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Panorama: Eine Farbe wie Fanfaren

Kein Staatsempfang kommt ohne ihn aus und kein Festival – woher eigentlich hat der rote Teppich seine magische Bedeutung?

Über diese Brücke muss er geh’n. Sie ist herrlich rot und führt in breiter Bahn zum Eingang vom Berlinale-Palast. Es ist Donnerstag, 18 Uhr 30, eine Limousine mit Jürgen Trittin fährt vor, Eröffnungsgala des 54. Filmfestes, der Minister wartet kurz auf seine Begleiterin, dann betritt er den Teppichboden, welcher an der Kante um 45 Grad angeschrägt wurde, damit ja kein Prominenter im Scheinwerferlicht strauchelt.

Das magische Textil wird links und rechts flankiert von Absperrgittern, dahinter drängeln und stapeln sich die Fotografen. „Umdrehn, Herr Trittin! Hierher bitte! Mehr nach links, nach links!!" Der Minister schaut, als müsse er in Aalschleim baden. Er versteht vielleicht nicht, dass auf dem roten Teppich zum Star wird, wer alltags über Dosen und Windräder gebietet. „Scheiße", brüllt einer enttäuscht, „nur Rücken drauf." Ein Stück vom Rücken ist nur beim Fleischer von hohem Wert, für People-Fotografen ist es ein Fiasko.

Distanzgewinn

Es wird besser, ja doch, die Profis mit „Bunte"-Erfahrung tröpfeln nach und nach ein, Meret Becker giggelt und hüpft, Peter Lohmeyer posiert auf einem Bein, Marie Bäumer steht goldumflort, auf Iris Berben ist Verlass, Klaus Wowereits Aufzug wird von studentischem Protestgeheul begleitet, Polizei rückt an, „große Klasse", seufzt beglückt ein Fotograf. Und prachtvoll leuchtet unter allem der rote Teppich. Einhundertsechzig Lämpchen in Knöchelhöhe funkeln.

Schon klar, warum der grüne Umweltminister fremdelt. Er kennt die „zeremonielle Gebrauchsware", wie ein preußischer Beamter sie nannte, von Konferenzen und internationalen Gipfeltreffen. Da wird sie ausgerollt als Zeichen staatlicher Souveränität. Da wird sie ohne Klamauk tapfer abgeschritten.

Mythos roter Teppich – wo kommt er her, was hat er für eine Bedeutung?

Der kleinen Frage folgte eine Odyssee zu den Koryphäen deutscher Universitäten, Kulturwissenschaft, Kunsthistoriker, Ethnologie… Von „Bodensymbolik" raunte einer, „Absolutismus" wähnte ein anderer. Am Ende lag alle Hoffnung auf einem Hamburger Professor, Experte für politische Ikonographie. Auch er musste passen.

Der Protokollchef des Bundespräsidenten dagegen hat selbst schon mal in Bibliotheken geforscht. „Im Blutrot des ausgerollten Bodenbelags sahen schon Kelten und Germanen ein Zeichen…" Viel weiter war er nicht gekommen.

Rettung brachte schließlich das Auswärtige Amt. Es gäbe da ein Büchlein, „Die rote Spur", nicht sehr umfangreich, und gleich auf Seite zwei stehe, der rote Teppich sei ein „Stiefkind der Kulturgeschichte". Das Amt würde faxen. Immerhin etwas.

Mutter Beimer ist jetzt da, 18 Uhr 48, sie steht auf dem Stiefkind und winkt zu den Fans. Sie winkt, als würde sie Fettflecken von einer Fensterscheibe wischen. Die Queen winkt auch immer so. In flottem Rhythmus halten nun die Limousinen. Nervös wippt eine fliegende Kamera des Fernsehens, eine Art Fieberthermometer, an dessen Ausschlägen sich Prominenz ablesen lässt.

Hallo Mutter Beimer! Das Stiefkind soll auf Ferdinand und Isabella von Kastilien zurückgehen, die einen roten Teppich als Thronweg nutzten. 1296 in Granada war das. Und die Habsburger schleppten die Sitte an den Wiener Hof. Und später schleppten koloniale Eroberer das Brauchtum um die Welt. Es gibt da die hübsche Geschichte von dem deutschen Kapitän, der beim Landgang auf dem Bismarck-Archipel mit einem Kokosläufer empfangen wurde, gefärbt in Schweineblut. Die Gastgeber entschuldigten sich heftig im Glauben, die Sitte des weißen Mannes erfordere Blut von Menschenopfern.

So etwas liegt hier nicht aus am Marlene-Dietrich-Platz. Der rote Teppich wurde in Rollen angeliefert, je 30 laufende Meter, eingepackt in Zellophan. Daneben standen Plastikeimer, 15 Kilo, „dispersions-teppichkleber". Es handele sich, sagte ein Handwerker, um Schlingenware („kein Velour"!), Typ B1, besondere Merkmale: trittfest und nicht brennbar. Das Paradestück zwischen Auffahrt und Tür misst exakt 5,55 Meter in der Breite und 16 Meter an der längsten Stelle.

Die 88 Quadratmeter verweisen auf die großen und die kleinen Unterschiede. Nicht jeder darf den roten Teppich betreten. Nicht jeder, der ihn betreten kann, darf mit dem Wagen vorfahren. Nicht jeder, der ihn betritt, wird beachtet. Dieses bisschen Auslegware bringt Distinktionsgewinn – oder auch brutale Peinlichkeit.

Es lassen sich mit der Zeit verschiedene Typen unterscheiden. Typ A stürmt mit hochgeschlagenem Mantelkragen an den Kameras vorbei, bar jeder Hoffnung, von Fotografen angesprochen zu werden. Typ B trägt den Mantel locker überm Arm und signalisiert gegrundsätzliche VIP-Bereitschaft. Typ C kommt in so luftiger Garderobe, dass jeder Kameramann erschrocken anfängt zu filmen, weil er keine wirklich Prominenten verpassen darf.

Typ D ist Claudia Schiffer. Um 18 Uhr 50 ist sie da, und es wird klar, was der Maler Kandinsky gemeint hat mit dem Satz, die Farbe Rot erinnere ihn an den Klang von Trompeten. Eine blonde Woge lässt sich da bestaunen, die Schultern frei, das Täschchen mit beiden Händen schamhaft gehalten. Nun wird sogar der Rücken fotografiert, ohne zu fluchen. Acht Minuten benötigt Frau Schiffer für die 16 Meter Wegstrecke, und sie wirkt nicht einmal hektisch dabei.

So viel monarchisches Gepränge ist nicht immer und überall. Insgesamt 1700 Quadratmeter der roten Schlingware liegen dieser Tage in Kinos, Hotels und Foyers. Das profanisiert natürlich, aber egal: Am Ende fliegt der ganze rote Mythos sowieso in den Müll.

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