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© ddp

Eurovision Song Contest: Verrückt nach Lena

Unser Star für Oslo wird jetzt vor den Medien abgeschirmt – noch kürzlich redete sie unbekümmert über sich und ihr Leben.

Doch, es gab diesen einen Moment in den letzten, wilden Wochen, da wollte Lena Meyer-Landrut nicht mehr die Partyprinzessin sein, nicht mehr „Chamäleon, Gazelle und Nachtigall zugleich“, wie Stefan Raab sie genannt hatte. Da lief alles ein bisschen in die falsche Richtung. Da schien es, als hätte sie ein wenig Angst bekommen vor dieser Fernsehfigur, die sie geworden war, diesem Mädchen, das der Welt tanzend und mit großen, staunenden „Amélie“-Augen begegnet.

Also stellte sie sich an die Rampe und sang eine leise, traurige Ballade von Jason Mraz: „Mr. Curiosity“. Es war das Halbfinale von „Unser Star für Oslo“. „Ich suche nach Liebe / Ich klinge voller Hoffnung“, heißt es darin, „Aber ich muss weinen. / Diese Liebe ist mir ein Rätsel.“ Plötzlich war es verschwunden, das „verrückte Huhn“ namens Lena, und Raab staunte: „Du kannst ja singen.“ Und Lena MeyerLandrut sah aus, als staune sie auch.

Sechs Wochen ist es her, dass die Karriere der 18-jährigen Schülerin mit einem schlichten Satz begann („Hallo, ich bin Lena, ich bin 18 und komme aus Hannover“). Zwischen ihrem medialen Urknall am 2. Februar, ihrem ersten Auftritt mit einer fröhlich-wundersamen Version des Titels „My Same“ und ihrem Sieg liegt ein heißer Ritt. In seinem Verlauf verknallte sich Deutschland in eine junge Frau, deren Schicksal sich auch als Triumph des Unperfekten lesen lässt, als Sieg der Persönlichkeit über die kalte Professionalität.

Seit diesem Triumph wird sie vor den Medien abgeschirmt, ja abgeschottet. Sie will jetzt zuerst ihr Abitur machen – Mitte April sind die Klausuren – und sich anschließend in Ruhe auf ihren Auftritt am 29. Mai in Oslo vorbereiten.

Vor ihrem Sieg war alles anders, frei heraus erzählte sie. Lena Meyer-Landrut steht im „Brauhaus Ernst August“, einem Partyladen in Hannover, Wollmütze auf dem Kopf, schwarzes Kleid. Sie trinkt Bier, aber nur, wenn die Fotografen es nicht merken. Sie lacht, sie hat einen Kuchen gebacken, ihr hannoverscher Mitkandidat Cyril Krueger hat Geburtstag. Ihre wundersame Popstarwerdung hat gerade erst begonnen. „Der Hammer“ sei das, was gerade passiere, sagt sie. Dieser Kokon aus Aufmerksamkeit, der sie plötzlich umgibt. Die Typen, die merkwürdige Sachen über sie im Internet schreiben („Als Gott dich gemacht hat, hatte er echt ’nen geilen Tag“). Dieser Verrückte (angeblich ein Journalist aus München), der in ihrem Namen einen Lena-Account bei Facebook angelegt hat. Doch, sie komme klar damit, sagt sie. Sie wolle „normal bleiben, zufrieden sein“. Und: „Das alles ist so irreal. Wie ein Rausch. Und dabei bin ich doch bloß Lena.“

Wer ist Lena? Sie mag Kate Nash und Wir sind Helden, Clueso und Tim-Burton-Filme. Kulturell ist sie eher in der Nische zu Hause. Sie hatte Ballettunterricht, sie tanzt, seit sie fünf ist, sie liebt Musik, aber sie spielt kein Instrument, kann keine Noten lesen. Sie teilt sich mit ihrer Mutter ein Auto. Zu ihren Abi-Prüfungsfächern gehören Biologie, Geschichte und Sport. Musik hat sie abgewählt. Einserschülerin? „Bin ich nicht. Eher Mittelfeld.“ Um jeden Preis will sie das Klischee von der privilegierten Wohlstandsgöre vermeiden, das manche in die Welt setzten, nur weil ihr Großvater Andreas Meyer-Landrut (81), ein aus Tallin stammender Diplomat, vor Jahren deutscher Botschafter in Moskau und Staatssekretär unter Hans-Dietrich Genscher war.

Als das noch ging, einfach so, ging sie gern tanzen, vor allem in den hannoverschen Szeneläden „Béi Chéz Heinz“, in der „Glocksee“, in der „Faust“. Da, wo die Coolen hingehen, nicht die Poloshirtträger. Früh hat sie die Ansage der Produktionsfirma Brainpool bekommen, Privates und „Dienstliches“ nach Kräften zu trennen. Sie hat ein Lilientattoo auf dem linken Oberarm, sagt aber nicht, was es für sie bedeutet. Sie hasst die Frage, ob sie einen Freund hat („Ich sage dann immer: Ich bin zum achten Mal zwangsverheiratet“). Seit ihrem Erscheinen entzückt sie das Land mit sprachlichen Lena-ismen, freut sich „so, so hart“ und spricht vom „Tanzhaus“, wenn sie den Club meint. „Lebenslustig und unkonventionell“ sei sie, sagt ihr Schulleiter. „Das fröhlich Verpeilte ist typisch hannoversch“, sagt eine Mitschülerin. „Sie ist einfach crazy drauf. Sie ist anders als andere.“

Eher unbewusst, zufällig, geriet Lena Meyer-Landrut in einer Art Kulturkampf zwischen die Fronten. Von Anfang an konnte man das öffentlich-rechtlich-private Joint Venture „Unser Star für Oslo“ („USFO“) als Alternativmodell zu Dieter Bohlens Kinderbeschimpfung „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS“) verstehen, lieferten sich beide Sendungen ein Duell der Gesellschaftsentwürfe. Die Suche nach dem deutschen Beitrag für den Eurovision Song Contest geriet zu einer eher gymnasialen Veranstaltung mit braven Juroren, sich in Freundschaft umarmenden Kandidaten und viel gutem Willen, einer Art vorgezogener Abi-Party, während Bohlen die irrationalen Aufstiegshoffnungen des Prekariats bediente. Zahlenmäßig gewann Bohlen um Längen. Doch schnell wurde klar: Bei Bohlen wird „performt“, bei Raab wird gesungen. „Bei ,DSDS’“, sagt Lena, „hätte ich niemals mitgemacht. Da geht es nicht um Musik.“

Und während bei „DSDS“ stets eine Grundaggressivität mitschwingt, ein Lauern auf das Versagen, ein Kasernenhofton, der gut in die durchökonomisierte Gegenwart passt, erschien „USFO“ fast wie der Traum von einer besseren Welt, in der Erfolg ganz ohne jahrelange Selbstkasteiung möglich ist, in der das Unperfekte am Ende siegt. Plötzlich ist da Raum für einen staubtrockenen, rumpeligen Mädchenhumor. „Verdammte Scheiße“, rief Lena aufgelöst, überglücklich, völlig fertig, während sie versuchte, ihren Siegertitel „Satellite“ in der Finalshow noch einmal zu singen. Und: „Alter Finne!“

Die Heimat liebt sie. Das hat man nicht oft, dass Hannover einen solchen Sympathieträger hervorbringt. Dienstagabend in Hannover: 1000 Menschen jubeln im klassizistischen Saal des Neuen Rathauses. 100 Fotografen blitzen, dazwischen irgendwo: Lena, sehr tapfer. „Willkommen in der Heimat“, ruft Bürgermeister Stephan Weil (SPD) und will einen Bildband überreichen. Lena weiß, was man von ihr erwartet: „Hannover ist super“, sagt sie artig. Später, in einem Hinterzimmer, gibt sie noch ein kurzes Interview. Wie hält sie das alles aus? Äußerlich sei sie fröhlich, sagt Lena, „aber innerlich schreie ich. Ich bin am Ausflippen!“ Aber sie sagt es, wie immer, als sei es ein Scherz. Ironischerweise gelingt es ihr trotz der gelegentlich inszeniert wirkenden Kleinmädchenhaftigkeit, authentisch zu bleiben, weil das Spielerische, das „geplant Spontane“, eben zum Gesamtpaket dazugehört. Sie gibt nicht plump die lolitahafte Männerversteherin wie Annett Louisan, sie ironisiert sie lieber. „Genau so kenne ich sie“, sagt eine Freundin. „Sie ist so. Sie verstellt sich nicht vor der Kamera.“ Trotzdem – oder gerade deshalb – wirkt sie auf manche provokativ. Im Netz ist die küchenpsychologische Entschlüsselung der „LML“ in vollem Gange: Einzelkind! Und hübsch dazu! Na klar, die buhlt um Aufmerksamkeit. Das hält nicht lange. Diese Leichtigkeit, die Schnodderigkeit, dieser Björk-Gesang, der Joe-Cocker-Gestus – kann das noch echt sein? „Ja“, sagt sie selbst und staunt über die Frage. „Ich überlege mir nicht vorher, wann ich den Arm hebe.“

„Von null auf hundert berühmt zu werden, ist die irrste Bewusstseinsexplosion, die man sich vorstellen kann“, hat Robbie Williams mal gesagt. An dem Versuch, Image und Ich in Einklang zu halten, ist schon mancher gescheitert. Lena versucht, erst gar kein Image entstehen zu lassen, immer sie selbst zu sein. Stefan Raab, der sehr ernst werden kann, wenn es um Musik geht, weiß, dass es für Lena nicht leicht werden wird, sich die allseits geliebte Natürlichkeit zu bewahren. Immerhin: Ein Mediencoaching hat sie abgelehnt, auch einen Gesangstrainer. „Sie ist stabil und selbstbewusst“, sagt Raab. Aber: „So was wie das hier hat immer Einfluss auf deine Persönlichkeit. Vor allem, wenn man noch so jung ist.“

Immer mal wieder blitzt das kleine Mädchen durch: Lena sitzt im „tv total“-Studio an der Schanzenstraße in Köln, es ist die Nacht ihres Triumphes, 23 Uhr 15, Glitzerkonfetti liegt auf dem Boden, mit ihr auf dem Podium sitzen die Senderchefs wie stolze Onkels. Vier Männer und ein Mädchen. Und sie ist todmüde, abgekämpft, glücklich. Sie hat geweint in dieser Nacht. „Alles ein bisschen viel für das kleine Lena-Girl“, sagt sie. Und bemerkt: Wenn sie sich die Augen reibt, klicken die Fotografen schneller. Sie setzt die Hände ab, lächelt überrascht: War ich das?

Was erwartet sie jetzt? Zwei Tage hat sie zu Hause verbracht („endlich wieder im eigenen Bett“), heute tritt sie mit „Satellite“ bei Raabs „Wok-WM“ auf. Dann tingelt sie durch die Radiostationen („damit ich nicht vergessen werde“). Da passt es ganz gut, dass gerade die niedersächsischen Osterferien beginnen.

Natürlich kann es passieren, dass auch sie nach einem mittelguten Platz in Oslo wieder in der medialen Versenkung verschwindet. Doch selbst, wenn es so wäre: Sie hätte ihre Mission erfüllt. Sie hätte gezeigt, dass man der Welt nicht zwangsläufig mit Abgebrühtheit begegnen muss. Lena Meyer-Landrut hat uns insgeheim daran erinnert, wie sich das anfühlte, damals, mit 18, als alles möglich schien, als man der herrlichen Illusion erlegen war, jeder Wunsch könnte Wirklichkeit werden. Als dir die Dinge bedingungslos gelangen. Als dir die Welt offenstand.

Ganz alleine ist Lena damals zum Casting nach Köln gefahren, hat niemandem etwas erzählt, nicht mal ihrer Mutter. In kein Korsett gepresst, in kein Schema gezwängt, geht ein Mädchen raus auf die Bühne und singt ein Lied. 

Imre Grimm[Hannover]

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