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© dpa

Flatrate: Sex: Mehr als zwei Mal kann kaum einer

Sexarbeiterinnen wittern hinter den Razzien gegen Flatrate-Bordelle politische Motive. Juristen bezweifeln, dass das Flatrate-Konzept gesetzlich verfolgt werden kann.

Katja ist entsetzt. „Razzia im PussyClub?!“ Nur ein paar Wochen hat die schlanke Mecklenburgerin, 29 Jahre alt, Pferdeschwanz, gelernte Einzelhandelskauffrau, in dem Schönefelder Bordell gearbeitet: „Aber die Zeit war so weit o. k.“ Katja, die eigentlich anders heißt, ist Gelegenheitsprostituierte, als Subunternehmerin. Am Sonntag hatten 150 Polizisten den Club im Süden Berlins und drei weitere Häuser der Bordellkette in Baden-Württemberg und im Ruhrgebiet gestürmt. Einer der Slogan der vier Puffs: „70 Euro – Sex, Essen und Trinken so viel du willst.“ Offizieller Grund der Razzia: Steuerhinterziehung, Untreue bei Sozialabgaben.

Das halten Juristen und Branchenvertreter für vorgeschoben. Die Steuerehrlichkeit unter Prostituierten sei gering, aber nicht geringer als bei vielen Selbstständigen anderer Berufe. Die Berliner Finanzverwaltung bestätigte dem Tagesspiegel: Rund 70 Bordelle in der Hauptstadt führen Steuern ab, 2008 flossen so knapp 700 000 Euro in die Landeskasse.

„Die Razzien waren politisch gewollt“, sagt Stephanie Klee, Sprecherin des Bundesverbands für sexuelle Dienstleistungen und seit 25 Jahren selbst Prostituierte. „Das Gewerbe soll wieder in eine dunkle Ecke gedrängt werden“, befürchtet die 46-jährige Berlinerin. Seit Monaten mobilisieren Kirchen und Bürgerinitiativen gegen die Flatrate-Puffs. Die zwei Bordelle in Baden-Württemberg sind wegen mangelnder Hygiene geschlossen worden, bundesweit wurden am Sonntag 270 Männer und 170 Frauen von der Polizei kontrolliert.

Der Pussy-Club in Schönefeld darf offen bleiben. „Hätte mich auch gewundert“, sagt Katja. Sauber sei es dort, unliebsame Freier habe sie ablehnen dürfen. Die Geschäftsführerin der PussyClubs, gegen die am Montag Haftbefehl erlassen worden sein soll, hatte kurz vor der Razzia erklärt: Der Sex in ihren Häusern komme im beidseitigen Einverständnis zwischen Gast und Subunternehmerin zustande. „Möglicherweise hat unser Marketing-Konzept einen missverständlichen Eindruck vermittelt.“ Man werde die Werbung ändern.

Sex gegen Geld ist seit 2002 legal, Juristen erklären nun, dass auch in diesem Gewerbe eine Flatrate möglich sein müsse. „Wenn Frauen in einem Bordell arbeiten, das solche Angebote macht, ist nur entscheidend, ob sie es freiwillig tun“, sagt Daniel Wölky, Anwalt und Strafrechtsexperte aus Berlin. Und während Prostituierte auf dem Straßenstrich häufig Opfer gewalttätiger Zuhälter seien, übten in bekannten Großbordellen selten mafiöse Schläger die Kontrolle aus, erzählen Sozialarbeiter. Die Behörden erheben gegen die vier Häuser derzeit keine Vorwürfe wegen Nötigung oder Menschenhandel. In einem Fall gebe es aber einen Hinweis auf Zwangsprostitution.

Ohnehin hätten die meisten Frauen in Flatrate-Bordellen nicht mehr Freier als in Standardpuffs. „Drei, vier Männer pro Nacht, wie überall“ habe Katja bedient. „Die meisten Männer machen nach einer halben Stunde ’ne Pause, essen was und wollen danach höchstens noch eine andere Frau“, erzählt sie. Von Kunden, die mehr als zwei, drei Mal Sex pro Abend hatten, habe sie noch nie gehört.

Auch wer privat regelmäßig auf vier Orgasmen pro Nacht käme, dürfe nicht damit rechnen, mit einer zumeist fremden Prostituierten auf einen ähnlichen Durchschnitt zu kommen, sagt Stephanie Klee: „Die meisten Männer können bei einer Hure höchstens zwei Mal.“ Denn auch potente Männer stünden außerhalb der eigenen vier Wände unter Anspannung. „Wer zu Hause immer kann, würde als Pornostar trotzdem versagen“, habe Klee beobachtet.

Ein seriöses Bordell achte außerdem darauf, Kunden, die Aufputschmittel genommen haben, nicht hereinzulassen. „Kokain im Pussy-Club – kann sein, aber glaub ich wirklich nicht“, sagt Katja. „Bei so einer Riesenrazzia hätten die doch dann was gefunden?“

Noch ermitteln die Behörden. Von „organisierter Kriminalität“ sprach Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) am Montag. „Ich habe nichts gegen normale Bordelle, solche Flatrate-Puffs verstoßen aber gegen die Menschenwürde.“ Dagegen wehren sich Prostituierte in einem Brief an die Bundesregierung: „Die aggressive Werbung dieser Clubs gefällt uns auch nicht. So wenig wie Flatrate-Trinken oder All-inclusive-Urlaube mit genussvollem Trinken oder Urlauben zu tun haben, hat eine Sex-Flatrate mit genussvollem Sex zu tun.“ Doch eine Kriminalisierung der Sexarbeit erhöhe das Risiko mafiöser Branchenbanden. Erst seit der Legalisierung 2002 hätten Huren die nötigen Rechte, um sich zu wehren.

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