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Panorama: Die Welt ohne Draht - Neue Medien: Ein Konzern kokettiert mit dem Verzicht

Die Firma Bertelsmann ist mutig. Die Firma Bertelsmann fordert ihre Abschaffung.

Die Firma Bertelsmann ist mutig. Die Firma Bertelsmann fordert ihre Abschaffung. Zumindest indirekt. Der deutsche Medienriese hebt seine Pavillon-Gäste im Hydraulik-Fahrstuhl auf eine höhere Ebene, um sie alsdann aufzufordern: "Stellen Sie sich eine Welt ohne Medien vor." Na gut.

Das folgende Bildergewitter, acht Minuten lang, zeigt die Geschichte der Medien und die ihrer Wirkung als Geschichte der Menschheit. Das ist der Anspruch, der sich abhebt vom Zukunftsblick der Expo-Themenparks einige hundert Meter weiter mit ihren Utopie-Darstellungen und auch von der Gegenwart, in der die Besucher des Deutschen Pavillons vis-à-vis ankommen. Bertelsmann bleibt retrospektiv. Los geht es mit einem Fußabdruck im Wüstensand als erstem Zeichen der menschlichen Selbstvergewisserung. Die Höhlenzeichnungen von Lascaux tauchen auf. Wie es wohl ohne sie gewesen wäre, damals in der Steinzeithöhle? Martin Luthers Thesenanschlag folgt, die ersten Zeitungen und die Französische Revolution. So weit ist alles klar. Statt der Exklusivität, statt der Medien für wenige öffnete die Neuzeit nun die Medien für alle. Ohne Massenmedien hätte die Aufklärung nicht stattgefunden. Also: Wir sind die Guten. So funktionieren Selbstdarstellungen von Firmen im Allgemeinen.

Doch nicht nur fürs Eiapopeia, auch für das Nachdenken haben die Ausstellungsmacher gesorgt. Die Stimme Adolf Hitlers knarzt aus einem Volksempfänger - das Radio als Medium der Gleichschaltung ist nicht vergessen worden, und später wird auch an den ästhetisierten Fernseh-Golfkrieg erinnert. Auch das war zu erwarten, als Ausweis der Souveränität und Kritikfähigkeit.

Aber dann kommt das Unerwartete. Das zwanzigste Jahrhundert, Dutzende Dia-Projektoren werfen die Bilder seiner Globalereignisse und Globalgesichter an die Leinwand, alles, was der Zitatenschatz der vergangenen hundert Jahre hergibt. Der Titanic-Schiffbruch, die Zeppelin-Landung in New York, der Kennedy-Mord, die Krönung Elizabeths II., Woodstock, "I have a dream", Vietnamkrieg und Watergate, Marilyn Monroe und Michael Schumacher.

Ein Leben ohne Bilder sollen sich die Gäste im "Planet M" vorstellen - seinen Namen trägt der Pavillon in Anspielung auf eine Welt aus Medien. Wie wäre das Dasein ohne das alles, ohne diese Bilder? Vermutlich genauso. Nichts würde fehlen. Wir brauchen die jederzeit verfügbaren Informationen nicht. Wir müssen das alles nicht wissen, wer wann auf dem Mond war und wo genau. Jemand muss uns sagen, wie morgen das Wetter wird, das reicht. Weil wir sonst womöglich unnötig schwitzen oder voll geregnet werden. Unsere Lebenswelt berühren die meisten medial vermittelten Ereignisse schon lange nicht mehr. Zumindest nicht direkt.

Ein Unternehmen, das seine Brötchen mit dem Verkauf von Büchern, Zeitungen und Musik, dem Betrieb von Radio- und Fernsehstationen verdient und auch beim Internet-Geschäft dabei ist, ein solches Unternehmen gibt einen Millionenbetrag nahe der Dreistelligkeit aus, erbaut ein futuristisches Silber-Ei und dokumentiert auf einer Weltausstellung den schwindenden Einfluss seiner Produkte. Ein Medienunternehmen zeigt die Selbstbespiegelung einer Medienwelt, die bloß noch die abwesende authentische Erfahrung kompensiert. Das ist mutig. Und das ist - im Bertelsmann-Konzept für die Expo - nur das Vorprogramm.

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