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Feierabend. „Mainz bleibt Mainz“ ist die wichtigste Sitzung der Fastnachtssaison – mit fast sieben Millionen Fernsehzuschauern im vergangenen Jahr.

© Andreas Arnold/dpa

Fastnacht in Mainz: Wie geht politischer Humor in Zeiten des Populismus?

Der Kabarettist Lars Reichow wollte immer nur unterhalten. Nach 25 Bühnenjahren hat er nun eine Mission – die AfD dem Spott preiszugeben. Beim Fastnachtsklassiker „Mainz bleibt Mainz“.

Der Saal ist vom Wein und Tamtam schon etwas angesäuselt, und Lars Reichow sammelt von der Bühne aus spielend die Lacher ein und den Beifall. Es ist spät geworden bei der Fernsehfastnacht „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“. Reichow steht am Rednerpult, in grauem Anzug und bunter Fliege. Er macht eine kurze Pause, dann hebt er den Finger und setzt zur Schlussoffensive an. „An alle Petrys, Le Pens und Wilders: Packt eure Koffer, ihr Geschichtsfälscher, ihr Kleingartenfaschisten, und macht euch auf die Reise. Gerade sind sieben neue erdähnliche Planeten entdeckt worden. Da wird ja wohl einer dabei sein.“

Der ganze Saal im Kurfürstlichen Schloss springt auf, der Jubel explodiert, als hätten sie alle zusammen die entscheidende Abstimmung gewonnen. „Ein rauschhafter Abend“ für Lars Reichow. Das ist nun ein Jahr her. Für Momente wie diese hat er sich überhaupt erst hineingestürzt in die Mainzer Fastnacht.

Lars Reichow ist Kabarettist, seit 25 Jahren, er spielt in der ersten Liga, tritt in ganz Deutschland auf, hat Preise abgeräumt für seinen intellektuellen Sprachwitz, seine feinsinnigen Lieder. Die Politik? War ihm dabei lange nicht wichtig genug. „Ich wollte unterhaltendes Kabarett machen. Mein Programm war mir zu schade, um es für einen Kanzlerkandidaten umzuschreiben, der von heute auf morgen weg vom Fernster ist.“

"Ich wollte ran an die Seele des Volkes"

Jetzt will er ohne Politik gar nicht mehr auf die Bühne. 53 Jahre ist er alt, Vater von vier Kindern. Er spürt einen „Wahnsinnsdurst nach Politik. Es ist der richtige Zeitpunkt, um Politik ins Publikum zu bringen und nicht wortreich eine Frauenhandtasche zu durchwühlen. Dafür bin ich da mit meinem Beruf.“

Gerade in der Fastnacht fühlt er sich am richtigen Platz, obwohl die Witze oft platt sind und die Reime einen Deutschlehrer wie ihn schütteln müssen. 2013 stieg er richtig ein. „Ich wollte ran an die Seele des Volkes“, sagt er. „Bei keiner Sendung erreiche ich so viele Menschen.“ Knapp sieben Millionen waren es im vergangenen Jahr, doppelt so viele, wie zur gleichen Zeit die „heute-show“ sahen.

An diesem Freitag wird Reichow wieder auftreten, diesmal überträgt das ZDF „Mainz bleibt Mainz“, die wichtigste Sitzung der Fastnacht, in der Reichow den wichtigsten politischen Vortrag halten wird. Da ist Reichow noch einmal neu herausgefordert, denn in diesem Jahr ist vieles anders.

Dienstzeit. Büttenredner Lars Reichow studiert die Konkurrenz.
Dienstzeit. Büttenredner Lars Reichow studiert die Konkurrenz.

© Friedhard Teuffel

Die Mainzer halten sich zugute, die politischste Fastnacht zu feiern, weit politischer als die Kölner und Düsseldorfer. Ihre Vorträge sind ihnen heilig. Reichow kann etwas Distanziertes ausstrahlen, dann wieder etwas Warmes und Herzliches, so wie er in seinem Programm hin und her springt zwischen sprachgebildetem Hochdeutsch und Meenzer Gebabbel. In der Fastnacht steht er dadurch gleichzeitig als Profi und Mann des Volkes auf der Bühne.

Eine Büttenrede wie seine soll aus Bauchgefühlen Witze machen, also gerne populistisch sein. Aber dem Populismus der Fastnacht steht auf einmal noch ein anderer gegenüber. Einer, der sogar im Bundestag angekommen ist. Jetzt geht es ums Kräftemessen. Und Reichow will auf jeden Fall gewinnen. „Die Leute wollen hören, dass es richtig ist, sich von denen nicht alles gefallen zu lassen.“ Mit „denen“ sind nicht mehr wie früher „die da oben“ gemeint, sondern „die da rechts“.

„Wir lassen uns unsere Menschlichkeit nicht durch den Dreck ziehen“, hat Reichow im vergangenen Jahr bei der Fernsehsitzung gerufen. Und weil so viel Begeisterung dafür zurückkam, so viel Applaus und Gejohle, sagt er: „Ich dachte, wir hätten sie besiegt. Der Saal hat das so widergespiegelt.“ Inzwischen weiß er, es war eine Illusion.

Ein Grundsatz steht infrage: allen wohl und niemand weh

Der Saal, das ist die gesellige Oberschicht von Mainz, ergänzt um Landes- und Bundespolitiker. Auch zwei von der AfD waren dabei, der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Uwe Junge mit Pickelhaube und sein niedersächsischer Kollege Armin-Paul Hampel. Nach Reichows Vortrag gingen sie nach vorne. Um die Bühne zu stürmen und zum Publikum zu sprechen, lautet eine Version. Nein, nur um sich persönlich vom Sitzungspräsidenten zu verabschieden, erzählt Junge später. Ein Sicherheitsmann begleitete ihn nach draußen.

Ein Grundsatz der Mainzer Fastnacht steht jedoch gerade infrage: allen wohl und niemand weh. So lief das jahrzehntelang. Die Vorträge teilten nach allen Seiten aus, aber bloß nicht zu viel. Politiker, die da saßen und mitschunkelten, sollten noch mitlachen – und im nächsten Jahr wiederkommen. Das ZDF hat Junge in diesem Jahr nicht mehr eingeladen.

Vom Schreckgespenst hat sich die AfD zum parlamentarischen Festkörper entwickelt. Lars Reichow muss daher eine neue karnevalistische Antwort auf die Frage geben: Wie umgehen mit der AfD? „Im letzten Jahr war mein Vortrag an der Grenze zum Ernst. Fast eine Predigt.“ Das will er ändern. Nicht das gleiche Rezept noch einmal anwenden. Die Wirkung könnte sich schon abgenutzt haben. Seine Mission soll nicht scheitern. „Dafür brauche ich noch eine Strategie.“

Ein Abend Ende Januar. Reichow will sich für seinen Vortrag noch ein Gefühl holen, am besten an der Basis. Wenn die Sitzung „Mainz bleibt Mainz“ die Gala der Fastnacht ist, dann ist die bei den „Bohnebeitel“ in Mainz-Mombach ein Volkstheater, einfach, wie der Name Bohnenbeutel schon sagt. 756 Zuschauer, ausverkaufte Turnhalle. Mombach ist ein Arbeiterstadtteil. Reichow wurde hier geboren.

Reichow braucht einen freien Kopf

In der Turnhalle muss er sich erstmal eine Gasse durch den Frohsinn bahnen. Vorbei an bunten Perücken und ausladenden Kopfbedeckungen und all den rhythmisch klatschenden Händen, die Kapelle bläst schon den Narhallamarsch, die Hymne der Fastnacht. Reichow hat einen plüschigen Narrenhut dabei, er will ja zur Feiergesellschaft gehören. Und er hat ein weißes Hemd an, im Dienst ist er schließlich auch. Der Hut wird während der fünfstündigen Sitzung auf seinem Schoß liegen bleiben wie eine Perserkatze. Reichow braucht einen freien Kopf.

Sein Sitznachbar schräg gegenüber beugt sich vor und ruft durch den Kapellenlärm: „Ach, Sie sin des! Wann sehe mer Sie widder uff de Bühn?“ – „Bei Mainz bleibt Mainz“, antwortet Reichow und bekommt dafür ein zufriedenes Nicken. Den ersten Vortrag hält hier der Oberbürgermeister, Michael Ebling von der SPD, denn er kommt ebenfalls aus Mombach und ist schon einige Jahre länger bei den „Bohnebeitel“ als in seinem Amt. Mit einem Spruch über Christian Lindner steigt er ein, was „man jetzt auch von ihm weiß, der ist in Farbe noch schlimmer als gedruckt in Schwarz-Weiß“. Dann ist er schon bei der AfD: „Die hat bei der Weihnachtskrippe – völkisch korrekt – alle Figuren sehr rasch versteckt, die Araber, Flüchtlinge oder jüdisch sind. So die verhunzte Szene einem AfD-Parteitag glich, auch dort: nur Ochsen und Esel. Allein unter sich.“ Reichow grinst und klatscht, der Saal fühlt sich gut unterhalten.

"Trump ist der erste Präsident, der definitiv im Ikea-Bett gezeugt wurde"

Der Sitzungspräsident kündigt den einzigen Vertreter an, der in der Bundespolitik gerade nicht nur geschäftsführend tätig sei, Antonio, Koch des Bundestags. Die Leute von der AfD hätten sein Tagesangebot abgelehnt: „Lasagne, das war denen zu vielschichtig.“ Den bisher größten Lacherfolg des Abends erreicht er damit: „Trump ist der erste Präsident, der definitiv im Ikea-Bett gezeugt wurde, da fehlen mindestens fünf Schrauben.“ Über die Frisur von Trump wird auch gewitzelt, Reichow zieht ein erstes Fazit: „Trump wird hier mehr als ästhetisches Problem gesehen, das macht es dann so einfach, darüber zu lachen.“

In der Pause treffen sich die etwa 30 Mitwirkenden unter der Halle in der Umkleide. Organisationschef Ulli Bohland, Mitte 40, rosig-fröhliches Gesicht, stellt alle namentlich vor, für jeden wird geklatscht, und als Erstes ist der Mann dran, der die Pausenbrötchen geschmiert hat – die Fastnacht ist in Mainz der größte Betrieb zum Verteilen von Anerkennung.

Als Bohland bei Reichow ankommt, erzählt er, dass sein Fanklub von Mainz 05 immer dessen Mainz-Lied im Bus gehört habe, wenn sie von Auswärtsfahrten zurück über den Rhein gefahren seien. „Da ist manche Träne geflossen.“ Das melancholische Stück gilt als inoffizielle Hymne der Stadt. Es ist Reichows erste Liebeserklärung an Mainz. „Du bist nicht groß, nicht so bedeutend, kein Muster, kein Modell, du bist kein Rom und kein Venedig, du fährst lieber Karussell.

Fastnacht ist "das Gefühl, sich zur Heimat zu bekennen"

Reichows zweite Liebeserklärung an Mainz ist sein Einstieg in die Fastnacht. „Es ist das Gefühl, sich zur Heimat zu bekennen.“ Er habe dabei nach einer Rolle gesucht, in der er sich nicht verbiegen müsse, erzählt er am Biertisch in der Umkleidekabine vor einem Pappteller mit Leberkäse, Brezel und Würstchen.

Neben seiner politischen Mission ist die Fastnacht für ihn ein Tauchgang auf den Grund der Mainzer Seele. „Wir sind uns so ähnlich, der kleine, verschmitzte Humor. Das gemütliche Sitzen. Es gibt eine unglaubliche Diskussions- und Streitlust, aber dann heben die Leute das Glas, sie wollen sich am Ende alle wieder vertragen, alles begradigen, befrieden durch einen Schluck Wein.“

Ein Gardist läuft mit Glocke durch die Gänge und läutet zum zweiten Teil. Auf dem Weg zurück zu seinem Platz werden Reichow einige Hände entgegengestreckt, immer wieder hört er die Frage: Sind Sie wieder bei der Fernsehsitzung dabei?

Auftritt Horst Radelli, er ist so lange Büttenredner in der Fastnacht wie Wolfgang Schäuble in der Politik. „Dass kein Nazi Bundestagsvizepräsident ist, finde ich wundervoll“, sagt er, später fordert er, bei all dem Zuzug „soll es auch bezahlbaren Wohnraum für die deutsche Bevölkerung geben“. Es ist das einzige Mal, dass das Thema Flüchtlinge an diesem Abend angesprochen wird. Vielleicht liegt das auch daran, dass der Vorrat an alten Feindbildern immer noch nicht aufgebraucht ist: Fleischwurstverächter gehören dazu und die als schnöselig empfundenen Nachbarn aus Wiesbaden. Radelli bringt sie alle in einem Satz unter: „Veganer und Vegetarier, die finden auch Wiesbaden schön.“

Legendäre Feinschaften

Reichow lächelt und wiegt dann den Kopf hin und her. „Manche Feindschaft ist hier wirklich legendär“, sagt er. Das Tauschgeschäft Wiesbadenwitze gegen Lachen und Klatschen funktioniert immer. Das Publikum sitzt eingekuschelt in einem sehnlichen Gefühl, dass manches einfach bleibt, wie es ist. Zu viel Fortschritt ist ohnehin verdächtig. Also am besten sich erst mal drüber lustig machen.

Nach rechts ausfallend wird es nicht, und möglicherweise gibt es ja noch andere Gründe dafür, die mit Mainz zu tun haben? Carl Zuckmayer hat die Gegend am Rhein die Völkermühle Europas genannt und Anna Seghers im „Siebten Kreuz“ Mainz eine Stadt, die keinen alleinlässt. Jeder kann dazugehören, der dazugehören möchte und etwas dafür tut. Aber sich zur AfD bekennen und dann noch dazugehören wollen, diese Probe riskiert bisher niemand. Da hört der Spaß auf.

Um Reichows Hals hängen inzwischen außer dem Vereinsorden der „Bohnebeitel“ Luftschlangen. Zum Finale fallen Luftballons von der Decke. Eine Weile bleibt er noch vor der Bühne stehen und schaut den Leuten beim Rausgehen zu und den Helfern beim Abbauen. „Man sieht im Saal junge Frauen, die Alten hocken im Elferrat, die Mittvierziger schieben die Kulissen, das sind drei bis vier Generationen, die hier zusammen engagiert sind. Klar kann man sagen, das ist alles verfilzt. Aber die sind auch miteinander befreundet“, sagt er, als wolle er sich selbst noch einmal bestätigen, dass seine Entscheidung für die Fastnacht richtig war.

Gemeinsames Lachen ist wie ein intravenöser Schluck Wein

In einem Kabuff reicht ihm Ulli Bohland noch ein letztes Bier aus dem Kühlschrank. „Und?“, fragt er. „Tolle Sitzung“, sagt Reichow. Und schiebt eine Analyse hinterher: „Trump vom Sockel in die eigene Küche holen. Greifbar werden lassen. Die Menschen wünschen sich Alltäglichkeiten.“ Fastnacht bedeute auch: Es muss ein Ausweg zum Lachen geboten werden. Das gemeinsame Lachen sei wie ein intravenöser Schluck Wein. Damit lasse sich alles besser aushalten.

Was das nun für Reichows Vortrag in der Fernsehsitzung bedeutet? Das Große will er klein machen. Und manches vielleicht auch ganz kurz. „Die Talkshows haben die AfD doch erst richtig groß gemacht.“ Er denkt darüber nach, sie diesmal einfach nur zu streifen, ihr nicht zu viele Worte zu schenken. Einen Satz dazu hat er schon im Kopf. „Lassen wir sie in Ruhe.“ Pause. „Scheitern.“

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