zum Hauptinhalt

Eurovision Song Contest: Das Danke-Duo

Aserbaidschan feiert seinen Sieg beim Eurovision Song Contest. Manche fragen sich, warum ausgerechnet ein schmusiger Liebes-Popsong triumphierte. Und was kostet eigentlich ein Flug nach Baku?

1:30 Uhr ist keine gute Zeit für Metaebenen. Da meldet sich der Mann von Reuters auf der nächtlichen Gewinner-Pressekonferenz und fragt tatsächlich, ob Europa das Schmusestück "Running Scared" vielleicht genau deshalb zum Siegertitel kürte, weil es aktuell so krisengebeutelt ist und sich vor allem nach einem sehnt: nach viel Liebe! Auf dem Podium müssen Nigar und Eldar grinsen und wechseln schnell das Thema.

Sie wollen lieber "Thank you" sagen - minutenlang und an alle, die ihnen einfallen: die Zuschauer, die Veranstalter, die Verwandten, die toten Verwandten, die Aserbaidschaner, die Menschen im Allgemeinen, die Journalisten im Raum, Düsseldorf, Deutschland, die Song-Schreiber. "Thank you, thank you, thank you so much", sagt Eldar. Nicht mal eine Stunde zuvor hat das Duo, das sich abgekürzt Ell/Nikki nennt, für sein Heimatland Aserbaidschan überraschend den Eurovision Song Contest gewonnen - mit 221 Punkten und deutlichem Vorsprung vor den Nächstplatzierten Italien und Schweden.

Lena Meyer-Landrut ist auf Platz zehn gelandet, im Mittelfeld, sehr wohlwollend könnte man sagen: fast noch im vorderen Mittelfeld. Aus Österreich gab es zehn Punkte, ansonsten kleckerte es eher, schon nach den ersten Stimmübermittlungen zeichnete sich ab, dass das "Projekt Titelverteidigung", von dem Lena selbst schon seit Wochen nichts mehr hören wollte, scheitern würde. Im Pressezentrum neben der Düsseldorfer Arena taucht die 19-Jährige in dieser Nacht nicht mehr auf, und auch an diesem Sonntag wird es wohl keine Interviewtermine geben, heißt es.

Eldar Gasimov kann von seiner Pressekonferenz dagegen gar nicht genug bekommen, er macht den Eindruck, als könne er noch hunderte "Thank you"s verteilen. Auch die mitgereisten Reporter aus Aserbaidschan beherrschen diese Disziplin: Anstatt Fragen zu stellen, bedanken sie sich bei dem Duo. Danach beim Moderator der Pressekonferenz, der antwortet prompt und bedankt sich seinerseits bei den freiwilligen Helfern in der Halle. Es könnte fast nerven, wenn es nicht so schön wäre. Zwischendurch stimmen die Gewinner des Abends ein traditionelles Lied aus ihrer Heimat auf Aserbaidschanisch an, Landsleute stimmen ein. Mit diesem Song hätten sie im Wettbewerb vermutlich weniger Punkte bekommen.

Im nächsten Jahr findet der Eurovision Song Contest, der 57. dann, also in Aserbaidschan statt. Höchstwahrscheinlich in der Hauptstadt Baku, direkt an der Küste des Kaspischen Meeres gelegen, zwei Millionen Einwohner leben hier. Den Flug von Schönefeld nach Baku-Airport und zurück gibt es bei Aeroflot schon für 440 Euro. In ihrer Siegesnacht lassen Nigar und Eldar bereits durchblicken, dass sie Lena nicht nacheifern und keinesfalls selbst zur Titelverteidigung antreten wollen. Ein bisschen unharmonisch wird es auf der Pressekonferenz nur einmal: Als ein Medienvertreter wissen möchte, ob in dem traditionsbewussten Land Aserbaidschan denn auch die schwule Community willkommen sei und sich frei bewegen könne - denn die macht schließlich einen großen Anteil der Eurovision-Fangemeinde aus. Sänger Eldar weicht etwas plump aus und erzählt, dass man 2012 in seinem Land neue Lieder und neue Tänze kennenlernen könne. Als ein anderer Journalist insistiert, setzt Eldar sein euphorisches Siegeslächeln auf und lädt alle anwesenden Schwulen in seine Heimat ein. Das werde bestimmt eine tolle Party, sagt er.

Neben Aserbaidschan gibt es noch einen zweiten, heimlichen Gewinner des Abends. Der heißt Schweden, denn von dort kommen gleich zwei der drei topplatzierten Titel: Neben dem eigenen Beitrag "Popular" auf Platz drei wurde auch der Siegertitel "Running Scared" von Schweden komponiert. Zu den großen Enttäuschungen zählen dieses Jahr Frankreich (Platz 15), deren junger Tenor von Buchmachern bis zuletzt als Topfavorit gehandelt wurde, und ein wenig auch die britische Boyband Blue auf Platz 11, die immerhin bereits diverse Nummer-Eins-Alben vorzuweisen hatte und in einem Großteil Europas recht bekannt ist.

Und was macht jetzt Lena? Die wird übernächste Woche erst mal 20. Dann will sie studieren, irgendetwas, das ihr Spaß macht, sagt sie. Vielleicht Philosophie oder Theologie. Beim Song Contest möchte sie 2012 definitiv nicht teilnehmen. Dafür haben die ARD und ProSieben bereits angekündigt, dass sie auch im kommenden Jahr kooperieren und gemeinsam einen aussichtsreichen Kandidaten finden wollen. Der Titel der zugehörigen Fernsehsendung steht offiziell noch nicht fest, aber wie sollte er anders heißen als "Unser Star für Baku"?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false