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Ehec: Augen zu – und durch

Von der Epidemie erfuhr er durch Hamburger Ärzte. Die baten ihn um Hilfe. Dann kam Ehec auch nach Berlin, und Achim Jörres, Nierenspezialist an der Charité, hat es nun mit einem Erreger zu tun, dessen Bauplan er nicht komplett kennt

Von Sabine Beikler

Der Mediziner weiß genau, wie er von Ehec erfahren hat. Lange ist es nicht her. Eine Mail blinkte an seinem Computermonitor auf. „Könnt ihr uns helfen?“, schrieben Hamburger Kollegen, „wir sind langsam völlig überfordert.“

Achim Jörres macht eine bedeutungsvolle Pause. Es waren nicht die Behörden, will er damit sagen, es waren die Ärzte, die sich zuerst untereinander informierten und den Kampf mit einem kleinen Biest aufnahmen, das unter dem Namen Ehec bekannt wurde. Darüber kann der kommissarische Leiter der Intensivmedizin der Nephrologie am Charité-Standort Virchow nur den Kopf schütteln.

32 Menschen sind in der Hauptstadt an Ehec und 14 an der besonders gefährlichen Komplikation Hus, dem hämolytisch-urämischen Syndrom, erkrankt. Es lässt die Nieren versagen und kann lebensbedrohlich sein wie für die Frau, die auf der Station 47 um ihr Leben kämpft.

Sehr genau lässt sich die Ehec-Epidemie in Zahlen fassen. 21 Tote meldet das Robert-Koch-Institut in Berlin am Dienstag und spricht von 2325 Infizierten. Täglich wächst die Zahl an neu Erkrankten, wenn auch nicht mehr so stark wie in den vergangenen Tagen. 49 Fälle kamen gestern allein in Hamburg dazu, wo es nun 898 Ehec-Verdachtsfälle gibt. Es handelt sich um einen der weltweit größten bislang registrierten Ausbrüche von Ehec und Hus, teilt das Institut zur Seuchenbekämpfung mit. Da ist er, der Superlativ, der endlich auch auf offizieller Ebene wiederzugeben scheint, was für Mediziner wie Jörres seit drei Wochen zur täglichen Arbeit geworden ist.

Ein langer Gang führt an der an mehreren Seiten verglasten Kanzel vorbei, wie die Leitstelle des Pflegepersonals auf der Intensivstation genannt wird. Viele Türen stehen offen, Schwestern und Pfleger haben sich um Patientenbetten herum gruppiert. Es geht hier um Leben und Tod, um Maschinen, die schwere Krankheitsverläufe stabilisieren sollen. Die Tür von Zimmer 10 b ist geschlossen. „Bitte vor dem Eintritt beim Pflegepersonal melden“, steht in großen gelben Buchstaben auf einem Zettel. Daneben prangt ein Aufkleber, eine stilisierte Hand mit der unmissverständlichen Aufforderung: „Achtung! Vor Verlassen des Raums Händedesinfektion.“

Hygiene ist auf der Intensivstation das A und O. „Wir haben zunehmend Infektionen mit multiresistenten Keimen“, sagt Jörres. Die sind im Zeitalter der Antibiotika das verhängnisvollste medizinische Problem. Weil sie mit den Waffen wachsen, mit denen sie unschädlich gemacht werden sollen. Ein Wettrüsten ist im Gang. Auf der einen Seite hochspezialisierte technische Labore auf der Suche nach dem einen passenden Wirkstoff, auf der anderen abermillionen Keime, Viren und Erreger, die in ständiger, wahlloser Vermehrung neue Tücken der Natur offenbaren.

Die sollen in Jörres’ Reich keine Chance bekommen. Nicht übergreifen auf die geschwächten Körper seiner Patienten wie den der Hus-Patientin in dem Zimmer. Sie liegt seitlich in einem Bett, umgeben von einem Wirrwarr von kleinen bunten Plastikkabeln, dünnen und dicken Schläuchen. Die Frau wird künstlich beatmet, ein Schlauch läuft durch ihren Mund, über den Rachen in die Lunge. Die große Beatmungsmaschine steht neben dem Bett und presst kontinuierlich Sauerstoff in ihren Körper.

Die Patientin hat die Augen geschlossen. Ihr dunkles mittellanges Haar ist straff nach hinten gekämmt. Sie ist nicht ansprechbar, seit Tagen liegt sie im künstlichen Koma. „Das haben wir nicht nur wegen der Krankheitssymptome eingeleitet, sondern auch wegen der aufwendigen Prozedur der Behandlung“, erzählt Jörres.

Am Hals der Patientin liegen diverse Zugänge sowie ein zentralvenöser Katheter für kreislaufunterstützende Medikamente, ein dicker Dialysekatheter, eine Magensonde. Jeden Tag muss sich die Patientin der Plasmapherese unterziehen. Drei bis vier Liter Plasma, also Blutflüssigkeit, wird gegen frisches Plasma ausgetauscht. So versuchen die Ärzte, das Gift aus dem Körper zu schwemmen. Der Filter in dem Multifiltrate-Gerät sieht aus wie ein Geflecht aus tausenden kleiner Makkaroni. Diese Kapillaren filtern die toxischen Bestandteile heraus.

„Wir hoffen, dass wir die Patientin so weit stabilisieren können, dass sie irgendwann von der Beatmungsmaschine getrennt werden kann“, sagt Achim Jörres. Ob die Frau neurologische Schäden davonträgt, ob sie aufgrund ihres Nierenversagens dauerhaft zur Dialyse muss, das weiß der Mediziner nicht. Er kann nur hoffen, dass sich die Patientin von der Ehec-Infektion vollkommen erholen wird.

Insgesamt sind es neun Hus-Patienten, die allein im Virchow-Klinikum behandelt werden, um zwei ist es so schlecht bestellt, dass sie auf Intensivstationen liegen. Allen Ehec-Erkrankten ist gemein, dass sie sich in Norddeutschland angesteckt haben müssen. Einige wurden aus Hamburg nach Berlin transportiert. Und noch eine Eigentümlichkeit gibt es: Es sind überwiegend Frauen, die an Hus erkrankt sind.

Essen Frauen mehr Salat und Sprossen als Männer? Jörres weiß es nicht. Er will nicht spekulieren. „Es irritiert mich nur sehr, dass wir seit mehreren Wochen Infektionsfälle haben und die verantwortlichen Behörden immer noch im Dunkeln tappen, was die Erkrankung auslöst.“

Nach einer Infektion mit dem Ehec- Keim kann die Erkrankung nach zwei bis zehn Tagen ausbrechen. „Die durchschnittliche Inkubationszeit liegt bei fünf Tagen“, sagt Ralph Kettritz, Oberarzt an der Charité für Nephrologie. Die ersten Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und blutige Durchfälle. „Durch die Schädigung der Darmwand beginnt die Krankheit im Magen-Darm-Bereich.“

Die E.coli-Bakterien dieses Typs sind gewissermaßen ein Volltreffer der Evolution. Sie produzieren das aggressive Shiga-Toxin. Das wird im Blut aufgenommen und dockt sich an sogenannten Endothelzellen an, die Gefäße von innen auskleiden. Nicht nur der Befall selbst ist das Problem, sondern die Vehemenz, mit der sich der Körper gegen die Eindringlinge wehrt. Die Abwehrstrategie des Immunsystems lässt die Gefäße anschwellen, bis sie platzen. Im extremen Fall wie bei den beiden Hus-Patienten auf der Intensivstation kommt es zum akuten Nierenversagen.

Auch im Gehirn scheint sich diese Abwehrschlacht zuzutragen. Die mit dem Toxin behafteten Zellen können dort kleinste Gerinnsel verursachen und Gefäße verstopfen. Die neurologischen Symptome beginnen von Unkonzentriertheit, Desorientierung bis zu Sprachstörungen und Lähmungen. „Das hämolytisch-urämische Syndrom muss nicht bei jedem mit Ehec infizierten Patienten auftreten“, sagen die Nierenspezialisten. Manchmal bleibt es nur bei einer Blutung. Die Therapie erfolgt je nach Schweregrad der Erkrankung. Das einzuschätzen, ist auch für die behandelnden Ärzte nicht einfach. Antibiotika würden den Ehec-Erreger nur stärker machen. Denn die zerfallenden Bakterien würden ihr gesamtes Gift auf einmal freigeben. „Die gute Nachricht lautet, dass von drei Ehec-Fällen nur einer ein Hus-Problem bekommt“, sagt Achim Jörres und schließt die Tür zum Zimmer der Patientin.

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