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Insgesamt rund 150.000 Menschen feiern an diesem Wochenende in Tel Aviv.

© Reuters

Gay Pride in Tel Aviv: Die Regenbogenstadt am Mittelmeer

Mit Israel verbinden viele streng religiöse Werte. Doch der Umgang mit Homosexualität ist sehr entspannt. Schwule und Lesben aus aller Welt zieht es jedes Jahr nach Tel Aviv zum Gay Pride – auch an diesem Wochenende.

Auf 15 Zentimeter hohen Absätzen lässt es sich schwer tanzen. Erst recht auf der Ladefläche eines Lastwagens, auch wenn dieser nur sehr langsam fährt. Talula gibt sich viel Mühe und hält sich mit einer Hand am Geländer neben der Tanzfläche fest, zu der die Ladefläche umgebaut wurde. Die Dragqueen trägt ein gestreiftes Kleid, neongelb, pink, weiß. Ihre riesigen Plastikohrringe baumeln hin und her. Dank ihrem breiten Sonnenhut sitzt das Make-up auch nach der ersten halben Stunde noch – trotz der 30 Grad im Schatten.

Talula findet das alles nur „very beautiful“, „wunderschön“ – die Schwulen, die Lesben, die Transen, die Heteros, dieses Wetter, und hach, diese Stadt. Beautiful. Diese Stadt ist Tel Aviv, und sie hat sich an diesem Tag zu einer einzigen Partymeile verwandelt. Nicht, dass man hier an anderen Tagen des Jahres keinen Grund zu feiern hätte. Die Stadt ist für ihre Bars und ihr Nachtleben bekannt. Doch am Gay Pride Wochenende ist alles noch verrückter, lauter und bunter.

Schon in der Woche zuvor hat sich Tel Aviv regenbogenbunt gefärbt, mit Partys am Gay Beach, einer Messe im Einkaufszentrum Dizengoff, einem Fußballturnier für Homosexuelle und einem Internationalen Filmfestival. Am Wochenende dann gibt es kaum noch ein Durchkommen im Stadtzentrum. Die Straßen sind für Autos kilometerweise gesperrt, im Stadtpark Gan Meir präsentieren sich zahlreiche LGBT-Gruppen mit Ständen – also Gruppen für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle. Und auf der Strandpromenade, wo die Parade entlangführt, tanzen tausende Menschen in sehr kurzen Hosen und in sehr engen Shirts neben den Lastwägen mit ihren DJs und Tänzern. Manche sind gleich in Bikini und Unterwäsche gekommen.

Ausgerechnet hier, 60 Kilometer vom konservativen Jerusalem entfernt

Insgesamt rund 150.000 Menschen feiern an diesem Wochenende in Tel Aviv. Die Stadt hat es in den vergangenen Jahren geschafft, das größte Gay Pride Event des Nahen Ostens zu veranstalten und 2011 in einer Umfrage zur Besten „Gay City“ gekürt zu werden. Ausgerechnet hier, 60 Kilometer vom konservativen Jerusalem entfernt, mitten in einer Region, die für ihren anhaltenden Konflikt bekannt ist. Doch Tel Aviv ist nicht Israel, wie Berlin nicht Deutschland ist. „Tel Aviv ist ein eigenes Land. Und es hat drei Dinge, die Homosexuellen anziehen: ein lebendiges Nachtleben, den Strand und schöne Menschen“, sagt Motty Reif, ein israelischer Promi und Produzent von Fashionevents. Seit drei Jahren organisiert er die Party am Meer am Ende der Parade.

Der Erfolg ist nicht zuletzt der Stadtverwaltung zu verdanken, die die LGBT-Gemeinde unterstützt. Allein in diesem Jahr hat sie umgerechnet bereits rund 400.000 Euro dafür ausgegeben. Seit Tagen leuchtet das Rathaus in den Regenbogenfahnen. Doch hinter all der guten Laune und all dem Lob für das vorbildlich homosexuellen-freundliche Tel Aviv steckt der wahre Grund, warum Informationsstände im Stadtpark und eine Parade wie diese dringend nötig sind. Shai Doitsh weiß das nur zu gut. Er ist der Vorsitzende von Aguda, der israelischen LGBT-Vereinigung. „Noch immer gibt es homophobe Angriffe und Fälle, in denen Familie ihre Kinder aus dem Haus werfen. Selbst in säkularen Kreisen ist das traditionelle Familienleben – Mutter, Vater, Kinder – sehr wichtig. Einer Studie des Gesundheitsministeriums zufolge sind 49 Prozent der jungen LGBT’s suizidgefährdet. Doch all dies ist meist nur innerhalb der Gemeinschaft bekannt.“ Deshalb brauche es eine Parade wir diese, um sich nicht nur selbst, sondern auch die damit verbundene Diskriminierung zu outen.

Shai Doitsh will an den Problemen arbeiten, die Fortschritte feiern und die Welt daran teilhaben lassen. So initiierte er vor sechs Jahren eine Kampagne, um Tel Aviv zu einem Anziehungspunkt für LGBTs zu machen. „Damals war Tel Aviv als Reiseziel für Schwule und Lesben noch ein Geheimtipp, es kamen hauptsächlich Flugbegleiter und Freunde, die davon wussten.“ In diesem Jahr sind bereits 30.000 Touristen aus dem Ausland zur Gay Pride Woche angereist. Wie Markus und Christian aus Hamburg. Die beiden geben sich gleich auf den ersten Blick als Deutsche zu erkennen: „Schwule und Lesben in der Union“ steht auf ihren blauen Shirts. „Wir sind einer Vereinigung für Schwulen und Lesben in konservativen Parteien“, sagt Christian. „Dazu zählen auch die Israelis, weil sie im Europarat Beobachterstatus haben. Wir haben das Wochenende für unser Treffen genutzt.“ Die beiden sind seit 13 Jahren ein Paar und nicht mehr auf der Suche nach dem Liebesglück.

Und doch haben sie bereits gemerkt, dass Israelis ganz anders Flirten als die Deutschen: „Es ist amerikanisierter. Die Leute gehen offen aufeinander zu, fragen: Wie geht's? Wie heißt du? Was machst du hier?“ Sie sind das erste Mal in Israel und überrascht: „Die Spannungen zwischen den Orthodoxen und der Gay Pride hätte ich mir stärker vorgestellt, aber davon bekommt man nichts mit. Im Gegenteil, es ist grandios, wie die großen Straßen hier alle zehn Meter mit der Regenbogenflagge geschmückt sind.“

Gay Pride ist eben längst nicht mehr nur eine Veranstaltung für Schwule und Lesben, sondern für die gesamte Stadt. Wer kommt, läuft, tanzt und feiert mit, auch Heterosexuelle, wie Nirah (27) und Zohar (34). Sie wohnen gleich neben der Straße, auf der die Parade entlangführt, und sind mit einer Kühltasche voll Bier gekommen. Vor zwei Tagen erst haben sie geheiratet. „Ich bin einer große Unterstützerin der LGBT-Gemeinde“, sagt Nirah. „Jeder sollte jeden lieben dürfen und ein Recht darauf haben, sein Leben stolz und in Würde zu leben.“ Nirah kommt ursprünglich aus Toronto und war auch dort bereits auf Gay Pride Paraden. „Doch die Menschen hier besonders enthusiastisch, so offen und relaxt. Hier zögert keiner, zu tanzen oder Spaß zu haben. Man kann Tel Aviv mit keiner anderen Stadt der Welt vergleichen.“

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