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Schnell unterwegs. Der 24-Jährige stellte Videos von riskanten Fahrmanövern ins Internet. Am 17. Juni soll er einen Fußgänger überfahren haben.

© dpa

Filmender Motorradfahrer: Prozess gegen Raser in Bremen beginnt

Es kommt sehr selten vor, dass ein Raser wegen Mordes angeklagt wird. Jetzt aber steht ein filmender Motorradfahrer in Bremen vor Gericht.

Als „Alpi“ noch gefahren ist, kümmerte er sich nicht um die Straßenverkehrsordnung. Der junge Bremer raste mit seinem 200-PS-Motorrad juchzend durch die Stadt, filmte seine hochriskanten Touren per Helmkamera und verbreitete die Videos anschließend im Internet. Sein YouTube-Kanal „Alpi fährt“ hatte mehr als 80 000 Fans.

Inzwischen fährt „Alpi“ nicht mehr. Denn am Abend des 17. Juni hat er einen Fußgänger erfasst, der gerade bei Rot die Straße überquerte. Der 75-Jährige flog mehrere Meter durch die Luft und starb noch am Unfallort. Der Raser selbst wurde schwer verletzt und wird wohl nie mehr Motorrad fahren können.

Seit Montag sitzt der 24-jährige Student auf der Anklagebank im Landgericht Bremen – nicht etwa wegen fahrlässiger Tötung, sondern wegen Mordverdachts. Und wegen Fahrens ohne Führerschein, denn er hatte nicht die passende Fahrerlaubnis. Außerdem wird ihm Gefährdung des Straßenverkehrs und Fahrerflucht vorgeworfen, denn laut Anklage soll er zuvor bereits zwei andere Fahrzeuge „grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt“ und dabei ein Auto beschädigt haben. Statt anzuhalten, sei er „mit deutlich mehr als 100 Kilometern pro Stunde“ weitergefahren – bis zur tödlichen Kollision in einem Baustellenbereich.

Während Staatsanwalt Björn Krebs die Anklage verliest, lässt der Motorradfan keine Regung erkennen. Aber dann trägt er eine handschriftliche persönliche Erklärung vor, zwei Minuten lang mit zunächst stockender Stimme: Es tue ihm alles leid, und er bereue es zutiefst. „Wenn ich könnte, würde ich alles tun, um es rückgängig zu machen.“ Er habe auch an einem Entschuldigungsbrief gesessen, wolle sich aber doch lieber persönlich entschuldigen. Die drei erwachsenen Kinder des Getöteten sitzen als Nebenkläger im Schwurgerichtssaal, aber der Angeklagte schaut sie nicht an. Und sie sagen nichts dazu, ob sie die Reue für glaubhaft halten.

"Niedere Beweggründe"

Dass ein Raser wegen Mordes angeklagt wird, ist sehr ungewöhnlich. Der Staatsanwalt nennt dafür zwei Argumente, zwei Mordmerkmale: Mit dem Davonrasen habe der Angeklagte die vorangegangenen Verkehrsdelikte verdecken wollen, und er habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt. Seine Touren hätten dazu gedient, „sich selbst einen Kick zu verschaffen, Adrenalinschübe zu verspüren“, sein Geltungsbedürfnis gegenüber seinen Internet-Fans zu befriedigen und mit den Videos Geld zu verdienen. Wer so schnell durch die Stadt fahre, halte einen tödlichen Unfall zumindest für möglich und nehme ihn „billigend in Kauf“.

„Natürlich hat der Angeklagte sich schuldig gemacht“, sagt Verteidiger Bernhard Docke nach dem ersten Verhandlungstag. Aber die Mordanklage sei „übertrieben“. Sein Kollege Armin von Döllen sieht hier eher „jugendlichen Leichtsinn“ am Werk. Bekanntlich würden junge Leute dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen und Gefahren zu unterschätzen. Aber der damals 23-Jährige habe bestimmt niemanden töten wollen. Sonst hätte er ja auch die eigenen Verletzungen billigend in Kauf nehmen müssen.

Am Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt. Bis dahin müssen der Vorsitzende Richter Jürgen Seifert und seine beiden Beisitzerinnen über eine „Besetzungsrüge“ entscheiden. Die Verteidigung moniert, dass das Landgericht wegen Überlastung der eigentlich zuständigen Strafkammer kurzfristig eine „Hilfsstrafkammer“ eingerichtet habe, die nur für dieses Verfahren zuständig sei. Anwalt Docke sagt: „Das ist ein geradezu lehrbuchartiger Verstoß gegen das Verfassungsprinzip des gesetzlichen Richters“, also gegen die Regel, dass Zuständigkeiten vorab „abstrakt-generell“ für eine unbestimmte Zahl von Verfahren festzulegen seien. Falls das Gericht die Rüge zurückweist, hätte die Verteidigung damit Material für eine Revision zum Bundesgerichtshof.

Von der nächtlichen Todesfahrt scheint es keine Aufnahmen zu geben. Aber die Videos von anderen Touren kursieren noch im Internet. Einmal zeigt der digitale Tacho, wie „Alpi“ seine Kawasaki-Maschine auf Tempo 177 beschleunigt. Wenn ihm jemand in die Quere kommt, regt er sich im Video mit überschlagender Stimme auf, zum Beispiel über einen Passanten auf dem rechten Fahrstreifen, den er fast erwischt hätte: „Er wäre gestorben. Ich hätte ihn in seine Einzelteile zerlegt, wie mein Lego.“ Aber die meisten Videos, meint Anwalt von Döllen, seien „völlig harmlos“. Motorräder zu testen und durch die Stadt zu fahren, sei nun mal „Alpis“ Lebensinhalt gewesen. Bis zur tödlichen Tour am 17. Juni.

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