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Lampedusa Boot

© AFP

Flüchtlingsaufnahme: Endstation Lampedusa

Im Auffanglager auf der Mittelmeerinsel Lampedusa drängen sich derzeit so viele Flüchtlinge wie nie zuvor. Einheimische und Zuwanderer protestieren gegen die Pläne der Regierung, ein zweites Lager zu errichten.

Ein kleines Eiland, elf Kilometer lang, drei Kilometer breit. Steinig, karg, ohne eigenes Wasser. Die afrikanische Küste ist 112 Kilometer, die sizilianische doppelt so weit entfernt. Aber Lampedusa gehört zu Italien, zu Europa. Wer hier ankommt, der hat es geschafft. Der ist drin, im "besseren Leben". Deswegen ist Lampedusa seit den späten neunziger Jahren zum Hauptziel von Flüchtlingen und illegalen Einwanderern aus Afrika geworden. 30 657 von ihnen sind im vergangenen Jahr auf Lampedusa gelandet oder gestrandet, so viele wie nie zuvor. 11 700 waren es 2007, 18 100 zählte man im Jahr 2006.

Ein Auffanglager gibt es auf Lampedusa, gebaut ist es für 850 Personen, aber diesmal will die "Saison" nicht enden. Bisher wagten die Afrikaner und ihre Schleuser eine Überfahrt in den maroden, lebensgefährlichen Barken lediglich im Sommer - nun scheuen sie auch die Winterstürme nicht mehr. 1300 Menschen drängen sich zurzeit im Auffanglager, in den ersten Tagen des Jahres waren es sogar 1800. Die hygienischen Zustände, die Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln, Medizin sind entsprechend.

Alles soll bleiben wie bisher

Lampedusa
Lampedusa

© TSP/US

Jetzt haben die Afrikaner rebelliert. Zu Hunderten sind sie aus dem Lager ausgebrochen und über die Insel gezogen. "Freiheit!", skandierten sie, "Freiheit, Berlusconi!" Die Afrikaner trafen in der kleinen Stadt auf eine zeitgleiche Demonstration der 6000 Insulaner - und beide fanden in den anderen ihre geradezu natürlichen Verbündeten. Denn beide Seiten protestieren gegen die Pläne der Regierung, auf Lampedusa ein zweites Lager einzurichten. Die Einheimischen, darunter Bürgermeister Dino de Rubeis, lehnen es massiv ab, dass Lampedusa wieder - wie zwischen 1872 und 1940 - eine Strafkolonie wird. Sie befürchten, dass sie dann ihr ohnehin schrumpfendes Tourismusgeschäft ganz vergessen können. Und was soll die Insel sonst an Auskommen bieten? Die Kartoffeln und die Linsen, die dort spärlich wachsen? Nur die Fischerei drumherum?

Einheimische und Zuwanderer wollen, das alles so bleibt wie bisher: Lampedusa als geografisch offenbar unvermeidliche Anlaufstelle - aber auch als Durchgangsposten. Der Staat möge, fordern sie, die Afrikaner möglichst schnell aufs italienische Festland weitertransportieren. Dort landen sie zwar in der Regel in anderen Auffanglagern und bekommen - falls sie nicht als Flüchtlinge anerkannt werden - irgendwann einen gerichtlichen Ausreisebefehl in die Hand gedrückt. Ob sie wirklich das Land verlassen, darum kümmert sich der italienische Staat nicht mehr. Die meisten bleiben und tauchen unter.

Die Zahl der illegalen Zuwanderer ist gestiegen

Silvio Berlusconi und sein Mitte-Rechts-Bündnis indes haben die Wahl 2008 unter anderem mit dem Versprechen gewonnen, sie würden die Zahl der illegalen Zuwanderer drastisch senken. Das Gegenteil ist eingetreten: Die Zahl der Illegalen liegt um 75 Prozent über dem Vorwahljahr. Nun will Berlusconi die Zuwanderer zumindest vom Festland abhalten und auf dem entlegenen Lampedusa einsperren. Innenminister Roberto Maroni plant dort ein "Zentrum zur Identifizierung und Ausweisung", wo die Zuwanderer bis zum Abschluss ihrer rechtlichen Anerkennungs- oder Abschiebeprozeduren festgehalten werden. Danach sollen sie direkt in ihre Herkunftsländer zurückgeflogen werden.

Gegen die wesentlich größere und dauerhaftere Massierung von Afrikanern, die zwangsläufig aus diesen Plänen folgt, wehrt sich Lampedusa. Die Zuwanderer protestieren, weil die Insel dann für sie Endstation wird. Und Menschenrechtsverbände äußern Zweifel, ob die rechtlichen Verfahren korrekt ablaufen, wenn sie so gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Lampedusas Bürgermeister betont, die Insel sei nicht rassistisch. Und doch hat er offenbar an jener Menschenjagd teilgenommen, die nach dem Ausbruch vom Wochenende jenen zwanzig Afrikanern galt, die nicht ins Auffanglager zurückgekehrt waren. Im August 2008 hat Italien einen "Freundschaftsvertrag" mit Libyen in Sachen Zuwanderung geschlossen. Gemeinsame Schiffspatrouillen sollten Flüchtlingsboote abfangen; Libyen wollte gegen die Schleuser und deren Sammellager auf seinem Staatsgebiet vorgehen. Doch bisher hat das italienische Parlament den Vertrag nicht ratifiziert.

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