zum Hauptinhalt
Unter den Tisch kriechen und die Tischbeine festhalten. Katastrophenübung in Tokio.

© AFP

Ein Jahr nach Fukushima: Erdbebenübung im Schüttelcontainer

Wie die Japaner sich auf Katastrophen vorbereiten – Besuch in einem Bebenkurs in Tokio. Ein Jahr ist es her, dass ein Beben den Tsunami und den GAU auslöste.

Alles wackelt, rappelt, scheppert. Der Teekessel auf dem Herd zuckelt hin und her und stürzt schließlich über die Herdkante. Weg mit dem Stuhl, ab unter den Küchentisch, auf die Knie, Schulter an Schulter mit den anderen dreien, die gerade eben noch mit am Tisch saßen und quatschten. Ein Erdbeben! Der Tisch hüpft mit – bloß die Beine gut festhalten. Einer kichert. Das Gewackel stoppt.

Ein Feuerwehrmann klatscht in die Hände. Er lächelt. Er ist zufrieden. Einigermaßen jedenfalls. Die Tischbeine hätten ruhig besser festgehalten werden können. Und jemand hätte auch daran denken können, das Gas abzustellen am Herd. Gibt’s nicht wirklich, ist klar, aber wenn es welches gäbe.

Ein Erdbebentraining der Feuerwehr im Tokioter Stadtteil Ikebukuro. Die Küche ist Kulisse, ein Container, der geschüttelt werden kann. So stark, als erschüttere ein Erdbeben der Stärke 6 die Gegend. Zwei japanische Schüler, ein ungarischer Geiger, gerade neu in der Stadt, und eine deutsche Touristin knien gemeinsam unter einem wackligen Tisch in einer Küche, die keine ist, bei einem Erdbeben, das keines ist, mit einem Gasherd, der keiner ist und einem Feuerwehrmann, der daneben steht und anschließend kritisiert und lobt. Auf Japanisch.

Die Katastrophe in Fukushima in Bildern:

Kichern ist erlaubt. Die Situation ist schließlich ein bisschen komisch. Aber wie soll man sich vorbereiten auf etwas, von dem man nicht weiß, wann, wie und wo es einem begegnet? Vielleicht also kann man sich gar nicht besser für den Ernstfall Erdbeben wappnen als mit einem eineinhalbstündigen Training im Ikebukuro Life Safety Learning Center.

In Japan sind Möbel an der Wand befestigt

Das Training besteht aus drei Teilen, jeder dauert 30 Minuten. Vom Erdbeben-Simulator geht es in ein mit Rauch gefülltes Labyrinth, und zum Schluss wird der richtige Umgang mit einem Feuerlöscher geübt. Zwischendurch: jede Menge Erklärungen, viele Videos. Auf den Flyern für Besucher steht unter Punkt fünf: Alle Informationen auf Japanisch. Draußen regnet es in Strömen, die Füße sind noch nass. Der Feuerwehrmann redet, die Schüler kichern weiter.

Der ungarische Geiger versteht nichts. Die deutsche Touristin versteht nichts. Der Feuerwehrmann spricht gar kein Englisch, dafür aber ein Teil der Videos für sich: Erdbeben, eine tückische und weitgehend unverständliche Angelegenheit. Aber nichts, dem man nicht mit Cleverness entgegenarbeiten könnte.

Für japanische Schüler gehören solche Übungen und Informationen zum Unterricht wie in deutschen Schulen der Feueralarm. Seit dem 11. März 2011, als ein Erdbeben der Stärke 9 Japan erschütterte. Der anschließende Tsunami schwemmte ganze Ortschaften im Norden des Landes fort, Reaktoren im Atomkraftwerk Fukushima, stark geschädigt, explodierten, Brennstäbe schmolzen – ein Super-GAU.

Bilderstrecke zu Berliner Helfern in Fukushima:

Vor allem aber auch deswegen, weil Japan schon immer Erdbebenregion ist, die Japaner seit Jahren ein besonders starkes Beben in der Tokioter Gegend erwarten, ähnlich des Kanto-Bebens 1923, bei dem rund 140 000 Menschen starben.

Möbel in japanischen Wohnungen sind an den Wänden befestigt. Wenn sie es nicht sind, kann ein Fernseher neben dem Futonbett tödlich sein. Im Video wird der Kopf einer Puppe vom herabfallenden Gerät zerschmettert. Die Schüler kichern nicht mehr. Der Lehrer spricht auf einmal doch ein bisschen Englisch.

Keine Panik

Ein Glück also, mit ihm gemeinsam im Labyrinth eingesperrt zu sitzen, in das der Feuerwehrmann Rauch blasen lässt. Ein Alarm ertönt. „Down“, sagt der Lehrer und kniet sich im Anzug auf den Boden. Zwei seiner Schüler krabbeln auf Knien in Richtung Tür, ein Notausgangschild leuchtet grün. Nase und Mund in der Armbeuge vergraben, flach atmen, bloß nicht aufstehen, denn oben sammelt sich mehr Rauch. Der ist zwar harmlos – weil: aus Pflanzenöl erzeugt –, aber trotzdem unheimlich. „Stay calm, don't panic!“ Ganz ruhig bleiben, stand auf dem Flyer. Okay. Aber was, wenn das jetzt doch ernst wäre? Im vierten Stock oben, in einem unbekannten Gebäude und dann auf einmal alles voller Rauch. Ein Feuer? Nach einem Erdbeben? „Stay calm!“

Erste Tür auf, weiter, kriechend auf dem Boden, im Dunkeln, hinter dem Lehrer, vor den Schülern. Dann endlich: Die letzte Tür öffnet sich, Feuerwehrmann und Schüler applaudieren. Die Füße sind noch immer nass.

Die Löschübung ist der letzte Teil des Trainings. „Nicht mit den Feuerlöschern spielen“, steht auf den Flyern geschrieben. Ein Film zeigt, wie schnell ein Brand entstehen kann, wenn die Erde bebt. Besonders natürlich in der Küche. Eine Küchenzeile ist als Modell in einer Ecke des Raumes aufgebaut. Per Knopfdruck fängt ein Topf auf dem Herd Feuer, helles gelbes und orangefarbenes Licht flackert um ihn herum. Ein sehr kleiner Feuerlöscher, scheint der Feuerwehrmann zu erklären, würde hier noch reichen. Anders wenn ein Teil der Wohnung brennt.

In einer Reihe stehen der Geiger, die Touristin, der Lehrer, die Schüler. Vor jedem ein Feuerlöscher. Auf einer Leinwand lodern plötzlich Flammen. Jetzt schreien: „Kasái!“ Feuer! Das sei wichtig, erklärt der Feuerwehrmann. Natürlich müssen alle lachen.

Feuerlöscher fest auf den Boden stellen, Sicherungsring am Griff ziehen, Löscher anheben, Griff zusammendrücken. Zehn Sekunden, dann ist das Feuer aus. Nur noch Dampf auf der Leinwand.

Was also zu tun wäre, wenn die Erde bebt, das ist nun, ganz rudimentär, klar. Wenn alles nach Plan liefe. Was aber, auch das ist nach dem Training offensichtlich, dem Zufall überlassen sein wird und den Umständen. Auf einem der Flyer steht: „In reality, things may be different in different cases.“ In Wirklichkeit kann alles anders sein.

Zur Startseite