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Erdbeben: L’Aquila bleibt eine Geisterstadt

Neun Monate nach dem Beben in Italien liegt die Innenstadt von L'Aquila noch immer in Schutt. Bewohner leben in Betonsiedlungen.

Neun Monate liegt das verheerende Beben in den Abruzzen nun zurück, und noch immer hat kein Projekt zum Wiederaufbau der Altstadt von L’Aquila das Licht der Welt erblickt. „ Man belässt es bei einer Geisterstadt“, fürchtet Salvatore Settis, einer der führenden Kunsthistoriker und Denkmalschutzexperten Italiens. So düster sehen es neben immer mehr Fachleuten auch sieben ehemalige Kulturminister. Sie haben nun an die Regierung Berlusconi appelliert: Sie wollen Taten sehen zur Rettung des historisch wertvollen Stadtkerns und seiner Kunstdenkmäler – bevor L’Aquila zu einem „zweiten Pompeij“, zu einem „toten Freilichtmuseum“ oder zu einer „monumentalen Kulisse für ein riesiges Outlet-Center“ verkommt.

Einig ist man sich in L’Aquila darüber, dass die Notlage nach dem Beben sehr gut gemeistert worden ist. Erst allmählich erwachen unter den Opfern die Fragen nach dem Danach. Um die zerstörte Stadt herum hat sich in Rekordzeit ein Kranz an neuen Siedlungen gelegt, aber so sehr diese den Evakuierten im ersten Moment nützten – mittlerweile erweisen sie sich auch als „leblose Anlagen von außerordentlicher architektonischer Banalität“ (Settis). In der Stadt fragt man sich, ob es nicht besser gewesen und schneller gegangen wäre, zuerst die tausenden leicht oder mittelschwer beschädigten Wohnungen zu restaurieren, als komplett auf eine Peripherie von „new towns“ zu setzen und L’Aquila zu einem „kopflosen Wesen“ zu machen.

„Allzu schnell“, sagt der frühere Kulturminister und heutige Chef der Vatikanischen Museen, Antonio Paolucci, „verfestigen sich Provisorien – auch in den Köpfen.“ Etwa 30 000 Bürger haben bis zum Beben dort drinnen gewohnt, unter ihnen mehr als 8000 der insgesamt 27 000 Studenten von L’Aquila. Die Stadt war jung, lebendig, fröhlich. Davon ist sie heute weit entfernt.

Eigentlich hat L’Aquila mit dem Wiederaufbau seine eigenen Erfahrungen. Vor gut 750 Jahren vom Stauferkaiser Friedrich II. gegründet, wurde die Stadt in der Vergangenheit bereits vier Mal von der Erde zu Boden geworfen: 1315, 1349, 1461 und 1703. „Unerschütterlich bleibt sie stehen“, hat die Stadt trotzig in ihr Wappen geschrieben. Gerade den Wiederaufbau nach 1703 hat L’Aquila zu einer architektonischen Revolution genutzt: Das mittelalterliche Stadtbild wurde – damals hochmodern – durch ein barockes ersetzt; gerufen von der örtlichen Nobilität eilten zeitgenössische Architekten von überall herbei, nicht zuletzt aus dem stilistisch tonangebenden Rom.

Doch Settis hat noch einen anderen Verdacht: Der beeindruckend schnelle Bau neuer Siedlungen am Stadtrand von L’Aquila, die grandiosen Einweihungsfeierlichkeiten, zeugen vielleicht auch von der Macht der Betonlobby, die von Berlusconi stark gefördert wird.

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