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Panorama: Ein Kuss auf den Mund – Gefängnis

Viagra gibt’s am Kiosk. Doch erotisches Tanzen will Indonesiens Regierung bald verbieten

Von Moritz Kleine-Brockhoff,

Jakarta

Was die indonesische Regierung plant, klingt unglaublich: Fünf Jahre Gefängnis für einen Kuss auf den Mund in der Öffentlichkeit und Razzien, die wilde Ehen aufspüren sollen. In Sachen Moral demonstriert eine Hand voll indonesischer Politiker nun dort Härte, wo sie scheinbar den dringendsten Handlungsbedarf sehen – in der Privatsphäre der Bürger. Nach einem Gesetzentwurf des Justizministeriums soll oraler, homosexueller und außerehelicher Sex mit Haftstrafen zwischen einem und zwölf Jahren bestraft werden. Männer, die Heiratsversprechen nicht einhalten, sollen ebenfalls verhaftet werden.

Laut „Jakarta Post“ hat das Parlament sich darauf verständigt, zusätzlich ein separates „Pornografiegesetz“ zur Abstimmung vorzuschlagen. Geplant sei nicht nur, öffentliches Küssen auf den Mund zu bestrafen, sondern auch erotisches Tanzen mit fünf Jahren Gefängnis oder umgerechnet 25 000 Euro Geldstrafe zu ahnden.

„Paare, die ohne Trauschein zusammenleben, stören die öffentliche Ordnung. Unser Land hat östliche Werte mit hohen moralischen Standards, anders als westliche Länder, die mit einer solchen Praxis einverstanden sind“, zitiert die Zeitung „Jakarta Post“ einen Regierungsbeamten auf der Insel Batam. Dort werde ab der kommenden Woche mit der Jagd auf Paare begonnen, die in wilder Ehe leben. Die Männer und Frauen erwarte eine Geldstrafe – und die Zwangsehe.

Am 5. April wählen die Indonesier ein neues Parlament, und die Befürworter der neuen Gesetze fischen offenbar im konservativ-islamischen Lager nach Stimmen. Dieses Lager gibt es durchaus, vor allem auf dem Land. Doch die Mehrheit der Indonesier tickt anders: Vulkanausbrüche kennt man aus Indonesien, Moralausbrüche wie diesen eher nicht. Das Land mit der weltweit größten islamischen Bevölkerung hat eine riesige Sexindustrie, gehört zu den korruptesten der Erde und kommt in allen Menschenrechtsberichten schlecht weg. Viagra gibt es am Kiosk, Drogen in manchen Diskotheken beim Kellner. Soldaten und Polizisten schießen wegen Schutzgeldstreitigkeiten aufeinander, Richter lassen verurteilte Massenmörder frei herumlaufen, der Vizepräsident schmückt sich mit dem Doktortitel einer nur im Internet existierenden Uni.

Der populärste Popstar in Indonesien ist die Sängerin Inul, die sich mit ihren lasziven Bewegungen im Land beliebt gemacht hat. Ihre pornografischen, laienhaft aufgenommenen Filme waren im vergangenen Jahr in Jakarta die drei größten Schwarzmarkt-Hits. Sie zeigen zum Beispiel ein unverheiratetes Studentenpaar beim Sex.

Dass die Gesetzentwürfe wirklich umgesetzt werden, gilt als fragwürdig. Der Anti-Oralsex-Gesetzentwurf kommt nämlich von einem Justizminister, der Vorsitzender einer islamischen Zwei-Prozent-Partei ist. Sein Entwurf muss von einem Parlament verabschiedet werden, in dem nur jeder dritte Abgeordnete einer islamischen Partei angehört. Seit Jahrzehnten scheitern regelmäßig Versuche, islamisches Recht in der Verfassung zu verankern, obwohl 90 Prozent der Indonesier Moslems sind.

Jetzt wird der Entwurf erstmal von den Volksvertretern debattiert: Der Kuss-Artikel der „Jakarta Post“ habe den Gesetzentwurf zwar richtig zitiert, sagt der Politiker Achmad Aries Munandar, der an dem Entwurf mitgearbeitet hat. „Aber im Parlament wird über das Gesetz weiterhin heftig gestritten.“

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