zum Hauptinhalt

Panorama: Eschede-Hinterbliebene müssen bis zum Herbst warten

Heinrich Löwen hat gelernt, mit dem Schmerz umzugehen. Angespannt, aber nicht verbittert spricht er über den Tag vor gut dreieinhalb Jahren, an dem mit der ICE-Katastrophe in Eschede für ihn und viele andere eine Welt zusammenbrach.

Heinrich Löwen hat gelernt, mit dem Schmerz umzugehen. Angespannt, aber nicht verbittert spricht er über den Tag vor gut dreieinhalb Jahren, an dem mit der ICE-Katastrophe in Eschede für ihn und viele andere eine Welt zusammenbrach. Der 56-jährige Witwer aus Niederbayern hat bei dem Zugunglück, bei dem 101 Menschen starben, Ehefrau und Tochter verloren. Nun ist er einer der sechs Kläger im ersten großen Prozess um Schmerzensgeld für Eschede-Hinterbliebene.

Die Hoffnung auf ein schnelles Urteil aber hat sich am Mittwoch zerschlagen: Das Berliner Landgericht vertagte die Verhandlung auf September. Die Kläger wissen, dass keine noch so hohe Summe das Unglück aus der Welt schaffen könnte. "Es kann aber nicht sein, dass sich die Bahn mit einer läppischen Summe davonschleicht", sagte Löwen, Sprecher der Interessengemeinschaft "Selbsthilfe Eschede".

Die Deutsche Bahn AG hatte nach der Katastrophe für jedes Todesopfer 30 000 Mark (15 340 Euro) überwiesen. Die Kläger aber verlangen jeweils bis zu 250 000 Euro, mindestens jedoch jeweils 125 000 Euro Schmerzensgeld.

Bei dem schwersten Zugunglück der deutschen Nachkriegsgeschichte war am 3. Juni 1998 der ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" im niedersächsischen Eschede wegen eines gebrochenen Radreifens entgleist. In dem Musterprozess werfen die Kläger der Bahn "schwer wiegendes Verschulden" vor. Sie fühlen sich durch die seit drei Monaten vorliegende Anklage der Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen zwei Mitarbeiter der Bahn und einen Ingenieur der Radherstellerfirma bestätigt. Die gummigefederten Räder seien ohne ausreichende Tests eingesetzt worden, sagte Kläger-Anwalt Reiner Geulen. Die Bahn müsse zahlen. Notfalls will Geulen das mit Klagen vor amerikanischen Gerichten durchsetzen.

Die 23. Zivilkammer hatte einen Vergleich angeregt. Richterin Elisabeth Seeburg nannte eine Summe von maximal 500 000 Euro, die die Bahn an die "Selbsthilfe Eschede" überweisen solle.

Dort haben sich Hinterbliebene von 82 Todesopfern zusammengeschlossen. Doch eine Einigung kam zumindest im Gerichtssaal nicht zustande.

Für die Bahn ist die Schuldfrage nicht geklärt. Außerdem sei "großzügig und vernünftig" entschädigt worden, sagte ein Bahn-Anwalt. Es seien bislang etwa 23 Millionen Euro an Schadenersatz gezahlt worden - für Heilbehandlungen, Sachschäden und auch Schmerzensgeld für Hinterbliebene. Für den Verlust eines Angehörigen sei nach deutschem Recht kein Schmerzensgeld vorgesehen.

Ein Schmerzensgeld setzt Verletzungen der Gesundheit voraus. Zumindest für einen Kläger sprach das Gericht bereits von einer "tiefen Schädigung". Er hat in Eschede seine Ehefrau und seine Kinder im Alter von vier und acht Jahren verloren.

Der Prozess soll am 18. September fortgesetzt werden. Zudem gab das Gericht den Klägern Gelegenheit, in den nächsten Wochen zu einem Schriftsatz der Bahn Stellung zu nehmen.

Kerstin Gehrke

Zur Startseite