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Panorama: Ein Piercing macht noch keine Nofretete

Mit dem angeblichen Fund erregte der US-Sender Discovery Channel großes Aufsehen – die Argumente der Kritiker

Von Andreas Oswald

Die Nachricht erregte großes Aufsehen. Hat die britische Forscherin Joann Fletcher wirklich die Leiche von Nofretete gefunden? Jener Frau, deren berühmte Büste in Berlin steht, die erst jetzt einen kleinen Skandal hervorgerufen hat, weil sie für eine Kunstaktion verwendet wurde? Es wäre eine Sensation.

Die Fachwelt zeigt sich skeptisch. Manche Ägyptologen wollen sich mit dieser These noch nicht einmal auseinander setzen, andere versuchen, die Argumente zu entkräften.

Die Berliner Ägyptologin Alexandra von Lieven nennt die Haupteinwände:

Ähnlichkeit ist kein Kriterium. Erwachsene Menschen können sehr ähnlich aussehen, sie bleiben verschiedene Personen. Diese Zweifel gelten erst recht bei einem Vergleich der Büste und der besagten Mumie „61072“, der Grabräuber die Zähne ausgeschlagen haben.

Die angeblich in dem Grab gefundene Perücke belegt gar nichts. Eine DNA-Analyse der Haare könnte mit nichts verglichen werden, weil keine DNA von Nofretete existiert.

Das doppelte Ohrenpiercing belegt nur, dass es sich bei der Mumie um ein Mitglied einer königlichen Familie gehandelt hat, was ohnehin klar war. Wer es genau war, ist unklar. Eine Zuordnung zu Nofretete ist willkürlich.

Die mumifizierte Person war anatomischen Studien zufolge zum Todeszeitpunkt etwa 25 Jahre alt. Nofretete, die sechs Kinder hatte, war zum Todeszeitpunkt wahrscheinlich deutlich älter.

Es ist nahezu ausgeschlossen, die Leiche von Nofretete zu finden, weil diese niemals ein zweites königliches Begräbnis bekommen hätte. Die vorliegende Mumie „61072“ liegt aber nach übereinstimmender Auffassung der Forscher in ihrem zweiten Grab, in das sie lange nach ihrem Tod gebettet wurde, ebenso wie die anderen beiden Mumien neben ihr. Warum kann Nofretete keine nachträgliche Umbettung in ein königliches Grab erfahren haben? Weil ihr Ehemann Echnaton nach seinem Tod wegen seiner Religionsreform geächtet war. Nach der Plünderung der Gräber hätten Priester niemals ihn und seine Frau erneut feierlich bestattet, wie das bei den vorliegenden Mumien der Fall gewesen ist.

Aber wo liegt das Grab? Es kommt nur Tel el-Amarna in Frage, wo Echnaton residierte. Das liegt aber weit von dem genannten Grab entfernt. Es wurden geplünderte Gräber gefunden, in denen Echnaton und Nofretete gelegen haben könnten. Dort fanden sich verkohlte Leichen – eine angemessene Behandlung von Überresten von Geächteten und Verbrechern in der damaligen Zeit.

Der US-Fernsehsender Discovery Chanel, der das Projekt von Joanne Fletscher finanzierte und eine Dokumentation ausstrahlen wird, ist sich möglicherweise auch nicht ganz sicher. Der Sender zitiert die deutlich skeptische Stimme einer Kollegin von Fletcher an der Universität in Cambridge, Susan James. Sie hatte selbst über die drei Mumien geforscht und sieht in den bisher veröffentlichten Daten keine Anhaltspunkte dafür, dass eine von ihnen Nofretete sein könnte: „Ohne einen DNA-Abgleich haben alle Behauptungen sowieso nur begrenzten Wert“, sagte sie dem US-Sender, der mit der Geschichte am Dienstag groß herauskam. Die Spezialistin der Amerikanischen Universität in Kairo, Salima Ikram, nannte die Annahme ihrer Kollegin „interessant“. Sie dürfte in Zukunft zu „endlosen Spekulationen“ führen.

Susan James spricht gegenüber AFP von „reinem Wunschdenken“. Ihr Fazit: „Bislang können wir nur annehmen, dass es sich bei der Mumie um eine junge Frau aus der 18. Dynastie handelt, die womöglich zur königlichen Familie gehörte.“

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