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Die aufgeblasenen Bojen markieren den Standorts des Wracks.

© AFP

Fährunglück vor Südkorea: Taucher bergen mehr als 100 Leichen aus gesunkener Fähre

Sechs Tage nach dem Untergang der "Sewol" durchkämmen Taucher das Wrack der Fähre vor Südkoreas Küste. In die Trauer um die Toten mischt sich heftige Kritik an Kapitän, Besatzung und der Regierung.

Nach dem Untergang der südkoreanischen Fähre „Sewol“ ist die Zahl der bislang geborgenen Todesopfer des Unglücks auf mehr als 100 gestiegen. Bis zum Dienstagvormittag (Ortszeit) wurden 104 Tote aus dem vor sechs Tagen gesunkenen Schiff oder im Wasser um das Wrack geborgen worden, berichteten südkoreanische Fernsehsender. Noch immer galten fast 200 der ursprünglich 476 Insassen als vermisst. Überlebende wurden bisher nicht gefunden.

Die meisten Toten werden in den Kabinen vermutet

Die Taucher durchkämmten den Berichten zufolge unter anderem die Kabinen des mehrstöckigen Schiffs. Es wird vermutet, dass dort die meisten Insassen bei dem Unglück eingeschlossen wurden. Um die gesunkene Fähre standen Trawler mit Fangnetzen, um zu verhindern, dass eventuell Leichen aus dem Wrack von der Strömung mitgerissen werden. Insgesamt seien fast 240 Boote und Schiffe an der Bergungsaktion beteiligt, berichtete der Rundfunksender KBS.

Angehörige der vermissten Insassen hofften noch immer, dass Überlebende gefunden werden. Bei einer Pressekonferenz am Montag hatten sie gefordert, dass die Suche nach den Vermissten bis zum Donnerstag abgeschlossen werden sollte. Etwa 250 der mehr als 300 Todesopfer und Vermissten waren Schüler aus der Nähe von Seoul. Sie befanden sich auf einem Ausflug auf die südliche Urlaubsinsel Cheju.

Verrutschte die Ladung der Fähre?

Die Auto- und Personenfähre war am vergangenen Mittwoch vor der Südwestküste Südkoreas gekentert und gesunken. Die Unglücksursache ist bislang noch offen. Nach Angaben der Ermittler ereignete sich der Unfall an der Stelle, wo die Fähre eine Richtungsänderung vorgenommen hatte. Untersucht wird auch, ob die Ladung eventuell verrutscht sein könnte, so dass das Schiff in Schieflage geriet. Nach der Übernahme der 20 Jahre alten Fähre hatte der südkoreanische Betreiber bei Umbauten die Aufnahmekapazitäten des Schiffs erweitert.

Der Kapitän, die Dritte Offizierin und der Steuermann sitzen seit Samstag wegen Fahrlässigkeit und anderer Vorwürfe in Untersuchungshaft. Am Montag wurden der leitenden Ingenieur und drei weitere Offiziere verhaftet. Des Weiteren untersagten die Behörden 44 Personen, darunter dem Rest der „Sewol“- Crew und der Geschäftsführung der Reederei Cheonghaejin Marine, das Land zu verlassen. Die Ermittler untersuchen unter anderem, warum die Besatzung keine Evakuierungsdurchsage unmittelbar nach dem Unfall gemacht hatte.

Kritik an Südkoreas Präsidentin

Auch Südkoreas Regierung gerät durch das Fährunglück ins Schlingern. Beobachter erwarten eine Regierungsumbildung, nachdem die Kritik an Präsidentin Park Geun Hye immer lauter wird. Es waren harte Worte, die Präsidentin Park Geun Hye selber wählte, als sie ihrerseits das Verhalten der Besatzung kritisierte: „Die Taten des Kapitäns und einiger Besatzungsmitglieder waren vollkommen unverständlich, inakzeptabel und kamen Mord gleich.“

In Südkorea wird Präsidentin Parks Kommentar auch als Kritik an ihren eigenen Mitarbeitern verstanden. Eine Kabinettsumbildung wird in den nächsten Tagen erwartet. Park ist unter Zugzwang, denn seit Tagen wird das Krisenmanagement ihrer Regierung scharf kritisiert. Ein Leitartikel der Tageszeitung „Joongang Ilbo“ vom Wochenende schloss mit den Worten: „In Zeiten einer nationalen Krise wollen – und verdienen – wir eine Regierung, der wir vertrauen können.“ In Anspielung auf die dritte Offizierin, die das Schiffsunglück verursacht haben könnte, spottete die „Korea Times“, man habe im Moment den Eindruck, das ganze Land würde von einer dritten Offizierin gesteuert.

Passagiere sollten in der Fähre bleiben, während die Besatzung das Schiff verließ

Die Vorwürfe gegen den Kapitän und die Besatzung der „Sewol“ basieren vor allem auf der Tatsache, dass die Passagiere dazu aufgefordert wurden, das Schiff nicht zu verlassen, während ein Großteil der Besatzung sich selbst in Sicherheit brachte. Amateurvideos von Passagieren bestätigen diese Anschuldigungen, denn im Hintergrund einiger Aufnahmen hört man deutlich die Borddurchsagen. Der Kapitän, Lee Jun-seok, erklärte seine Entscheidung, mit der Evakuierung zu warten, bereits vor Tagen. Er sagte, das sei Wasser zu kalt und die Strömung zu stark gewesen. Es sei zu gefährlich gewesen, die Passagiere aufzufordern, mit Schwimmwesten ins Wasser zu springen.

Obwohl Lees Fehlentscheidung fatale Folgen hatte, kann man seinen Ausführungen eine gewisse Logik nicht absprechen. In Südkorea gehören Schwimmkurse nicht zum obligatorischen Sportunterricht. Unter den Passagieren befanden sich höchstwahrscheinlich etliche Nichtschwimmer.

Kultur des "balli, balli"

Bei der Ursachenforschung rücken auch immer mehr andere Fragen in den Mittelpunkt: Warum hatten einige Besatzungsmitglieder noch nie an Sicherheitstrainings teilgenommen, obwohl Notfallübungen alle zehn Tage Vorschrift gewesen wären? Warum befand sich mehr und unzureichend gesicherte Fracht auf dem Schiff, als zuerst angegeben worden war? Warum wurde mit zu hoher Geschwindigkeit und Abweichungen von der regulären Route versucht, Zeit zu gewinnen, nachdem die „Sewol“ am letzten Dienstag mit Verspätung den Hafen von Incheon verlassen hatte?

Viele sehen als Hauptproblem Südkoreas sogenannte „balli, balli“-Kultur – die Tendenz, alles „schnell, schnell“ zu erledigen, oft zulasten der Sicherheit. In Südkorea erinnert das jetzige Unglück viele an den Einsturz von Seouls Seongsu-Brücke 1994 und den Einsturz des Shampoong-Gebäudes 1995. In beiden Fällen forderte die Missachtung fundamentaler Sicherheitsbestimmungen Todesopfer. (mit dpa)

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