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Panorama: Eine große Stimme

Der deutsche Bariton Thomas Quasthoff hat in Los Angeles einen Grammy erhalten – es ist schon sein zweiter

Wenn Thomas Quasthoff sich selbst beschreibt, dann fällt das knapp und bündig aus: „1 Meter 31 groß, kurze Arme, sieben Finger, großer Kopf. Beruf: Sänger.“ Letzteres freilich ist schamlos untertrieben. Denn Quasthoff ist nicht irgendein Sänger. Thomas Quasthoff ist so etwas wie die Galionsfigur unter den neuen deutschen Baritonen. Längst haben die Söhne und Enkel eines Dietrich Fischer-Dieskau oder Hermann Prey die Konzert- und Opernbühnen dieser Welt erobert, längst sind sie aus dem internationalen Klassikgeschäft nicht mehr wegzudenken. Ihre Namen sind Musikliebhabern wohl bekannt. Sie heißen Matthias Goerne, Dietrich Henschel, Stephan Genz oder Roman Trekel – und Quasthoff, der kleine Mann mit der großen Stimme, war ihnen fast immer einen Schritt voraus. Quasthoff nämlich kennen auch andere. Weil er nicht nur Klassik singt, sondern auch Jazz (mit steigender Begeisterung). Und weil er sich immer wieder sozial engagiert – für die Opfer von Tschernobyl, für die Aids-Stiftung, für die Förderung musikalisch Hochbegabter.

Dass der Bass-Bariton nun in Los Angeles bereits zum zweiten Mal nach 1999 mit einem Grammy-Award in der Kategorie „Beste klassische Gesangsdarbietung“ geehrt wurde, mag ihm Bestätigung und Herausforderung zugleich bedeuten – wie das bei seriösen Künstlern eben so ist. Auch an seiner Einstellung gegenüber Events wie der Grammy-Verleihung dürfte sich wenig geändert haben: Ein bisschen Glamour sei ja ganz hübsch, so sagte er vor fünf Jahren, aber wirklich wichtig blieben für ihn doch der Applaus des Publikums sowie Anerkennung und Kritik ihm nahe stehender Menschen. Gleichwohl dürfte die Trophäe – ein goldenes Grammophon auf einem Holzsockel – die Einrichtung im Hannoveraner Wohnzimmer des Sängers schmücken. Schon das Vorgänger-Exemplar nämlich (für die „Wunderhorn“-Lieder von Gustav Mahler) fand Quasthoff „ganz schön“.

1959 in Hildesheim geboren, gehört Thomas Quasthoff zu den ersten Contergan-Opfern, und er hat sich mit seiner Behinderung immer wieder sehr beherzt auseinander gesetzt, auch und gerade in der musikalischen Öffentlichkeit. Er wolle, so Quasthoff, nicht als behinderter Künstler wahrgenommen werden, sondern als Künstler mit einer Behinderung. Das, so scheint es, hat er erreicht, mit dem ihm eigenen Mut, mit Fleiß und Zähigkeit. Nach anfänglichen Diskriminierungen nämlich (so blitzte er beispielsweise an der Musikhochschule in Hannover ab, weil er nicht Klavier spielen konnte) hat sich längst auch jeder „Krüppel-Bonus“ verflüchtigt. Quasthoffs Preise (u.a. der Erste Preis beim Internationalen ARD-Musikwettbewerb in München 1988) und Ämter (auf eine Gesangsprofessur in Detmold folgte 2003 die Professur an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin) sind Ausdruck einer steilen, naturgemäß entbehrungsreichen Karriere, die sich in nichts von den Karrieren nicht behinderter Kollegen unterscheidet.

Der größte Teil seines derzeitigen Lebens, so verriet Thomas Quasthoff dem „Tagesspiegel“ erst im vergangenen Jahr, bestehe sprichwörtlich aus Schlagsahne: „Meine Karriere versetzt mich in die Lage, mit den tollsten und wichtigsten Orchestern und Dirigenten auf der ganzen Welt Musik machen zu dürfen. Da ist viel Glück dabei, aber auch viel Arbeit.“ Harte Arbeit? „Ach was! Seien Sie mir nicht böse, aber ich finde das lächerlich. Die Wahrheit sieht doch so aus: Als Künstler werde ich sehr, sehr gut bezahlt. Außerdem komme ich an Orte, von denen ich als normaler Mensch nur hätte träumen können. Harte Arbeit, das ist acht Stunden am Band stehen und Schrauben drehen.“

Auch das so genannte richtige Leben aber fand in Thomas Quasthoffs Biografie Eingang. Bereits als 13-Jähriger hatte er begonnen, Gesang, Musiktheorie und Musikgeschichte zu studieren (privat bei Charlotte Lehmann in Hannover). Nach einem abgebrochenen Jura-Studium arbeitete er sechs Jahre lang zunächst in einer Sparkasse („der ultimative Horrortrip“), um dann eine Laufbahn als Sprecher beim Norddeutschen Rundfunk einzuschlagen. Heute ist der Konzert-, Lied- und Oratoriensänger in der ganzen Welt zu Hause, an der Seite von Pultstars wie Daniel Barenboim, Kurt Masur oder Simon Rattle. Rattle war es auch, der Quasthoff bei den letzten Salzburger Osterfestspielen zu seinem Operndebüt überredete: als Minister in Beethovens „Fidelio“. Folgen werden der Amfortas in Wagners „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper und Alberich im „Rheingold“ in Baden-Baden.

Prämiert wurde Thomas Quasthoff am Sonntag bei der 46. Verleihung der „Oscars der Musikindustrie“ gemeinsam mit der schwedischen Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter für eine Aufnahme von Schubert-Liedern unter Claudio Abbado (erschienen bei der Deutschen Grammophon). Eine Glücksstunde. „Ich habe genug Widrigkeiten im Leben erfahren, um zu wissen, wovon ich singe. Ich glaube, ich kann wirklich sagen, dass ich die Tiefen kennen gelernt habe. Und deswegen jetzt auch die Höhen schätze.“

Christine Lemke-Matwey

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