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Panorama: Es war ihm eine Ehre

Der schwer krebskranke Rudi Carrell verabschiedet sich von seinem Publikum mit einem ergreifenden Dank

Das war ein wirklich großer Abschied, einer der unvergesslich bleiben wird: „Es war eine Ehre, in diesem Land, für dieses Publikum Fernsehen zu machen.“ Rudi Carrell sagte das bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ mit ungewohnt hoher, heiserer Stimme, gezeichnet von einer schweren Krebserkrankung. Aber immer noch lächelnd mit jenem typisch holländischen Anklang, mit dem Generationen von Fernsehzuschauern groß geworden sind. Ganz am Schluss der Verleihungszeremonie bekam er am späten Donnerstagabend den Preis für sein Lebenswerk. Das Publikum, bestehend aus vielen internationalen Stars, wie Jerry Lewis und Bob Geldof, und fast allen Spitzen der deutschen Unterhaltungsindustrie, feierte ihn lange mit einer stehenden Ovation.

In einer Welt, die gern verdrängt, dass Menschen sterblich sind, die gespielte Rührseligkeiten zelebriert, als handele es sich um echte Gefühle, hat der große Showmaster mit diesem Auftritt neue Maßstäbe gesetzt. Keine Spur von Selbstmitleid, nicht der leiseste Druck auf die Tränendrüse, obwohl er aus seiner schweren Krankheit keinen Hehl macht und darüber mit bewundernswerter Distanz zum eigenen Schicksal sogar leise Witze machte. Über die angegriffenen Stimmbänder sagte er: „Das ist nicht so schlimm. Mit dieser Stimme kann man in Deutschland immer noch Superstar werden.“ Später gab er noch einen Beweis, dass ihm die Krankheit den trockenen Humor jedenfalls nicht geraubt hat: „Dass ich heute Abend hier stehen kann, verdanke ich in erster Linie meiner Krankenversicherung, dem Klinikum Bremen Ost und der deutschen Pharmaindustrie.“

Rudi Carrell ist als Fernsehgröße vielen so tief ins Unterbewusstsein eingebrannt, dass es vielleicht einen solchen Auftritt brauchte, um sich klar zu machen, was eigentlich Größe ausmacht: Doch auch die Fähigkeit, ganz nah ranzugehen ans Publikum und die Abgründe des Lebens gleichzeitig aus großer innerer Distanz betrachten zu können.

Er hat seinen Beruf von Grund auf gelernt, war unter anderem Bauchredner und Zauberer und kam lange ohne eigenen Gagschreiber aus. Die „Rudi-Carrell-Show, „Am laufenden Band“ und „Rudis Tagesshow“ schrieben in Deutschland seit 1965 Fernsehgeschichte. Er hat keine Scheu, auch mal richtig bissig zu sein und Tabugrenzen zu überschreiten. Nach einem Khomeini-Sketch 1987 etwa schloss die iranische Regierung das Goethe-Institut in Teheran.

Aber das überragende Merkmal in jeder Situation, auch bei diesem Auftritt in der Ullstein-Halle, ist eine abgrundtief verwurzelte Lässigkeit. Wer so lange so locker bleiben kann, muss einfach ein schier unerschöpfliches Reservoir an Späßen und Lebensliebe in sich haben. Er hat mal gesagt, dass er sterben will, wenn ihm keine Gags mehr einfallen. In dieser Hinsicht scheint er schon jetzt unsterblich zu sein. Bereits sein Vater und Großvater waren im Showgeschäft tätig, das Talent ist ihm also schon in die Wiege gelegt worden. In Alkmaar geboren, floh er mit 17 vom Gymnasium, mit 19 war er Showmaster. Er hat sich nie geschont, hat lange jeden Tag 14 bis 16 Stunden gearbeitet, hat allerdings auch über 50 Jahre lang geraucht.

An diesem Abend war der 71jährige dünner, als man ihn in Erinnerung hat, aber das Lächeln in den Augen- und Mundwinkeln war verschmitzt wie eh und je. Nach der Verleihung schwenkte er die Trophäe fröhlich hin und her. Es war schon seine fünfte Goldene Kamera, keiner hat mehr bekommen.

Manche Stars, sie müssen nicht mal krank sein, nehmen die Auszeichnung und verdrücken sich möglichst schnell, wie an diesem Abend zum Beispiel Charlize Theron. Rudi Carrell hingegen blieb noch lange bei der anschließenden Party in der Ullstein-Halle, auch das ein Zeichen von Größe. Da saß jemand, der sein Publikum wirklich ernst nimmt und die Auszeichnungen, die es ihm zugesteht. Als die Fotografen um ein Uhr morgens endlich an seinen Tisch vordrangen, kannten sie kein Halten. Gut gelaunt, hielt er ihnen ein halb geleertes Bierglas entgegen, versuchte nach einer Weile, sie mit eindeutigen Handbewegungen zu verscheuchen, aber sein Lachen strafte die Gesten Lügen. Obwohl sich viele fragten an diesem Abend, ob das wohl sein letzter Auftritt im deutschen Fernsehen war, zumal er in seiner Dankrede die Möglichkeit selber angedeutet hatte, strahlte er gerade da eine fast unschlagbare Lebenslust aus.

Es ist ein bekanntes Phänomen, dass schöne Erlebnisse einem Kranken manchmal einen deutlich positiven Schub geben können. Ein bisschen wirkte es so, als habe dieser Abend in Ergänzung zu einer gerade abgeschlossenen vierwöchigen Karibikreise so etwas bewirkt. Menschen, die ihn gut kennen, zeigen sich außerdem fasziniert von der unglaublich großen Kraft, die er auch im Kampf gegen die Krankheit allein aus seinem Humor schöpft. Neben ihm saß seine Frau Simone, mit der er auf einem Gut bei Bremen lebt. Die anderen Sitznachbarn wechselten immer wieder. Mal plauderte Hape Kerkeling mit ihm, dann Produzentin Beate Wedekind und Laudator Alfred Biolek. Erst gegen halb zwei brach Rudi Carrell auf, ging mit seiner Frau Richtung Ausgang, noch ein kurzer Wortwechsel mit der schönen, ätherischen Esther Schweins, die ihm zufällig entgegenkam, dann war der leuchtend weiße Haarschopf im Dunkel verschwunden.

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