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Aufmerksam und besonders freundlich sind die Mitarbeiter im Stadthaushotel. Foto: dpa

© picture-alliance/ dpa

Panorama: Fünf Sterne für die Herzlichkeit

Solides Mobiliar, bequeme Betten, Radiowecker, Telefon und Farbfernsehen: Auf den ersten Blick sieht es im „Stadthaushotel“ aus wie in vielen anderen Drei- Sterne-Häusern. Auch beim Frühstück, das bei schönem Wetter auf der Gartenterrasse serviert wird, fällt vielen Gästen nichts auf.

Solides Mobiliar, bequeme Betten, Radiowecker, Telefon und Farbfernsehen: Auf den ersten Blick sieht es im „Stadthaushotel“ aus wie in vielen anderen Drei- Sterne-Häusern. Auch beim Frühstück, das bei schönem Wetter auf der Gartenterrasse serviert wird, fällt vielen Gästen nichts auf. Der Service ist freundlich. Manchmal ist er allerdings fast zu freundlich. Da kann es einem passieren, dass man drei- oder viermal hintereinander gefragt wird, ob man noch Kaffee möchte, dass man intensiver angelächelt wird als gewohnt oder vielleicht auch ein bisschen zu eindringlich gefragt wird, ob es einem schmeckt. An solchen Details merkt dann der Gast, dass er sich in einem sogenannten Integrationsbetrieb befindet.

1993 eröffnet, war das Stadthaushotel in Hamburg-Altona europaweit der erste Beherbergungsbetrieb seiner Art. Von elf Mitarbeitern haben neun ein Handicap, sind entweder geistig oder körperlich behindert oder hatten Suchtprobleme. Während Nicki zum Beispiel am Downsyndrom leidet und Clemens, der während seiner Geburt zu wenig Sauerstoff bekam, Schwierigkeiten mit seinem Gedächtnis hat, hatte Patrick lange Zeit mit dem zu kämpfen, was hier als „soziales Handicap“ bezeichnet wird und sich in akuten Lern- oder Anpassungsschwierigkeiten äußert.

Zunächst kam der 24-Jährige in keiner Ausbildung klar. Aber nachdem er vor vier Jahren im Stadthaushotel begann, das Gastronomiefach zu erlernen und später zum Hotelfach umsattelte, erledigt er das Ein- und Auschecken der Gäste heute ebenso routiniert wie den Frühstücksservice oder Büroarbeiten. „Am liebsten berate ich die Gäste, wenn sie auf der Suche nach einer passenden Veranstaltung sind“, meint er zufrieden. Wenn er seine Ausbildung demnächst abschließt, hat er gute Chancen, auf dem freien Markt eine entsprechende Stelle zu finden.

Die Idee zu dem Integrationshotel hatten die Eltern von acht behinderten jungen Menschen. Sie gründeten 1987 den Verein Werkstatthaus Hamburg, um für ihre Kinder eine dauerhafte Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zu schaffen. Dazu sollte ein kleines Hotel mit angeschlossener Wohnung entstehen. Die künftigen Mitarbeiter wurden in einer speziellen Berufsschulklasse ausgebildet und machten sich an die Arbeit.

Als jedoch nach einigen Jahren die Spenden- und Fördergelder versiegten, war das Projekt in Gefahr. Da griff ihm der Verein „jugend hilft jugend“ unter die Arme, der sich als Träger vieler sozialer Projekte betätigt und gerade auf dem Nachbargrundstück einen Neubau errichtete. Kurzerhand wurde der kleine Beherbergungsbetrieb um sechs Zimmer erweitert, so dass er jetzt über vier Einzel-, acht Doppel- und ein Mehrbettzimmer verfügt, von denen sieben rollstuhlgerecht sind. Angegliedert wurde auch das bereits bestehende „Café Max B“ im Nachbarhaus mit W-Lan-Hotspot, das vor allem von ehemaligen Suchtkranken betrieben wurde.

Heute ist es bei Hamburgern wie Touristen ebenso beliebt – auf der wechselnde Tageskarte stehen beispielsweise gratinierter Ziegenkäse mit frischem Salat oder Fischfrikassee in Hummersauce für 7,50 Euro.

So wurde das Hotelkonzept nach und nach auf eine professionelle Grundlage gestellt, so dass es nicht nur die offizielle Zertifizierung der Dehoga als Drei- Sterne-Betrieb bekam, sondern inzwischen anerkannter Ausbildungsbetrieb ist, der auch Arbeitskräfte an andere Häuser vermittelt. „Wir verstehen uns keineswegs als Bittsteller“, erklärt Kai Wiese, Vorstandsvorsitzender von „jugend hilft jugend“. Aus reiner Solidarität würde kaum jemand 99 Euro für ein Doppelzimmer auf den Tisch legen. Vielmehr müsse man den Gästen den vollwertigen Drei-Sterne-Komfort bieten.

Das tut das Haus und erweist sich dabei als erstaunlich normal. Nur hier und da fällt auf, dass es mit einer Bestellung etwas länger dauert oder ein Mitarbeiter einem anderen, offensichtlich gehörlosen etwas in Gebärdensprache übersetzt. Dafür bringen die Mitarbeiter den Gästen wirkliches Interesse entgegen. „Unsere Stammkunden wissen gerade die Herzlichkeit, die viele Behinderte mitbringen, besonders zu schätzen“, erklärt Wiese. Überhaupt habe sich gezeigt, dass Menschen mit Handicap für das Hotelgewerbe besonders geeignet seien. Die umfangreichen, sich immer wiederholenden Arbeiten ließen sich gut einüben.

Die nach Tarif bezahlten Mitarbeiter müssen allerdings schon die Bereitschaft zum Arbeiten, eine gewisse soziale Kompetenz und Teamfähigkeit mitbringen. Nur beim Anlernen ist es mitunter notwendig, unkonventionelle Wege zu beschreiten: „Anfangs sind einige mit den Staubsaugern ziemlich ruppig umgegangen. Bis wir auf die Idee kamen, ihnen Namen zu geben. Seitdem werden sie ganz fürsorglich behandelt“, sagt Wiese schmunzelnd. Für ihn gehört es zum hanseatischen Selbstverständnis, dass man gute Kaufmannschaft mit sozialem Ausgleich verbindet.

Der Erfolg gibt ihm recht. Die Zimmer sind mit 80 Prozent überdurchschnittlich gut ausgelastet, an der Alster wird das Haus als qualitativer Baustein eines innovativen Tourismus gehandelt. Womit es indessen hapert, ist die Rentabilität. „Ein Haus mit 13 Zimmern kann einfach nicht wirtschaftlich arbeiten. Deshalb gehen wir jetzt auch an die Elbe“, beschreibt Wiese das künftige Projekt. Nicht irgendwo, sondern mitten in der neuen Hafencity soll bis 2011 ein Haus mit mindestens sechzig Zimmern entstehen, das als eine Art sozialer Leuchtturm im neuen Trendquartier fungieren könnte.

Bevor es so weit ist, dient das Stadthaushotel als Vorbild für andere Integrationsbetriebe im In- und Ausland. Um die dreißig Häuser soll es zwischen Rügen und den Alpen bereits geben. Viele von ihnen gehören dem Verbund der Embrace-Hotels an, der sich 2007 in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Vorzeigemodell gegründet hat, um Erfahrungen auszutauschen und sich auf dem Markt zu positionieren. Ob das Marburger „Hotel im Kornspeicher“, die „hoffmann höfe“ in Frankfurt-Niederrad, der Vier-Sterne-Betrieb „Wittikohof“ im bayerischen Bischofsreut oder das „Hofgut Himmelreich“ im Schwarzwald – das Netz der Integrationsbetriebe, die sich auf der Internetseite www.embrace-hotels.de präsentieren, wird immer dichter. Selbst in Südtirol gibt es mittlerweile einen Ableger.

Und auch in Berlin hat das Vorbild des Stadthaushotels Schule gemacht. Zwar firmieren das Hotel „Mit-Mensch“ in Karlshorst, die „Bel Étage“ in Kreuzberg und das Hotel „Grenzfall“, das in Kürze an der Bernauer Straße an den Start gehen soll, nicht unter dem Embrace-Label. Doch tragen die Logierbetriebe weiter dazu bei, den Gedanken der Integration in die Hauptstadt zu tragen. Und davon können alle, Menschen mit oder ohne Handicap, nur profitieren.

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