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Flüchtlinge und Helfer singen mit einem Flüchtlingschor in der Flüchtlingsunterkunft Oststadtkrankenhaus in Hannover (Niedersachsen). In dem ehemaligen Krankenhaus sind 720 Flüchtlinge aus 33 Nationen untergebracht.

© dpa

Flüchtlingschor Hannover: Flüchtlinge lernen deutsches Liedgut

Sie sprechen Arabisch und Persisch, Serbisch und Englisch. Doch wenn sich die Sängerinnen und Sänger des Flüchtlingschors Hannover zur Übungsstunde treffen, stehen deutsche Lieder im Mittelpunkt.

„Stille Nacht, heilige Nacht“ singen die 13 Männer und Frauen aus Ruanda, Afghanistan, Montenegro, Iran und Deutschland mitten im September. Nach „Amazing Grace“ und „Freude schöner Götterfunken“ ist es das dritte Stück im Repertoire des Flüchtlingschors Hannover, den der Opernsänger Mohsen Rashidkhan vor vier Monaten gegründet hat. Die Lieder sollten einfach und berühmt sein, sagt der 39-jährige Iraner, der vor 14 Jahren nach Deutschland kam. „'Stille Nacht' gehört zur deutschen Kultur.

Das ist Integration, oder?“ Die 27-jährige Maja Manojlovic kommt aus Serbien und singt seit einem Monat im Flüchtlingschor. „Das Singen macht mir viel Spaß. Es ist viel besser, als im Zimmer zu sitzen und sich zu langweilen.“ Genau aus diesem Grund kam auch Rashidkhan auf die Idee, den Chor im ehemaligen hannoverschen Oststadt-Krankenhaus und heutigen Wohnheim für derzeit rund 720 Flüchtlinge zu gründen. „Ich habe einen Freund im Flüchtlingswohnheim besucht und gesehen, die Menschen haben nichts zu tun.“

Bevor die erste Probe in der Kantine des Wohnheims stattfinden konnte, musste der Opernsänger mit der sonoren Bassstimme erstmal ordentlich Werbung machen. „Ich bin durch die Flure gegangen, habe an die Türen geklopft und die Menschen in ihrer Sprache angesprochen.“ Auf Arabisch, Persisch, Deutsch, Englisch und ein bisschen Kurdisch. Einfach einen Zettel auszuhängen, habe keinen Sinn. „Den lesen die nicht. Man muss den Leuten die Hand geben.“ Mittlerweile kommen jeden Dienstag um die zehn Sänger zur Probe. Die beginnt Rashidkhan mit einfachen Tonübungen. „Zuhören ist wichtig, im Leben auch, viele hören nicht zu.“

Chorleiter Mohsen Rashidkhan probt am 20.09.15 mit dem Flüchtlingschor im ehemaligen Oststadtkrankenhaus und heutigen Flüchtlingswohnheim in Hannover. Seine Hände zeigen an "lauter werden". Der 39-jährige Opernsänger aus dem Iran gründete den Flüchtlingschor vor vier Monaten.
Chorleiter Mohsen Rashidkhan probt am 20.09.15 mit dem Flüchtlingschor im ehemaligen Oststadtkrankenhaus und heutigen Flüchtlingswohnheim in Hannover. Seine Hände zeigen an "lauter werden". Der 39-jährige Opernsänger aus dem Iran gründete den Flüchtlingschor vor vier Monaten.

© epd

Der Chorleiter gibt seinen Leuten viele praktische Tipps. Zeigt ihnen beispielsweise, wie sie sich selbstbewusst und aufrecht wie ein König auf einen Stuhl setzen können. „Ich bin ein Moralprediger.“ Ihm sei wichtig, dass die Menschen sauber singen lernen und sich untereinander austauschen. „Wer zusammen singen kann, kann auch zusammen leben.“ Rashidkhans humorvolle, direkte Art kommt bei den Sängern gut an, auch bei Benjamin Silimi aus dem Kosovo. „Der Chor ist mit Herz“, sagt der 22-Jährige. Für jedes neue Lied wird die Aussprache geübt, die einzelnen Begriffe werden erklärt. So könne er sein Deutsch verbessern. „Aber ich lerne von Rashidkhan auch, wie man eine Frau in Deutschland anspricht.“ Seit seiner Gründung hat der Chor vier kleine Konzerte gegeben, das letzte bei einem Festakt im Alten Rathaus in Hannover vor Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

Rashidkhan findet, dass die Sänger durch die öffentlichen Auftritte ihr Verhalten änderten. Sie würden selbstbewusster und fühlten sich angenommen in der Gesellschaft. „Die Sänger benehmen sich deutsch.“ In den kommenden Wochen will er ein Treffen mit dem Berliner Flüchtlingschor arrangieren. Viel mehr plant der Chorleiter nicht im Voraus. Die Menschen kommen auf ihn zu. Der nächste Auftritt etwa hat sich während der Probe zu „Stille Nacht“ ergeben: Eine junge Frau kam dazu und hat den Chor auf ihren 30. Geburtstag eingeladen. Zum Singen und zum Mitfeiern. Sie habe von dem Projekt auf Facebook gelesen und sich gedacht, das passe gut zu ihrer Party. (epd)

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