zum Hauptinhalt
Das Armenviertel West Point in der liberianischen Hauptstadt Monrovia ist unter Quarantäne gestellt worden. Die Einwohner sind nun Gefangene in ihrer eigenen Stadt - und fürchten sich umso mehr vor einer Ansteckung mit Ebola. Hier argumentieren sie mit einem Sicherheitsbeamten, der sie daran hindern soll, den Stadtteil zu verlassen.

© Reuters

Ebola in Westafrika: Zustände wie in Europa während der Pest-Epidemien

Liberia stellt Armenviertel und Dörfer unter Quarantäne, bekommt die Lage aber nicht in den Griff. Ein Brite erkrankt in Sierra Leona an Ebola und soll nun nach Großbritannien ausgeflogen werden. Mindestens 1427 Menschen starben bereits an Ebola.

Am Sonntag sind erstmals auch Ebola-Fälle in der Demokratischen Republik Kongo bestätigt worden. Die Vereinten Nationen (UN) sagten gleichzeitig Liberia und seinen Nachbarländern im Kampf gegen Ebola massive Hilfe zu, denn hier befindet sich das Zentrum der Epidemie. Die Elfenbeinküste riegelte wegen der Epidemie die Grenzübergänge zu Liberia und Guinea ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederum beklagte, dass es für medizinisches Personal immer schwieriger werde, die Krisenländer zu erreichen, weil viele Fluggesellschaften Westafrika nicht mehr anfliegen.
Der UN-Ebola-Beauftragte David Nabarro hält sich seit Donnerstag in Liberia auf, das am schlimmsten von Ebola betroffen ist. Danach wollte er sich in Sierra Leone, Guinea und Nigeria ein Bild von der Lage machen. Die WHO hatte am Freitag davor gewarnt, dass es noch „mehrere Monate“ dauern könnte, die Virusepidemie unter Kontrolle zu bekommen. Der WHO zufolge starben bis zum 20. August 1427 Menschen an Ebola, davon allein 624 in Liberia. Nach Angaben des britischen Gesundheitsministeriums wurde auch erstmals ein Brite positiv auf das Virus getestet. Der Mann lebt in Sierra Leone und soll zur Behandlung in London mit einer Militärmaschine ausgeflogen werden. Er hatte Ebola-Patienten behandelt und betreut.

Liberia verhängt eine nächtliche Ausgangssperre

Die über ganz Liberia verhängte nächtliche Ausgangssperre und eine zeitgleich über ein großes Slumgebiet der Hauptstadt Monrovia verhängte Quarantäne haben die Lage derweil weiter verschärft. Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf hat inzwischen eingestanden, trotz des Einsatzes von Militär die Lage in Liberia nicht wirklich unter Kontrolle zu haben. Als Grund nannte die erste weibliche Staatschefin Afrikas, dass sich die Menschen partout nicht an die überall verbreiteten Warnungen hielten.
Über eigene Versäumnisse in der gut sechsmonatigen Krise sprach die Präsidentin nicht. Dazu gehört eine viel zu spät eingeleitete Aufklärungskampagne. Immerhin liest und hört man zumindest in der Hauptstadt Monrovia inzwischen fast überall ihre Botschaft: „Ebola is real“ dröhnt es unentwegt aus Autoradios und Fernsehern. Der Slogan steht auf den Werbetafeln entlang des Tubman Boulevards, der durch die heruntergekommene City läuft, aber auch auf den Etiketten, die auf den nun vor einigen Büros und Geschäftsgebäuden aufgestellten Eimern zum Händewaschen kleben. Immer mehr Menschen scheinen deshalb zu begreifen, dass die Infektionskrankheit Ebola keine Erfindung ihrer Regierung oder westlicher Ärzte ist, auch wenn der Argwohn noch immer tief sitzt.

Dörfer werden abgeriegelt wie Pest-Dörfer im Mittelalter

Dazu kommt die Angst: Täglich sieht man Tote stundenlang auf den Straßen liegen, weil sie niemand mehr wie früher ins Leichenschauhaus schafft und die Ebola-Einheiten der Regierung mit dem Abholen nicht nachkommen. Wie gross das allgemeine Misstrauen ist, offenbarte die Flucht von 19 Ebola-Patienten aus einer Isolierstation in Monrovia vor einer Woche. Bewohner der nun unter Quarantäne gestellten Armensiedlung West Point hatten die Station gestürmt und die hier isolierten Patienten nach eigener Wahrnehmung „befreit“. Informationsminister Lewis Brown musste später zugeben, dass die Angreifer Matratzen, Decken und Bettlaken mitgenommen hätten, auf denen Körperflüssigkeit der Kranken haftete. Beobachter halten es nun für wahrscheinlich, dass sich zumindest die Plünderer fast alle angesteckt haben.
Erst vor drei Wochen hatte die Präsidentin – ebenfalls viel zu spät – einen dreimonatigen Ausnahmezustand über ihr Land verhängt. Zusätzlich werden nun abgelegene Dörfer im Innern unter Quarantäne gestellt, was viele Beobachter an die Zustände im Mittelalter in Europa erinnert, wo Dörfer nach dem Ausbruch der Pest ähnlich hermetisch von der Außenwelt abgeschottet wurden.

Angst vor der Isolation

Viele Menschen in Monrovia haben trotz der nun eingeleiteten Gegenmaßnahmen nicht das geringste Vertrauen in ihre Regierung und werfen den Machthabern vor, die Patienten sowohl in der Hauptstadt als auch auf dem Lande komplett zu vernachlässigen. Viele der Erkrankten seien deshalb zur Flucht aus den Isolierstationen gezwungen, heißt es.

Verantwortlich für das tiefe Misstrauen sind aber auch die vielen im Volk verbreiteten Verschwörungstheorien, denen mit hektischem Aktionismus und Informationskampagnen kaum rasch beizukommen ist. So werden oft ausgerechnet die Helfer bedroht oder sogar physisch angegriffen, weil viele Menschen glauben, dass die Helfer die Krankheit erst verbreiten oder die Organe der Toten stehlen würden.

Liberia hat sich seit dem Bürgerkrieg kaum erholt

Liberia gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Daran haben auch die mittlerweile zehn Jahre seit dem Ende des Bürgerkriegs wenig geändert: Noch immer hat das ab 1822 von befreiten amerikanischen Sklaven besiedelte Land ein verheerendes Gesundheitssystem mit nur 50 Ärzten für seine fast vier Millionen Menschen. Auch das Bildungswesen ist ein einziges Desaster: Keiner der 25 000 Studienbewerber bestand zum Beispiel im vergangenen Jahr die Aufnahmeprüfung, nachdem die Behörden die Bedingungen verschärft hatten - und nun plötzlich nicht mehr Schmiergeldzahlungen und gute Verbindungen sondern akademische Leistungen über die Aufnahme entschieden.

Ellen Johnson Sirleaf hat wenig verändert

An all dem hat auch die im Ausland bewunderte Staatschefin und Friedensnobelpreisträgerin Johnson Sirleaf wenig verändert. Im jüngsten Bericht der US-Organisation Human Rights Watch zu Liberia heißt es, dass die vermeintlichen Ordnungshüter noch immer hochkorrupt seien. Drei von vier Liberianern haben nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr Bestechungsgelder an Staatsbeamte bezahlt.

Immer wieder liest man von hanebüchenen Skandalen, ohne dass danach irgendjemand strafrechtlich verfolgt würde. Johnson Sirleaf erklärt das staatliche Versagen mit dem fehlenden Personal und dessen schlechter Ausbildung. Gleichzeitig verteidigt sie die Ernennung von drei ihrer Söhne in Schlüsselpositionen von Regierung und Verwaltung mit deren guten Qualifikationen. Als vor der Küste vor einiger Zeit Öl entdeckt wurde, ernannte die Präsidentin prompt einen ihrer Söhne zum Leiter des staatlichen Unternehmens für Erdölexploration.

Die Wirtschaft ist nicht in Schwung gekommen

Trotz kleiner Fortschritte seit dem Ende des langen Bürgerkriegs im Jahre 2003 ist die Volkswirtschaft des kleinen Staates noch immer komplett auf den Export von Gummi, Edelhölzern und Eisenerz durch ein paar wenige ausländische Unternehmen angewiesen, die ihrerseits über Konzessionen für das halbe Land verfügen. Nur ganz wenige Liberianer sind etwas wohlhabender geworden; die allermeisten klagen über die völlig fehlenden Dienstleistungen des Staates.

Symptomatisch dafür ist, dass man selbst jetzt in den Slums von Monrovia Wassereimer mit Chlorreiniger vergeblich sucht. Statt dessen laufen Kinder hier nackt durch die stinkenden Abwässer, die überall herumfließen. Für viele wie für Thomas Quiah hat Ebola böse Erinnerungen an den langen, blutigen Bürgerkrieg vor zehn Jahren geweckt. „Die Lage heute ist genauso wie damals“ klagt er. Wenn er morgens aufwacht, höre er gleich die ersten Todesnachrichten. Niemand wisse, was am nächsten Tag passiert. „Wenn ich könnte, würde ich Liberia sofort verlassen.“ Doch Ebola hat diesen Traum noch unmöglicher gemacht. (mit AFP)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false