“, sagt die 40-Jährige mit ausholender Armbewegung und zeigt auf eine Anrichte mit Blick ins Freie. „Selbst die Zwischenwand ist weggeflogen.“ Sie lacht. Es ist kein fröhliches Lachen, es ist ihre Art, mit dem Desaster umzugehen. Auf praktisch jedem freien Fleck liegt und hängt nasse Kleidung zum Trocknen, ein paar Möbelstücke sind verstreut auf der Etage, zwischendrin spielen ihre drei Mädchen und der 13-jährige Sohn. It It, wie sie die Sechsjährige mit den langen dunklen Haaren rufen, tobt durch das Durcheinander und kommt mit ein paar Farben zurück, die den Sturm heile in einer Packung überstanden haben, Pinsel hat sie auch gefunden, sie will malen. It It reicht die Farben schon mal ihrer Schwester Tin Tin nach unten. Ist ja alles offen jetzt. Doch so unbekümmert, wie sie wirken, sind sie nicht. „Sie weinen jetzt viel. Und als am Dienstag wieder Regen kam, haben sie gerufen Mama, Mama und, Gott, nicht schon wieder ein Taifun“, erzählt die Mutter, während sich eine Tochter an sie schmiegt.

Sie haben sich verkrochen

Das Haus der Ribos ist ein Künstlerhaus. Unten, in einer schmalen Nische längs des Hauses im Erdgeschoss steht wie zum Hohn: „No Vandalism please respect Filipino artist.“ In dem bunt bemalten Raum im Erdgeschoss hat sich die Familie versteckt. „Als der Sturm kam, sind wir durch die Küche und über die Garage nach unten gerannt. Bis um drei Uhr nachmittags haben wir uns verkrochen“, erzählt sie, und zieht die Schultern wie zum Schutz eng um den Körper. „Es war wie eine Atombombe. Erst kam der Sturm von da, dann von da“, sagt sie und dreht sich um die eigene Achse. Dann hält sich Erthel Ribo die Hand vor den Mund mit der Zahnlücke, als sollte sie das jetzt nicht sagen: „Sogar der Schrank und“, – sie macht eine Pause – „und meine ganze Unterwäsche ist mit den Wänden rausgeflogen. Sie lag da unten verstreut im Wasser.“ Das war für sie besonders schlimm. Waschen kann sie auch noch nicht, die Versorgung läuft noch nicht wieder. Das Wasser, das sei das größte Problem, sagt Erthel Ribo. Das weiß auch Bürgermeister Salvador dela Fuente.

Für ihn sind die kaputten Häuser aber noch drängender. Der Mann mit Basecap, grau-schwarzem Shirt, karierten Bermudas, bunten Glasperlen am Arm und einer Goldkette mit Amulett um den Hals ist gerade für die dritte Amtszeit wiedergewählt worden. Er hat vor seinem Bürgermeisteramt zwei weiße Schreibtische mit Stühlen aufgestellt. „Informationsstelle“ haben sie drangeschrieben, dahinter hängen an Tafeln und den Wänden großformatige Listen, auf denen sie Zahlen über Betroffene zusammentragen. Hinter ihnen unter dem ausladenden Leuchter in der Eingangshalle des Amtes lagern meterhoch Säcke mit Reis. 8000 Familien bei ihm bräuchten neue Häuser, sagt Fuente, das sind 98 Prozent der Menschen in seinem Landkreis, der ganz oben im Norden von Bantayan liegt. Auch beim bisher heftigsten Sturm seien es maximal 3000 gewesen. „Diesmal ist es mehr als das Doppelte“, sagt er und zuckt die Schultern: „Wir haben viele Schreiner, aber jetzt sind alle mit dem Aufbau ihrer eigenen Häuser beschäftigt.“ Er ist ein bisschen ratlos, aber völlig ruhig. Auch sonst ist auf der ganzen Insel kein lautes Wort zu hören, keiner hier bittet um Hilfe, auch der Bürgermeister nicht. Am Montag soll das Wasserwerk repariert sein, dann will er auch die Schulleiter zusammenrufen, um zu beraten, wie sie die zusammengebrochenen Gebäude wieder sicher machen können. In den Straßen räumen Bulldozer den Müll in große weiße Laster. Wellblech von kaputten Dächern wird gesammelt und abtransportiert. In ein paar Monaten, meint er, hätten sie das Gröbste sicher geschafft. Eine junge Frau steht neben ihm, sie kommt von der Nachbarinsel Cebu. Dort haben sie für die Opfer gesammelt, nun haben sie es endlich bis hierher geschafft. An dem kleinen Hafen auf Cebu, wo die Fähren nach Bantayan ablegen, stehen lange Schlangen mit privat organisierter Hilfe. Autos und Laster warten Stoßstange an Stoßstange den ganzen Hügel hoch. Auch am Abend ist das Bild nicht viel anders, obwohl die Boote rasch abgefertigt werden.

"Selbst unsere Feinde haben uns gespendet"

Im Gewühl derjenigen, die ohne Auto schneller auf die Insel wollen, hocken Pocholo und seine Freunde von vier Outdoorgruppen auf der Kaimauer. Die 20 sind früh um drei von seiner Heimatinsel Bantayan los, haben bei Freunden und Kollegen auf Cebu Reis und dringend nötige Sachen geholt. Seit vier Stunden warten der 27-Jährige und seine Truppe, um zurückzukommen. „Selbst unsere Feinde haben gespendet“, scherzt einer der Freunde. „Madridejos ist eine Geisterstadt. Alles ist zerstört. Ich weiß gar nicht, wie die Menschen das eigentlich überlebt haben“, sagt Pocholo. In der Gemeinde sind nur drei Menschen umgekommen. Fritch J. Gier hat es auf die Fähre geschafft. Er schaut auf seine perlmuttfarben lackierten Fingernägel, der 52-jährige Regierungsangestellte hat sich auch an diesem Wochenende als Freiwilliger gemeldet. Sein ganzes Distriktdepartment ist unter der Führung von Chefin Ma’m Daisy unterwegs. An Bord gucken sie auf einem Flachbildschirm „Gulliver“ mit Untertiteln, für ein paar Minuten herrscht fast Ausflugsstimmung. Kurz mal die Krise vergessen. Giers junger Kollege Noe Ichechavez Briones überspielt seine Unsicherheit mit Witzen. „Brot fürs Leben“ ruft er und hält eine Tüte „Pain de Manila“ in die Höhe, kramt ein Glas raus: „Möchte irgendwer Erdnussbutter? Ach, ist nur zum Angucken, kein Löffel da.“ Und weiter geht’s. Noe verstellt seine Stimme, verzieht hinter seiner gelben „Spy“-Brille das Gesicht, strafft sich in seinem blauen Abercrombie-&-Fitch-Shirt. „Wir haben eine Neunwöchige und einen Dreijährigen. Es war so schlimm. Um unser Haus stehen so viele Bäume“, mimt er ein Taifunopfer. „We stood still. And I think we can stand still.“ Er lacht über den Wortwitz. „Und nun Kandidat Nummer 7.“ Die Runde giggelt ausgelassen.

Bürgermeister Fuente versucht, die unübersichtliche Lage im Griff zu behalten. Am Hafen in Santa Fee hat die Lokalregierung eine Frau sitzen, die die Hilfslieferungen für die drei Gemeinden auf Bantayan mit bunten Filzstiften zusammenträgt. Ausländische Hilfe gebe es bisher fast keine, sagt Fuente, aber das macht ihn auch nicht unruhig. Unicef sei vor ein paar Tagen da gewesen, was die jetzt machten, wissen sie nicht. In der Früh war das Schweizer Rote Kreuz da, sie wollen 500 Häuser bauen. Dann kam eine kleine kanadische Gruppe und gerade bieten Richard Innes und Simon Clarke von Shelter Box an, 800 Zelte neben zusammengefallenen Häusern aufzustellen. Da könnten die Menschen sechs Monate wohnen, bis sie ihre Häuser aufgebaut haben, sagt Innes. Erst mal müssten die Familien im Evakuierungszentrum eine Bleibe bekommen, die nicht bei Verwandten oder Nachbarn unterkommen, findet Fuente. Erthel Toris Ribo und ihre Familie haben aufgeräumt, was sie aufräumen können, der Sohn räumt die Teller vom Mittag weg. Aber die Mutter kann sich im Moment nicht vorstellen, wer alles wieder aufbauen soll. Die Bäckerei, die nur noch ein Haufen Blech und Balken ist, oder das Haus von Elisabeth Ilustrisima, das 60 Jahre allen Stürmen standgehalten hat und nun umgekippt und kaputt zur Hälfte auf der Straße liegt. Sie selbst sitzt mit ihren drei Enkeln daneben, spült die Teller vom Mittagessen. Seit heute haben sie eine Plane zum Schutz gegen Sonne und Regen. Die hat die Tochter geschickt, die seit sechs Monaten in Dubai arbeitet. „Aber nur 10 000 Pesos“, ruft die Oma von ihrem Schemel.

Am Montag wird sie Jeana Lane und ihre beiden Brüder wieder aufs College schicken. Bäcker Jonathan Samson will jetzt in die Schweinemast wechseln. Sein Bruder arbeitet als Matrose auf einem Schiff irgendwo draußen auf der Welt. Der werde, sagt er, sicher Geld schicken, wenn sie endlich Kontakt zu ihm bekommen. Um die Ecke sitzt eine junge Frau auf einer Bank und lässt sich die Fußnägel lackieren. „Meine Nägel sind so schrecklich“, sagt sie wie zur Entschuldigung. Sie alle hier in Madridejos haben bewundernswertes Vertrauen darin, dass sie es zusammen mit Freunden, Nachbarn und Familien auch diesmal wieder schaffen werden. Ma’m Daisy und ihre Distrikt-Truppe fahren am Abend erst mal unverrichteter Dinge wieder rüber nach Cebu. Ihre Laster haben es heute noch auf keine der Fähren geschafft. Sie werden morgen wiederkommen.

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