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Bereits mehr als 480 Menschen starben an dem Virus.

© Reuters

Ebola-Epidemie in Westafrika: Virus ohne Grenzen

Die Zahl der Ebola-Toten in Westafrika steigt und steigt. Es sind mehr als jemals zuvor. Ein länderübergreifendes Konzept soll nun dabei helfen, das Virus zu bekämpfen.

Als der neunjährige Junge im Isolationszentrum in Gueckedou/Guinea ankam, hatte er kaum noch einen Puls. Seine Mutter war während des Krankentransports neben ihm gestorben. Er selbst hatte Schmerzen, seine Kleidung war voller Erbrochenem. Mit Elektrolyten und Flüssigkeit konnten die Ärzte seinen Blutdruck stabilisieren. Vielleicht schafft er es, dachte William Fischer, ein Intensivmediziner vom Johns-Hopkins- Krankenhaus in Baltimore, der im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO das Team von „Ärzte ohne Grenzen“ unterstützte. Vielleicht kann der Junge das Ebola-Virus besiegen. Am nächsten Morgen fand man ihn am Boden des Zeltes, umgeben von einer Blutlache. Er war mutterseelenallein gestorben.

Bei Ebola gibt es keinen „guten Tod“, schreibt Fischer. Niemand hält einem die Hand. Freunde und Familie kämpfen entweder selbst mit der Krankheit oder sie dürfen nicht in das Zelt. Ärzte und Schwestern können nicht lange bei ihren Patienten bleiben. Unter der Ganzkörperschutzkleidung steigt die Hitze auf 50 Grad, sie müssen regelmäßig raus, damit sich ihr Geist nicht vernebelt. Jeder Fehler könnte sie selbst das Leben kosten.

Fischer ging der Junge nicht mehr aus dem Kopf. Erst war er tagelang mit seiner Mutter zu Hause eingesperrt, verstoßen von Nachbarn und der Familie, die sich vor Ansteckung fürchteten. Dann der Tod der Mutter, das eigene Leid. Wie es dem Rest der Familie erging, weiß Fischer nicht. Der Vater und drei weitere Kinder wurden aus ihrem Dorf gejagt, als er erste Symptome bekam. Er brach zu Fuß zum 25 Kilometer entfernten Isolationszentrum auf. Ein Kind trug er auf den Rücken geschnürt. Wenn der Mann Ebola in sich trug, dann war sein Schweiß infektiös.

Etwa die Hälfte der Patienten, die an Ebola sterben, blutet ähnlich wie der Junge. Anderen wird die Abwehrreaktion des eigenen Körpers zum Verhängnis. Doch Ebola muss kein Todesurteil sein. In Westafrika wurden bis zu 40 Prozent gerettet. Die Wahrscheinlichkeit steigt, wenn die Infizierten früh genug behandelt werden. Dann ist der Körper noch stärker und lässt sich durch Flüssigkeit, Elektrolyte und Antibiotika gegen zusätzliche Infektionen unterstützen. Später wirkt das, als wolle man ein Feuer mit einer Wasserpistole löschen. Die Sterbenden entlasten zumindest Schmerzmittel.

Zahl der Ebola-Fälle wächst Tag für Tag

Die Helfer applaudieren glücklich, wenn einer ihrer Patienten überlebt. Jeder kleine Erfolg gibt ihnen Hoffnung. Auch darauf, dass die nächsten Ebola-Kranken früher Hilfe suchen. Im Moment ist das Gegenteil der Fall. Viele verstecken ihre Kranken, aus Angst vor den Fremden und Misstrauen. So schwillt die Zahl der Fälle in Guinea, Liberia und Sierra Leone Tag für Tag an. 779 vermutliche und bestätigte Fälle sind es bisher, 481 starben – viel mehr als jemals zuvor.

Betroffen sind auch Grenzregionen zu Mali und zur Elfenbeinküste. Ständig tauchen neue Übertragungsketten in weit entfernten Regionen auf. Die von der WHO koordinierten Helfer, die jede Kontaktperson nachverfolgen, mögliche Patienten isolieren und über die Krankheit auf

Damit die Epidemie nicht zu einem Flächenbrand wird, hat die WHO in dieser Woche einen Krisengipfel in Ghanas Hauptstadt Accra einberufen. Ebola schlägt zum ersten Mal in Westafrika zu, wo es auf völlig unvorbereitete Menschen trifft. Die Gesundheitsminister der betroffenen und benachbarten Staaten trafen nicht nur mit den internationalen Partnern der WHO zusammen, sondern auch mit Vertretern aus Staaten, die Ebolaausbrüche bewältigt haben.

WHO will Kontrollzentrum in Guinea aufbauen

Am Ende stand der Aufruf zu „unverzüglichem Handeln“. Die WHO werde ein Kontrollzentrum in Guinea aufbauen. Die grenzübergreifende Zusammenarbeit solle erleichtert werden. Die Länder sollen auch selbst nach Personal und Geld suchen, um den Kampf gegen Ebola zu stärken. Vor allem sollen alle religiösen, traditionellen und politischen Anführer der Gemeinden bei der Aufklärung über die Krankheit helfen.

„Es ist wichtig, dass alle mit einer Stimme sprechen“, sagt Iza Ciglenecki, Epidemiologin bei „Ärzte ohne Grenzen“ in Genf. Das ist nicht selbstverständlich, berichtet Reuters. An einem Checkpoint zwischen Liberia und Sierra Leone suchen zwar Gesundheitsschützer nach fiebrigen Menschen. Polizisten und Soldaten dagegen geben Kräuterarmbänder aus. Ein traditioneller Heiler habe gesagt, diese würden Ebola abwehren.

In den von Bürgerkriegen zerrütteten Staaten Sierra Leone und Liberia sei schwer identifizierbar, wer als „Vertrauensperson“ gelten kann, sagt Judith Vorrath von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die traditionellen Chiefs seien teilweise korrumpiert, an einem Ort kann der Priester wichtig sein, an einem anderen ein Dorfältester oder Lehrer. Das Misstrauen von Menschen, die bisher noch nicht einmal einen Arzt im weißen Kittel gesehen haben, und dann von vermummten Fremden Vorschriften bekommen, sei nur allzu verständlich.

Das Virus hat sich nicht verändert. Es bestraft gerade jene Familien, die eng zusammenhalten, die Frauen, Ärzte oder Schwestern, die sich um die Kranken kümmern, die Tote waschen oder sich mit einem Kuss verabschieden. Sie tragen das Virus weiter. In Westafrika machen Familienbande, Handel und Gerüchte nicht an Ländergrenzen halt. Und wenn die Menschen Ebola endlich als Gefahr erkennen, darf es nicht in Panik umschlagen, sagt Fischer: „Furcht ist so tödlich wie Ebola selbst.“

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