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Panorama: Ein Meer von Vorwürfen

Die griechische Küstenwache soll Flüchtlinge ins Wasser geworfen haben. Die dementiert

Der Streit zwischen der Türkei und Griechenland um den Hergang eines Flüchtlingsdramas, bei dem Anfang der Woche vermutlich neun Menschen ums Leben kamen, geht weiter. Türkische Stellen werfen der griechischen Küstenwache vor, sie habe 40 Flüchtlinge vor der kleinasiatischen Küste einfach ins Meer geworfen und damit dem Ertrinken ausgeliefert. Kein Einzelfall, wie das türkische Außenministerium behauptet. Die griechische Regierung weist die Anschuldigungen als erfunden zurück.

Die Flüchtlinge, die unter anderem aus Palästina, dem Irak, dem Libanon, Algerien und Tunesien gekommen waren, hatten nach eigenen Angaben am Montagabend in der Nähe der türkischen Hafenstadt Izmir mithilfe von Schleusern ein Boot bestiegen und im Schutz der Dunkelheit zur gegenübergelegenen griechischen Insel Chios übergesetzt. Dort seien sie von Soldaten der griechischen Küstenwache gestellt und festgenommen worden. In Handschellen hätten die Soldaten die Gruppe auf ein Boot gebracht und bis vor die türkische Küste zurückgefahren. Dort habe man ihnen die Handfesseln abgenommen, sie in Zweierreihen aufgestellt und „uns von dem Boot einfach ins Meer geworfen, ohne auch nur zu fragen, ob wir schwimmen konnten“, zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu einen der Flüchtlinge, der sich Muhammedi Alti nannte.

31 Personen konnten sich nach eigenen Angaben ans Ufer retten. Die türkische Küstenwache barg später die Leichen von sechs Ertrunkenen, drei weitere Menschen werden noch vermisst. Zunächst hatte es in Berichten geheißen, das überladene Boot sei gesunken. Deshalb hätten die Flüchtlinge um ihr Leben schwimmen müssen.

Das griechische Außenministerium und das Ministerium für die Handelsmarine, dem die Küstenwache untersteht, bezweifelten die Darstellung der Flüchtlinge. Es lägen keine Informationen über einen solchen Zwischenfall vor, hieß es in Athen. Eine solche Praxis gebe es auch nicht, sagte eine Sprecherin von Marineminister Manolis Kefalogiannis. „Weder sind in Chios illegale Einwanderer festgenommen worden, noch hat die Küstenwache irgendjemand abgewiesen“, teilte die Sprecherin des Marineministeriums mit. Türkische Anwälte in Izmir baten unterdessen den UN-Hochkommissar für Flüchtlinge um eine Untersuchung des Vorgangs. Das Büro des UN-Flüchtlingskommissars in Ankara teilte mit, man prüfe den Vorgang und insbesondere die Umstände, unter denen die sechs bisher gefundenen Flüchtlinge ertranken. „Wir nehmen diesen Fall sehr ernst, aber wir können nicht sagen, wer die Verantwortung für den Tod der Ertrunkenen trägt“, erklärte eine Sprecherin der UN-Behörde. Statt sich gegenseitig zu beschuldigen, sollten Griechenland und die Türkei gemeinsam versuchen, den Fall aufzuklären, schlug die Sprecherin vor. Die UN-Behörde will sich jetzt um ein gemeinsames Treffen mit Vertretern der griechischen und der türkischen Küstenwache bemühen.

Inzwischen beantragte der türkische Oppositionsabgeordnete Ahmet Ersin beim Menschenrechtsausschuss des Parlaments in Ankara, Griechenland wegen des Vorfalls zu verurteilen. Nach Darstellung der türkischen Küstenwache handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Schon 2004 und erneut im Mai 2006 habe man auf Video dokumentiert, wie die griechische Küstenwache Flüchtlinge auf See aussetzte. Auch der Sprecher des türkischen Außenministeriums, Namik Tan, erhob den Vorwurf, es sei zunehmend Praxis der griechischen Küstenwache, ganze Gruppen von illegalen Einwanderern in türkischen Gewässern auszusetzen. Tan forderte die Athener Regierung auf, diese angebliche Praxis zu ändern und „dem menschlichen Leben Vorrang“ zu geben.

Doch das griechische Außenministerium erhebt seinerseits Vorwürfe gegen Ankara: Die Türkei halte sich nicht an ein bilaterales Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen. Ankara habe sich verpflichtet, illegale Einwanderer zurückzunehmen, die aus Kleinasien nach Griechenland kommen, tue dies aber nur in den seltensten Fällen.

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