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Panorama: Er hört aufs Wort

Der Bordercollie Rico lernt neue Begriffe so effektiv wie ein Kleinkind – sogar ohne Sichtkontakt zum Menschen

„Ich habe mehr als sechzig Mails von Hundebesitzern bekommen“, sagt Julia Fischer. „Alle behaupten, ihr Hund könne sprechen“, fügt sie lachend hinzu. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel zeigte sich die Verhaltensbiologin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig von den vielen Reaktionen nicht überrascht. Schließlich hatte sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Juliane Kaminski am Donnerstag in Berlin den Vierbeiner Rico präsentiert – einen wahren Sprachkünstler. Selbst die „Washington Post“ und die „New York Times“ hatten über die Leistungen des neuneinhalbjährigen Bordercollie berichtet.

„Sprechen kann Rico zwar nicht, aber er kann viel verstehen“, erklärt Fischer, Leiterin des EVA-Teams, dessen Studie jetzt im renommierten Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurde. Die erstaunliche Ergebnis ist, dass der Hund Rico in mancher Hinsicht Lernvermögen und geistige Kombinationsfähigkeiten besitzt wie ein etwa dreijähriges Kind.

Auch im Fernsehen war zu sehen, wie Rico zielsicher Spielzeuge oder Kuscheltiere auswählte. Aus einer Vielzahl auf dem Boden ausgebreiteter Gegenstände fand er genau das Ding, das seine Besitzerin Susanne Baus ihm nannte. „Rico kennt mittlerweile 250 Begriffe“, sagt die Dortmunderin.

Nicht nur auf die Worte seines Frauchens hört der schwarze Rüde mit weißen Pfoten. Auch fremde Stimmen geben ihm Orientierung, vorausgesetzt die Aussprache ist deutlich. „Und freundlich muss es klingen“, betonte Baus, denn Rico folge dem Lustprinzip. Und offensichtlich macht ihm die Sucherei Spaß, so eifrig apportierte er Plüschbärchen oder Bälle. Zufrieden legte er sich dann seinem Frauchen zu Füßen, hob den Kopf und wartete auf die nächste Herausforderung. Nur wenn ihm die Blitzlichter der Fotografen auf die Nerven gingen, bellte er kurz auf.

Medienerfahrung hat Rico schon reichlich sammeln können, schließlich ist er 1999 und 2001 Wettkönig bei „Wetten, dass“ geworden. Durch diese Fernsehauftritte wurden die Leipziger Forscherinnen auf den klugen Hund aufmerksam. Sie wollten herausfinden, ob Rico nicht eventuell auf versteckte Gesten reagiere.

„Hunde leben seit mindestens 15000 Jahren mit Menschen zusammen“, erklärt Juliane Kaminski. In dieser Zeit hätten sie sich stark an den Menschen angepasst und gelernt, dessen Gesten als Signale zu werten. Bei den Leipziger Tests stellte sich aber heraus, dass Rico auch ohne Sichtkontakt die Worte richtig interpretieren konnte.

Und der Hund kann noch mehr. Er kann seinen Wortschatz eigenständig erweitern. Die Forscherinnen entwickelten dafür einen speziellen Test. Zunächst legten sie zu einer Reihe dem Hund bekannter Gegenstände einen fremden. Dann forderten sie Rico mit einer für ihn neuartigen Bezeichnung auf, diesen Gegenstand zu holen. In sieben von zehn Fällen lag Rico richtig.

Und sogar nach mehreren Wochen, in denen der neue Begriff nicht mehr gebraucht worden war, erinnerte sich Rico in der Hälfte der Fälle noch daran. „Das ist die Trefferquote eines dreijährigen Kindes“, sagt Fischer.

Von „schnellem Zuordnen“ sprechen die Wissenschaftler, wenn die Bezeichnung von Gegenständen durch logisches Ableiten erschlossen wird. Diese Fähigkeit galt bisher als den Menschen vorbehalten. Jetzt ist auch Rico in diese Kategorie vorgestoßen. Aber natürlich bleiben gravierende Unterschiede.

„Der Hund ist zwar in der Lage zu kombinieren, aber er versteht nicht so viel wie ein Kleinkind“, sagt Fischer. Vor allem: „Kinder kann man befragen, sie können sprechen; das können Hunde nicht.“ Auch die vielen Emails der Hundebesitzer haben die Forscherin also nicht vom Sprachvermögen der Vierbeiner überzeugen können.

Dennoch sieht sie überraschende Erkenntnisse. „Die kognitiven Fähigkeiten, die es einem Tier erlauben, eine Vielzahl von Klängen und Geräuschen richtig zu interpretieren, scheinen sich unabhängig und viel früher als die Fähigkeit zum Sprechen entwickelt zu haben“, erklärt sie.

Ist jedoch Rico einfach ein genialer Vierbeiner, vielleicht der „Einstein der Bordercollies“ oder haben auch andere Vertreter seiner Rasse solche Fähigkeiten? Das sollen weitere Studien in Leipzig klären. Verhaltensforscherin Kaminski tippt vorerst auf Letzteres. So könnten auch Blindenhunde in abstrakten Kategorien denken. Sie lernten beispielsweise den Begriff „Treppe“ an einer ganz bestimmten Treppe, vielleicht an einer kleinen oder einer großen, aus Holz oder aus Stein. Wenn sie später aufgefordert würden, eine „Treppe“ zu finden, gelinge ihnen das, auch wenn diese Treppe ganz anders geformt sei als die Lerntreppe.

Paul Janositz

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