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Panorama: Eid fürs Leben

In den USA weigern sich Ärzte, aktiv an Hinrichtungen teilzunehmen. Ist das das Ende der Todesstrafe?

Amerika steht möglicherweise vor einer neuen Gegenbewegung gegen die Todesstrafe, getragen von Ärzten, die sich auf den hippokratischen Eid berufen. Zwei Mal innerhalb von 24 Stunden ist die geplante Hinrichtung von Michael Morales in Kalifornien an der Weigerung von Ärzten gescheitert, sich an der Exekution zu beteiligen. Morales war wegen der besonders grausamen Vergewaltigung und Tötung der 17-jährigen Terri Winchell 1981 zum Tode verurteilt worden. Seine Exekution wurde jetzt nach Justizangaben „auf unbestimmte Zeit verschoben“.

Ein Todesurteil muss in den USA nach dem Spruch der Jury in einem getrennten Verfahren von einem Richter bestätigt werden. Der Hinrichtungsbefehl für Morales lief am Dienstag um Mitternacht aus. Es ist unwahrscheinlich, dass der betreffende Richter ihn erneuert. Er hat sich kürzlich für Morales’ Begnadigung eingesetzt, weil ein Hauptbelastungszeuge gelogen hatte. Morales hat die Tötung gestanden, bestreitet aber, dass es ein Auftragsmord war. Möglicherweise wird die Familie des Opfers versuchen, doch noch seine Hinrichtung zu erreichen. Mutter Barbara Christian äußerte sich empört, dass Morales mit dem Leben davonkommt. „Das Justizsystem ist lächerlich. Es zwingt den Opfern mehr Leid auf als den Tätern.“

Damit nahm sie Bezug auf die Begründung, die in einer Kettenreaktion zu Morales’ Verschonung geführt hatte. Seine Anwälte argumentierten, die in 35 Staaten angewandte Giftinjektion sei potenziell grausam und deshalb verfassungswidrig. Üblicherweise wird dem Todeskandidaten durch Schläuche und intravenöse Kanülen ein Cocktail aus drei Wirkstoffen verabreicht, die ihn erst entspannen, dann lähmen und schließlich das Herz zum Stillstand bringen. Der Mechanismus wird aus einem Nebenraum der Todeskammer bedient, damit Todeskandidat und Henker sich nicht sehen. Die Gegner sagen, es sei nicht auszuschließen, dass der Verurteilte Schmerzen leide. Der Supreme Court hat sich noch nicht grundsätzlich dazu geäußert. Er hat in den jüngsten Wochen drei Fälle zur Beratung angenommen und diese Exekutionen in Florida und Missouri gestoppt, aber parallel drei andere Einsprüche aus Texas und Indiana abgewiesen und die Hinrichtungen dort zugelassen.

In Morales’ Fall hatte ein weiterer Richter, Jeremy Fogel, angeordnet, bei der Exekution müssten zwei Anästhesisten anwesend sein, um einzugreifen, falls der Todeskandidat leide oder wieder aufwache, um ihn dann zu betäuben. Beim ersten Hinrichtungstermin am Montagabend erklärten die beiden Anästhesisten in letzter Minute, der Auftrag widerspreche ihrem ärztlichen Eid. Richter Fogel erlaubte am Dienstag als Alternative, ein Arzt könne Morales eine tödliche Überdosis Betäubungsmittel spritzen, das müsse aber in der Todeskammer geschehen. Die Behörden fanden keinen Arzt, der dazu bereit war. Der Blickkontakt zwischen dem Todeskandidaten und seinem Henker galt in der christlichen Welt schon vor Jahrhunderten als tabu. Ärzte nehmen in den USA regelmäßig an Hinrichtungen teil, schon um hinterher den Totenschein auszustellen. Dies war aber der erste Fall, in dem ein Gericht die aktive ärztliche Beteiligung forderte.

Sollten beide Entwicklungen Schule machen – Gerichte machen das Eingreifen von Ärzten zur Auflage, die Ärzte jedoch lehnen den Auftrag ab –, könnte das in der Praxis zu einem Hinrichtungsstopp in den USA führen.

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