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Panorama: Exzellenz beliebt zu scherzen ...

Entführung ist im Jemen zu einer Art Volkssport geworden, um die Regierung zu erpressenVON CHRISTOPH SCHMIDT LUNAU SANAA."Wir sind sehr erleichtert.

Entführung ist im Jemen zu einer Art Volkssport geworden, um die Regierung zu erpressenVON CHRISTOPH SCHMIDT LUNAU SANAA."Wir sind sehr erleichtert." Mit diesen Worten bestätigte gestern der stellvertretende britische Botschafter in der jementischen Hauptstadt Sanaa, David Pearce, dem Tagesspiegel die Freilassung der Familie eines Englischlehrers, die vor mehr als zwei Wochen auf dem Weg von Aden nach Sanaa entführt worden war.David Mitchell, seine Frau Caroline und ihr 14jähriger Sohn Ben seien während der Gefangenschaft "wie Gäste" behandelt worden, erklärte der Botschaftssprecher.Sie seien in guter Verfassung.Gestern befanden sich die Freigelassenen in der Residenz des britischen Botschafters.Heute Nacht sind sie nach London ausgeflogen worden.Nicht bestätigen wollte Pearce Berichte, nach denen die Regierung den Entführern für die Freilassung den Bau einer Straße zugesichert hätten.Kidnapping von Ausländern gehört im Jemen zum Alltag.David Pearce war wenige Tage vor der Entführung seiner Landsleute selbst Ziel eines Entführungsversuchs: Nach einer Rangelei im Straßenverkehr sprangen sechs Schwerbewaffnete aus dem Wagen.Dem Briten gelang die Flucht: "Ich war im richtigen Gang und kannte die Gegend", begründet der Zwei-Meter Mann heute seine riskante Aktion.Mit Vollgas preschte er los, traf mit dem Kuhfänger seines Rovers die offene Tür des anderen Fahrzeugs.Die Tür schnellte zurück und schlug einem der Angreifer seine Kalaschnikow aus der Hand.Wenige Tage später hatte Pearce dann die Entführung der Familie Mitchell bekanntgeben müssen, in großer Sorge, denn in diesem Fall gab es drei Tage keinen Kontakt zu den Kidnappern.Nach der Zählung des jemenitischen Innenministers ist diese Entführung von Ausländern die 92.seit 1993.Bei einem Treffen mit dem Präsidenten des Jemen, Ali Abdullah Saleh, anläßlich einer Delegationsreise aus Deutschland sprach Hessens Wirtschaftsminister Lothar Klemm das Thema an: Die Lösung der Sicherheitsfragen sei Voraussetzung für die Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen und für die weitere Entwicklung des Tourismus.Investoren wollten Sicherheit für ihr Geld und ihr Personal.Der Präsident antwortete mit einem Scherz: Alle Entführten hätten über die hervorragende Behandlung durch die Kidnapper berichtet, es sollen schon Touristen aus Deutschland eigens angereist sein, weil sie entführt werden wollten.Entführungen als Variante orientalischer Gastfreundschaft - die Familie Mitchell, die mehr als zwei Wochen in Unsicherheit leben mußte, wird solche Äußerungen wohl eher als Zynismus empfinden.Jemens Innenminister Hussein Arab räumt immerhin ein "ernstes Problem" ein.Doch er macht "Elemente" verantwortlich, die den Staat treffen wollten."Kräfte aus dem Ausland" seien an der Destablisierung des Jemen interessiert.Die Entführungen seien Teil des "Genesungsprozesses" auf dem Weg zur Demokratie.Internationale Beobachter in Sanaa bezweifeln solche Erklärungen.Im Gebiet von Damar beispielsweise versucht ein Stamm seit Sommer 1997 für die Vergewaltigung eines 13jährigen Jungen eine "gerechte" Bestrafung durchzusetzen.Das Verfahren gegen die vier Täter ist bereits durch drei Gerichtsinstanzen gegangen.Die Angehörigen des Opfers fordern vier Todesurteile.Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, haben sie bereits ein halbes Dutzend Entführungen inszeniert.Mitunter geht es beim Kidnappen auch um Bodenstreitigkeiten.In der Wüste bei Marib entführen dortige Stämme Ausländer, weil sie unzufrieden sind.Obwohl dort Öl gefördert wird, kümmere sich die Regierung zu wenig um die Region.Deshalb werden der Regierung mittels Entführungen Gesundheitsstationen, Straßen, Schulen, Wasser- oder Stromleitungen abgetrotzt.Man werde den alltäglichen Geiselnahmen im Jemen nur wirksam beikommen, wenn man die Ursachen beseitigt, sagt Deutschlands Botschafterin im Jemen, Helga Gräfin von Strachwitz.Viele Anliegen der Entführer seien schließlich "berechtigt".Dieses Land habe in den dreizig Jahren seit dem Sturz des Imam einen enormen Sprung nach vorne gemacht.In den entlegenen Gebieten habe die Entwicklung nicht Schritt halten können.Da müsse viel geschehen, um den Anschluß zu ermöglichen, auch durch Hilfe aus dem Ausland.Gleichzeitig müsse der Jemen aber konsequenter gegen Verbrecher vorgehen.Ein Wendepunkt könnte der Anschlag auf eine von Sicherheitskräften eskortierte Touristengruppe aus Deutschland im März dieses Jahres sein.Bei dem vereitelten Entführungsversuch wurde eine Deutsche durch einen Schuß in den Rücken verletzt, ein jemenitischer Sicherheitsmann getötet.Alle sechs Angreifer sitzen in Haft.An diesem Fall könnten Staat und Justiz zeigen, wie ernst es ihnen im Kampf gegen die Gewalt ist.Deutschlands Botschafterin jedenfalls erklärte dem Tagesspiegel, sie werde das bevorstehende Verfahren aufmerksam verfolgen, wenn möglich durch Beobachter im Gerichtssaal.Bislang jedenfalls kann von einer konsequenten Verfolgung von Entführungen im Jemen keine Rede sein.Und seine Exzellenz, der Präsident, beliebt sogar zu scherzen...

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