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Panorama: Ein Franzose gibt die schönsten Schlummerplätze der UNO preis

Frauen und Kinder, Raketen und Abschussrampen, Wasser und Wüsten oder auch wild lebende Wandertiere - über fast alles wird in der UNO diskutiert. Nur ein Thema war bislang von der öffentlichen Erörterung ausgeschlossen.

Frauen und Kinder, Raketen und Abschussrampen, Wasser und Wüsten oder auch wild lebende Wandertiere - über fast alles wird in der UNO diskutiert. Nur ein Thema war bislang von der öffentlichen Erörterung ausgeschlossen.

Das könnte sich ändern, denn nun hat ein erfahrener UN-Botschafter das Tabu gebrochen. Jeder tut es und jeder weiß es, sagte sich Alain Dejammet, bis vor kurzem noch der Vertreter Frankreichs in der Weltorganisation. Da sollte man dann auch offen darüber reden können, dass selbst der diplomatischste Mensch Schlaf braucht.

Vier Jahre hat der Franzose im UN-Hauptquartier am East River genau beobachtet, wohin sich Kollegen aus aller Welt, wenn sie nicht schon in den Konferenzen eingenickt waren, für die Sitzungspausen zurückzogen. "Dormir aux Nation Unies" heißt seine nun vorliegende kenntnisreiche Studie, "Schlafen bei den Vereinten Nationen".

Weit oben auf der Hit-Liste der internationalen Schlummerplätze steht die UN-Bibliothek. Besonders beliebt, so hat der Diplomatenspion entdeckt, ist der Saal für Zeitungen und Zeitschriften mit seinen einladend großen Sesseln und Sofas. Kein zu helles Licht trübt dort das Schlummererlebnis, es ist längst nicht so laut wie etwa auf dem Flur vor dem Weltsicherheitsrat und obendrein kann man sich wunderbar hinter einer wichtigen ausländischen Tageszeitung verstecken. (Tipp für UN-Anfänger: Nie den Sportteil nehmen. Das kommt schlecht an, wenn Vorgesetzte vorbeischauen.)

Zuerst hat den "UN-Schlummer-Michelin", der insgesamt zwölf öffentlich zugängliche Schlafecken im Hauptquartier der Vereinten Nationen auflistet und nach Kriterien wie Lichteinfall, Lärmbelästigung und Besucherfrequenz bewertet, in New York kaum jemand wahr genommen. Auch nachdem vor ein paar Monaten "Le Monde" in Paris Dejammets Studie veröffentlichte, blieben die besten Plätze noch gut mit unbekümmerten Schnarchern gefüllt.

Doch dann nahm sich Barbara Crossette der Sache an. Die ansonsten wegen ihres politischen Insider-Wissens geschätzte UN-Korrespondentin der "New York Times" ließ alle aufgelisten Schlummer-Ecken fotografieren und veröffentlichte die Hitliste in ihrer Zeitung. Plötzlich war die UN-Bibliothek wie leer gefegt - sieht man von Fotografen und Kameraleuten ab, die hofften, Männer in Nadelstreifen beim Träumen von einer besseren Welt erwischen zu können.

Manche fanden es "geschmacklos und unfair", was der französische Ex-Kollege ans Licht brachte, kaum dass seine schöne Zeit in New York vorüber war. "Man weiß, wie schwierig es vor allem für Kollegen ist, die zu den Konferenzen von weit her anreisen", sagt ein belgischer Diplomat. Sechs Stunden Zeitunterschied, zum Beispiel zwischen Berlin und New York, Debatten voller Konferenz-Chinesisch, Cocktailparties zum Wohle des Weltfriedens und in den Nächten dann noch Berichte für das heimatliche Außenministerium - wem würden da tagsüber nicht ab und an die Augen zufallen?

Wassili aus Moskau, ein Experte für Auf- und Abrüstung, verweist darauf, dass es Diplomaten bekanntlich wie den Pferden ergehe. "Sie müssen essen und trinken im Stehen - sollen sie nun auch noch wie die Pferde im Stehen schlafen?" Und einen in der DDR aufgewachsenen UN-Beamten erinnert Dejammets an sich harmloser Schlummer-Atlas für Diplomaten an ein altes Agit-Prop-Gedicht über Lenin: "Er rührte an den Schlaf der Welt, mit Worten, die Blitze waren."

Thomas Burmeister

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