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Panorama: Entführung bizarr

Höflich, freundlich und gut informiert war der Kidnapper – aber seine Motive sind völlig unklar

Mit vollendeter Höflichkeit verabschiedete sich Hakan Ekinci von den Passagieren des Turkish-Airlines-Fluges 1476. „Entschuldigen Sie bitte vielmals, und gute Nacht allerseits“, sagte der 28-Jährige, bevor er im süditalienischen Brindisi die Maschine verließ. Die Passagiere applaudierten freundlich. Damit ging die bizarrste Flugzeugentführung der vergangenen Jahre zu Ende. Ekinci, ein vorbestrafter Deserteur der türkischen Armee, hatte die mit einem eleganten Tulpen-Muster lackierte Boeing auf dem Flug von Tirana nach Istanbul über dem griechischen Luftraum in seine Gewalt gebracht und in Italien landen lassen. Als er nach seiner Festnahme am späten Dienstagabend in Handschellen von der Polizei abgeführt wurde, lächelte er.

„Verrückt“ sei ihr Bruder, sagte Ekincis Schwester Zeynep einer türkischen Zeitung. Ekinci selbst präsentierte sich in einem Ende August verfassten Schreiben an den Papst als verfolgter Christ, der zum Militärdienst in der muslimischen Türkei gezwungen werden solle. Sechs Selbstmordversuche will er deshalb verübt haben. Der unter anderem wegen Dokumentenfälschung vorbestrafte Wehrpflichtige hatte sich im Mai von seiner Einheit abgesetzt und war nach Albanien geflohen. Von dort aus richtete er seinen Appell an den Papst, der aber unbeantwortet blieb. Am Dienstag sollte er aus Tirana ohne Polizeibegleitung in die Türkei abgeschoben werden, nachdem sein Asylantrag in Albanien abgelehnt worden war. Die türkischen Behörden erwarteten Ekinci in Istanbul mit einem Haftbefehl. Dann entführte Ekinci die Boeing.

Ekincis Schwester beschrieb ihren Bruder als frommen Muslim, der stets einen Koran in der Hand hatte, und säte damit Zweifel an der christlichen Motivation des Luftpiraten. Auch der Verband der türkischen Wehrdienstverweigerer distanzierte sich von Ekinci: Dieser habe „Widersprüchliches und Sonderbares“ von sich gegeben.

Sonderbar mag Ekinci sein, dumm ist er offenbar nicht. Der Pilot der entführten Maschine, Murat Gökalp, berichtete, der Entführer habe sich sehr gut mit den Regeln der internationalen Luftfahrt ausgekannt; sogar die bei einem Notfall vom Piloten verwendeten Codes an die Bodenstation habe sich Ekinci im Internet angelesen. Der Besatzung drohte Ekinci, er habe Komplizen an Bord, die das Flugzeug auf seinen Befehl hin in die Luft jagen würden. Hin und wieder schaute er durch ein Guckloch in der Cockpittür in den Passagierraum und tat so, als ob er Kontakt mit seinen Mittätern halte. Auf diese Weise schaffte es der Unbewaffnete, die 113 Menschen an Bord in seine Gewalt zu bringen.

Kapitän Gökalp, ein ehemaliger Militärpilot und Sicherheitsbeauftragter von Turkish Airlines, wies Vorwürfe zurück, in seinem Flugzeug seien Sicherheitsvorkehrungen missachtet worden. Die Cockpittür sei vorschriftsmäßig verschlossen gewesen, sagte er. Der Täter habe jedoch den Moment abgewartet, in dem die Crew den Piloten eine Mahlzeit servieren wollte, eine Stewardess aus dem Weg gestoßen und sich ins Cockpit gedrängt. Anders als die Behörden in Istanbul wusste Pilot Gökalp nicht, dass sich ein abgeschobener Deserteur in seiner Maschine befand. „Warum wurde Ekinci nicht von Sicherheitskräften begleitet?“ fragte der türkische Fernsehsender NTV. Während in der Türkei die Schuldfrage debattiert wird, überlegen die italienischen Behörden, was mit Ekinci geschehen soll. Während seiner Aktion hatte Ekinci nach Angaben des Kapitäns gesagt, er wolle einen Brief an den Papst an die Öffentlichkeit bringen. Nach seiner Festnahme in Brindisi konnten die italienische Polizei jedoch keinerlei Schreiben bei dem Luftpiraten finden – offenbar war der Brief genauso erfunden wie die angeblichen Komplizen an Bord. Immerhin setzte Ekinci mit seinem Bluff einen Freiflug nach Italien durch. Ob er nun an die Türkei ausgeliefert wird, wo ihm allein wegen Flugzeugentführung bis zu 17 Jahre Haft drohen, ist unklar.

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