Panorama: Eine Demonstrantin für alle Fälle
Jane S. macht bei jedem Protest mit. Für zehn Euro pro Stunde. Agenturen bieten den Service an
Zum Beispiel Jane S.. Die Mainzer Studentin ist 1,75 Meter groß, sie hat braune lange Haare. Im Internet gibt es ein Foto von ihr, auf dem sie hübsch lächelt. Gleich darunter steht der Link, über den man Jane mieten kann – nicht etwa für romantische Stunden, sondern für Protestaktionen.
Jane ist Miet-Demonstrantin. Für rund zehn Euro pro Stunde geht sie auf die Straße, um die Meinung von Vereinen, Verbänden oder Unternehmen zu vertreten. Ein neuer Trend, der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ausgelöst wurde: Im Dezember startete der Verband vor dem Berliner Reichstag eine PR-Aktion, bei der Studenten und Arbeitslose an Stelle echter Mediziner auftraten. Allerdings betont die KBV, dass es sich hierbei um eine PR-Veranstaltung gehandelt habe. „Wir würden nie Demonstranten kaufen, damit diese unser Anliegen medienwirksam vertreten“, sagt Roland Stahl von der KBV.
Doch anderen Organisationen scheint die Idee der mietbaren Meinungsvertreter zu gefallen. Seit Jahresbeginn häufen sich beim virtuellen Mietmarkt www.erento.com die Anfragen nach käuflichen Protestlern. „Anscheinend fällt es Vereinen und Verbänden immer schwerer, ihre Mitglieder zu mobilisieren“, sagt Till Bonow von erento.com. Auf der Homepage gibt es deshalb jetzt neben Köchen, Dolmetschern und Sekretärinnen auch Demonstranten zu mieten – prinzipiell geht es dabei um ihre bloße Präsenz. Die zu vertretende Meinung wird ihnen schließlich vom Auftraggeber vorgegeben.
Rund 300 Menschen bieten sich bei erento.com zurzeit für einen solchen Job an. Die meisten von ihnen sind Studenten - die können ihre Zeit oft frei einteilen, können und wollen ihr knappes Budget aufbessern. Allein in der ersten Januarwoche hat erento.com etwa 50 Anfragen nach solchen Miet-Demonstranten bekommen, sagt Bonow. Beispielsweise von einem Sozialverband, der am 14. Januar bei einem Protestzug in München mitmachen möchte. Viele der Mitglieder sind jedoch zu alt, um mit Banner und Trillerpfeife stundenlang auf der Straße zu stehen. Deshalb sucht der Verband nun lebende „Dummies“, die stattdessen protestieren – allerdings so, dass niemand den Schwindel bemerkt. „Vielen Interessenten ist es unangenehm, dass sie sich fremde Demonstranten suchen müssen“, sagt Bonow. Er gibt jedoch Entwarnung: „Echte Protestler sind von den gefälschten nicht zu unterscheiden.“
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die gekauften Protestler das jeweilige Anliegen glaubwürdig vertreten. Letztendlich entscheidet bei erento.com deshalb jeder Protest-Vermieter selbst, welches Angebot er annimmt. Das Unternehmen dient nur als Vermittler. 4,9 Prozent Provision verdient die Internetplattform, wenn ein Miet-Demonstrant gebucht wird.
Bei den meisten Meinungs-Vermietern sind zudem PR-Agenturen zwischengeschaltet, die hier ebenfalls einen neuen Markt entdecken. So wie take 3, die Agentur der Mainzer Studentin Jane. take 3 prüft für sie die Angebote und leitet sie weiter. Bislang hat das Unternehmen nur eine Demonstration bestückt – eine getarnte PR-Aktion des Druckerherstellers Oki. Mit dem Slogan „Mehr Farbe für Frankfurt“ wurden die Protestler auf die Straße geschickt – mit Bannern und Demo-Outfit. Bei solchen Veranstaltungen macht auch Jane mit, politischen Kundgebungen gegenüber bleibt sie jedoch skeptisch. „Ich würde nicht überall mitprotestieren. Schon gar nicht, wenn es einen rechtsextremistischen Hintergrund gibt“, sagt sie. Bei politischen Demonstrationen vertritt sie lieber ihre private Meinung – so wie beim Mainz Besuch von US-Präsident George W. Bush im Februar 2005, als sie gegen den Irak Krieg demonstrierte.
Ihr Kollege Artur, 25, und ebenfalls Student in Mainz, sieht seinen Job als Miet-Demonstrant lockerer. „Heute ist es doch nicht mehr so wichtig, welche Ideologie man vertritt“, sagt er. Aber auch für ihn gilt: „Für eine rechtsextremistische Vereinigung würde ich nicht auf die Straße gehen.“
Roland Stahl von der KBV sieht den Markt für Miet-Protestler generell kritisch. Es sei ein schlechtes Zeichen, wenn sich Organisationen fremde Personen mieten müssen, damit diese für ihr Anliegen protestieren. „Wenn Verbände ihre eigene Klientel nicht mobilisieren können, läuft etwas falsch“, sagt er. Deshalb rät er keinem Verband, mit solchen Mitteln auf sich aufmerksam machen zu wollen. „Das beschädigt die Glaubwürdigkeit“, sagt er.