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Sensation in Honeckers Republik. Im originalsten Japanrestaurant außerhalb Japans mitten in der DDR-Provinz stiegen die Gäste vor dem Essen nackt in den Pool.

© promo

Film: "Sushi in Suhl" - eine japanische Traumwelt in der DDR-Provinz

Schwerter zu Stäbchen: Rolf Anschütz betrieb in der DDR ein legendäres Japan-Restaurant, das „Waffenschmied“ – jetzt kommt dazu der Film: „Sushi in Suhl“ ins Kino. Auch ein Buch ist zum Thema erschienen. Vor dem Essen stiegen die Gäste gemeinsam nackt in den Swimmingpool.

Warum ausgerechnet japanische Küche? Genau lässt sich heute nicht mehr sagen, weshalb der Gastronom Rolf Anschütz in tiefster thüringischer Provinz das einzige Japan-Restaurant der DDR betrieb. Vielleicht spiegelte sich darin die Sehnsucht nach Ländern, die für viele Ostdeutsche unerreichbar waren. Anschütz, Jahrgang 1932, legte schon bei seinem Fernstudium an der Leipziger Fachschule für Hotel- und Gaststättenwesen eine Prüfung in „japanisch kochen“ ab. 1966 war es dann soweit: Als Chef der Gaststätte „Waffenschmied“ in Suhl begann er, japanische Speisen anzubieten. Es war ein absolutes Unikum in der DDR. Die lokale Presse schwärmte von der „vitaminreichen und wohlschmeckenden Novität“. Ein bezaubernder Film über Anschütz und sein legendäres DDR-Restaurant startet mit Uwe Steimle in der Hauptrolle am Donnerstag in den Kinos: „Sushi in Suhl“. Regisseur Carsten Fiebeler wurde 1965 in Zwickau geboren, er kennt die DDR. Und im Gegensatz zu so manchem Kollegen pflegt er keinen platten Realismus. Fiebeler ist jemand, der gründlich recherchiert und sich dann doch ein paar künstlerische Freiheiten nimmt. Er selbst bezeichnet „Sushi in Suhl“ als „emotionale Heimat-Komödie, die wie ein Märchen erzählt wird“. Bereits die wahre Geschichte ist märchenhaft, Rolf Anschütz hatte in seinem Restaurant eine regelrechte Traumwelt innerhalb der DDR errichtet. Bemerkenswert ist, dass die DDR auf diese Weise in den Genuss von Sushi kam, lange bevor dies im Westen Ende der 80er Jahre ein Trend wurde. Die DDR als Vorreiter? Das konnten sich die SEDOberen offenbar nicht vorstellen. Sie beobachteten das muntere Treiben mit Argwohn, die Stasi hatte Spitzel platziert. In Japan galt das Lokal sogar als „japanischstes Restaurant außerhalb Japans“, wie der Suhler Autor Holger Uske in seinem gerade erschienenen Buch über Anschütz und den „Waffenschmied“ schreibt. Der japanische Botschafter in der DDR kam jedes Jahr zu Besuch. Im Gegenzug wurde Rolf Anschütz zum Geburtstag des Tenno in die Botschaft nach Berlin eingeladen.

Julia Richter spielt Anschütz’ Frau, die sich für die Gäste als Geisha verkleidete.
Julia Richter spielt Anschütz’ Frau, die sich für die Gäste als Geisha verkleidete.

© promo

Weit zurückhaltender war die Obrigkeit im Bezirk Suhl. Nicht genug, dass der Um- und Ausbau des Restaurants am Rande der Legalität erfolgte – ein „unentwirrbarer Mix von Planbau, Initiativbau und Schwarzbau“, wie sich ein Zeitzeuge erinnert. Zudem konnten die Original-Zutaten für die Speisen nur gegen harte Währung aus Japan bezogen werden. Auch Anschütz’ Mutter musste bisweilen bei der Beschaffung helfen, da sie als Rentnerin in den Westen fahren durfte.

Erst recht für Misstrauen sorgte das Baderitual, das ab 1977 zum vierstündigen Gastmahl gehörte. Einmal kam der führende Genosse im Bezirk Suhl, SED-Chef Hans Albrecht, aber doch zum Essen. Eine deutsche „Geisha“, die dort als Bedienung arbeitete, hat daran keine gute Erinnerung. Nicht wegen des Bezirksfürsten, sondern wegen dessen Frau. Die soll ihrem Mann zugezischt haben: „Das Nacktbaden treibst du denen auch noch aus.“ Den sagenhaften Erfolg des Projekts hielt das nicht auf. Jeder DDR-Bürger hatte von dem Restaurant gehört. Fast zwei Millionen Gäste habe er begrüßen können, erzählte Anschütz in dem Film. 870 000 Besucher hätten am Baderitual teilgenommen. Bis zu zwei Jahre musste ein Tisch im „Waffenschmied“ vorbestellt werden.

Mit dem Baderitual hatte Anschütz ein traditionell japanisches Element hinzugefügt, das aber eigentlich in dieser Form nicht ganz dazugehört. In traditionellen Hotels in Japan ist es in der Tat üblich, dass Gäste zuerst in ein Gemeinschaftsbad steigen, bevor sie zum Essen gehen. Beim normalen Restaurantbesuch ist das nicht üblich.

Ende der 80er Jahre sollte Anschütz auch in Berlin ein Japan-Restaurant aufmachen. Zuerst war die Friedrichstraße im Gespräch, dann ein Neubau am Müggelsee. Doch urplötzlich kam das Aus. Ranghohe Genossen meinten, angesichts der Versorgungsmisere sei das den DDR-Bürgern nicht mehr zuzumuten, schreibt Autor Uske. Nach der Wende erfüllte sich Anschütz seinen Traum von einem Japan-Hotel in Thüringens bekanntestem Urlaubsort Oberhof. Doch das „Sakura“ ging 2002 pleite. Sechs Jahre später, kurz vor seinem 76. Geburtstag, starb der Gastronom, der in den DDR-Alltag den Geschmack der weiten Welt gebracht hatte.

Die Gefahr des Films ist ein Zuviel an Liebe, eine übertriebene Nettigkeit und Biederkeit. Doch Fiebeler verliert den ernsten Hintergrund nicht aus den Augen. „Sushi in Suhl“ vertritt als erster Gastronomiefilm die These, dass das Kochen politisch ist. Sein Held macht sich verschiedener Vergehen schuldig: Individualismus, Privatwirtschaft, Kontakt zum Klassenfeind. Und ganz nebenbei verliert der Gastronom auch seine Familie und seine Freunde. Diese Verlusterfahrungen werden beiläufig inszeniert und von Uwe Steimle mit stiller Tragik fast unterspielt. Ein paar Erotik-Einlagen gibt es. In dem gemeinschaftlichen Swimmingpool absolviert Christian Tramitz als Gast aus dem Westen einen mutigen Kurzauftritt.

Holger Uske: Rolf Anschütz und das Japanrestaurant Suhl. Kleine Suhler Reihe, Band 38.

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