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Panorama: Expo: Die neue Vorgabe lautet "Zwei Milliarden minus X"

Wie war das nun genau mit den vierzig Millionen Expo-Besuchern? Nun ja, Birgit Breuel wandert im Saal auf und ab, die Hände ineinander verschränkt.

Wie war das nun genau mit den vierzig Millionen Expo-Besuchern? Nun ja, Birgit Breuel wandert im Saal auf und ab, die Hände ineinander verschränkt. Zwei, drei Sätze nimmt sie Anlauf, souverän und locker wie ein Hochspringer, dann der Satz: "Ohne die vierzig Millionen hätte es keine Expo gegeben."

In einer Randbemerkung hat Birgit Breuel die heilige Kuh geschlachtet. Vierzig Millionen - so viele Karten wollten die Expo-Planer für ihre fünfmonatige Ausstellung verkaufen. Für diese Größe wurden Verkehrswege ausgebaut und ein Warteschlangenmangement erdacht, sie nährte die Erwartungen von Sponsoren und Lizenznehmern, ihre Spuren finden sich im Wirtschaftsplan mit geschätzten Ticketerlösen von 1,8 Milliarden Mark. Aus, vorbei, plötzlich kommt die große Zahl als kleine Notlüge daher, oder wie es Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel sagt: Man habe sie in einer "fragilen politischen Situation" gebraucht, um das Ganze "in dieser Form rechenbar zu machen". Auf deutsch: Ohne die Illusion wäre das Mammutprojekt nie durchzusetzen gewesen.

Die Illusion stirbt jeden Tag aufs Neue. In den ersten drei Monaten sind nicht einmal halb soviel Besucher gekommen wie erwartet. Ladenbesitzer auf dem Gelände entlassen Mitarbeiter, Restaurantbetreiber wollen ihre Pachten neu aushandeln, und Politiker spekulieren, wer wieviel vom unvermeidlichen Defizit übernehmen soll. Aufsichtsratsmitglieder rechnen jetzt mit "zwei Milliarden minus X". Bisher sollen sich das der Bund und das Land Niedersachsen teilen. Man wird verhandeln.

Birgit Breuel ist es leid. Warum reden nur alle über das dumme Geld? Jetzt werde sie schon von ausländischen Staatsgästen nach den angeblich astronomischen Bratwurstpreisen gefragt. "Da werde ich schon mal wütend." Die Ausstellung sei doch toll, die Besucher seien zufrieden, "hören sie auf mit den Zahlen, das Ding ist doch gut", sagt sie. Ray Charles war gerade da und Filmstar Dennis Hopper und Udo Lindenberg und das Rad-Team der Telekom und, und, und ... .

Tatsächlich liegen Welten zwischen der Expo-Stimmung auf dem Gelände und im Rest der Welt. Die Besucher sind nicht nur in der offiziellen Befragung sondern tatsächlich zum großen Teil begeistert, wollen wiederkommen und die Expo weiter empfehlen. Doch die Schlagzeilen machen das Defizit. "Was haben wir falsch gemacht?" fragt die Exp-Chefin. So lange ist die Illusion von den vierzig Millionen in Wahrheit schon tot, dass sie die Aufregung über deren Sterben gar nicht mehr so recht versteht.

Birgit Breuel hat viele Aufregungen und Aufgeregtheiten der vergangenen Jahre nicht verstanden. Sie ist so bedingungslos begeistert von dieser Expo-Idee, die sie vor mehr als zehn Jahren mit einigen anderen hatte, dass sie manches dafür in Kauf nimmt, was sie sonst wohl nicht hinnehmen würde. Sie hat sich dafür sogar nochmal ins Rampenlicht gestellt, indem sie 1997 zusätzlich zum eher repräsentativen Job des Generalkommissars auch noch das Krisenmanagement in der Geschäftsführung übernahm. Nicht die Aufgabe ließ sie zörgern, nicht die enorme Belastung, auch nicht die Erschöpfung nach den harten Jahren in der Treuhand-Führung - der Weg zurück in die Öffentlichkeit hat sie geschreckt.

Die Finanzkrise des Sommers 1998 traf sie nicht unvorbereitet. Fast ein Jahr vorher war intern über eine Befreiung von der Mehrwertsteuer diskutiert worden. Der Finanzminister hatte abgelehnt, und Birgit Breuel hatte selbst nach eigener Einschätzung mal wieder ein bisschen zuviel in Kauf genommen. Damals habe sie "falsche Rücksichtnahme gegenüber der Politik" geübt, sagte sie später. Als einstige Finanzministerin im niedersächsischen CDU-Kabinett Ernst Albrechts habe sie sich "benommen wie ein guter Finanzminister": Mehr Geld wird nicht gebraucht, wir schaffen es auch mit Sparen.

Spätestens in der Finanzkrise des Sommers 1998 wurde klar, dass die Blütenträume nicht reifen würden. Birgit Breuel sichtete die Hinterlassenschaft der Vorgänger. Über deren Qualität werde sie nicht sprechen, sagt sie heute, und das genügt ja auch. Fortan sprach sie viel von der Konkurrenz im Jahr 2000, vom Heiligen Jahr, den Olympischen Spielen, dem Millennium Dome in London und davon, dass Besucherzahlen nicht alles seien. Um die Wahrheit herauszuhören, dass viele schöne Prognosen damals schon hinfällig waren, musste man sehr genau hinhören, und bestätigt hat sie es niemals. Birgit Breuel vollführte Eiertänze, die ihrem protokollarischen Rang einer Botschafterin entsprachen, aber nicht ihr selbst. Preußisches Arbeitsethos und hanseatisches Naturell gelten als ihre hervorstechenden Charakterzüge, und beides verträgt sich nicht mit Notlügen. Schwafeln ist ihr ein Gräuel, und wenn sich eine dieser Expo-Diskussionen mal wieder in verquastem Geschwätz verliert, versucht sie tapfer, den Sinn zu retten: "Haben wir verstanden, werden wir ändern." Und doch hat Birgit Breuel geschwafelt. Erst verpackte sie damit die "schwarze Null", jene Illusion von einem ausgeglichenen betriebswirtschaftlichen Ergebnis der Expo-Gesellschaft, die 1998 nach langem Siechtum starb. Dann umkurvte sie Fragen nach der Besucherzahl im gleichen, ihr wenig gemäßen Stil. Die Argumentationsgrundlage lieferte ein Gutachten der Unternehmensberatung Roland Berger, das 28 bis vierzig Millionen Besucher in Aussicht stellte. Abgesehen davon, dass es wenig Gründe gab, das Maximum vorauszusetzen, handelte es sich nach Ansicht eines Insiders um ein "politisches Gutachten, das es der Regierung ermöglichte, zuzustimmen"

Stefan Winter

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