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Panorama: Elitenbildung auf Türkisch

In Spandau gibt es seit Herbst 2004 das erste von Türken gegründete Gymnasium der Stadt. Ein Besuch

Die 28 Siebtklässler fallen auf, wenn sie morgens um sieben Uhr in die U-Bahnen steigen. Die Jungen des Privatgymnasiums Tüdesb in Spandau erkennt man an den grauen Flanellhosen, weißen Hemden, an den Krawatten und blauen Pullunder. Die Mädchen tragen statt der Hosen blau-weiß karierte Faltenröcke. „Die Kinder sollen sich über die Uniformen mit der Schule identifizieren, sagt der Schulleiter. Nicht alle Kinder sind begeistert. „Da wird man immer so blöd angeguckt in der U-Bahn“, sagt ein Junge. „Da gewöhnt man sich dran“, sagt ein Mädchen. Noch ist alles neu: Sie sind die ersten Schüler des ersten von Türken gegründeten Gymnasiums in Berlin.

Die Schüler kommen von überall her, einige brauchen länger als eine Stunde, um das alte Kasernengelände in der Wilhelmstraße zu erreichen. Für den Sportunterricht fahren sie nochmal 40 Minuten in die Turnhalle des Johannesstifts. Außerdem müssen die Familien pro Jahr 2850 Euro Schulgeld plus Essensgeld bezahlen. Ab kommenden August sollen es sogar 4000 Euro sein.

Für ihren langen Schulweg und das viele Geld wird den Kindern allerdings auch einiges geboten: kleine Klassen mit nur 14 Schülern, schick sanierte Klassenzimmer, gut ausgestattete Computer- und Laborräume – und vor allem Unterricht von 8.30 bis 16 Uhr. Dazu gehören fünf Extra-Stunden Deutsch, da viele Schüler aufgrund ihrer türkischen Herkunft noch nicht perfekt Deutsch sprechen. Außerdem bekommen die Mädchen und Jungen fünf zusätzliche Englischstunden, sie sollen einmal das bilinguale Abitur in Deutsch-Englisch bestehen. Und – nach Angaben des Schulleiters – fallen nur 0,4 Prozent des Unterrichts aus statt der in Berlin üblichen fünf Prozent.

Die Lehrer und der Schulleiter sind Deutsche. Das Einzige, was darauf hinweist, dass man sich in einem von Türken gegründeten Gymnasium befindet, ist die Tatsache, dass Türkisch als zweite Fremdsprache angeboten wird „Türkisch als zweite Fremdsprache ist von Vorteil“, sagt Kamil Kan, dessen 12-jährige Tochter Fatma die Schule besucht. Aber in erster Linie habe ihn das bilinguale deutsch-englische Konzept und die „familiäre“ Atmosphäre überzeugt. Seiner Tochter gefällt besonders, dass sie mit ihren Mitschülern zusammen Mittag essen kann.

Kans ältere Tochter besucht ein staatliches Gymnasium. Dort gebe es fast nur Kinder mit einer Empfehlung für die Realschule. Kan glaubt, dass seine Tochter in dem privaten Gymnasium mehr lernen kann. Dass es dort keinen Islam-Unterricht gibt, stört ihn nicht: Die religiöse Unterweisung könne auch woanders stattfinden. Ihm geht es vor allem darum, dass seine Tochter – eine von drei Schülerinnen mit Kopftuch – viel lernt. Dass es in Berlin bisher „kaum türkische Intellektuelle“ gibt, bedauert er sehr. „Wir haben viele Lücken.“

Die Bildung der Schüler aus türkischen Elternhäusern zu fördern, darum geht es auch Soner Eroglu, dem Vorstandsvorsitzenden des Trägervereins Tüdesb. Bisher machen nur rund acht Prozent der Berliner Türken Abitur, ein Drittel schafft überhaupt keinen Abschluss. Bei den Deutschen ist das Verhältnis umgekehrt. Damit mehr türkische Kinder Abitur machen und die Universität besuchen, hat Tüdesb das Gymnasium gegründet. Die Miete ist billig, aber noch gibt es zu wenig Schüler, um nur mit dem Schulgeld die Kosten zu decken. Für die Differenz kommen laut Eroglu 85 der 300 Vereinsmitglieder auf.

Auch bei der Renovierung der Räume in dem Altbau auf dem Kasernengelände haben Vereinsmitglieder geholfen. Sie haben den PVC-Boden, die fast neuen Möbel aus der geschlossenen Kreuzberger Rosegger-Grundschule nach Spandau transportiert, sie haben das Biologie-Labor ausgestattet und hochwertige Computer gespendet. Die schicken schwarzen Ledersofas im Empfangszimmer stammen von Schering. Eroglu klappt auf dem Konferenztisch seinen Laptop auf, um Fotos von Tüdesb-Veranstaltungen zu zeigen. Malerei von Kandinsky läuft über den Bildschirmschoner. Eine Frau serviert Kaffee und türkisches Gebäck.

Die Schule will aber nicht nur für türkische Familien da sein. Um auch deutsche zu interessieren, die keinen Türkischunterricht wünschen, soll jetzt Französisch als zweite Fremdsprache hinzukommen. Großen Wert legt man auch darauf, dass die Eltern miteinbezogen werden. Zwei bis drei Studenten, die Stipendien von Tüdesb haben, betreuen die Schüler, sagt Schulleiter Joachim Bluhm. Er stammt aus Ostberlin und hat bisher kaum Erfahrung mit türkischen Familien. Die Studenten rufen zu Hause an, wenn Hausaufgaben nicht gemacht sind oder Unterschriften fehlen. Außerdem will man den Eltern mit Gesprächen und Seminaren „auf dem Weg der Erziehung in allen Lebenslagen beistehen“, kündigt der Werbeprospekt an. Schließlich können die Schüler kostenlos am Nachhilfeunterricht teilnehmen, der sonnabends in den Tüdesb-Filialen stattfindet.

Die Betriebserlaubnis der Schule wurde zum 1. Oktober 2004 erteilt – zur großen Überraschung der Öffentlichkeit. Wie konnte es sein, dass 40 Jahre nach Beginn der türkischen Einwanderung eine so ambitionierte Schule entsteht, ohne dass selbst der Türkische Bund davon weiß? Eroglu kann dieses Erstaunen nicht verstehen. Immerhin sei Tüdesb seit über zehn Jahren in Berlin aktiv.

Bei der Schulgründung im Herbst rätselte man, ob der Verein mit der in der Türkei aktiven streng konservativen Nurculuk-Bewegung und dem Netzwerk des ebenso konservativen Predigers Fethullah Gülen in Verbindung steht. Beide Netzwerke unterhalten weltweit Eliteschulen und Stiftungen, die säkularen Unterricht anbieten, verfolgen aber gleichzeitig das missionarische Ziel, den islamischen Glauben zu verbreiten. Dabei setzen sie auf Werte wie Demut, Pflichtbewusstsein und kämpfen gegen die westliche „Konsumsucht“ und Bequemlichkeit, wie jüngst eine Dissertation an der Universität Bochum herausgearbeitet hat.

Mit der Nurculuk-Bewegung und Gülen habe Tüdesb nichts zu tun und schon gar nicht das Gymnasium, sagt Eroglu. „Ich persönlich liebe aber Gülen“, gesteht er dann doch ein, „ich lese seine Bücher und finde seine Argumentation sehr schön.“ Auch nehme er religiöse Vorschriften ernst, aber das sei seine Privatsache. Einer türkischen Journalistin hat er allerdings bis heute nicht verziehen, dass sie bei ihrem Besuch im November während des Ramadan den Tee getrunken hat, der ihr angeboten wurde.

Anmeldungen für das nächste Schuljahr nimmt das Gymnasium bis zum 18. März entgegen (Tel. 36289213).

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