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Bergung der Trümmer der in den französischen Alpen abgestürzten Germanwings-Maschine.

© dpa

Update

Germanwings Flug 4U 9525: Co-Pilot Andreas Lubitz probte Sinkflug schon auf dem Hinweg

Der Crash der Germanwings-Maschine war geplant. Bereits auf dem Hinflug ging Co-Pilot Andreas Lubitz ohne technische Notwendigkeit minutenlang auf Sinkflug. Für die französischen Ermittler führte der 27-Jährige die Katastrophe eindeutig bewusst herbei.

Co-Pilot Andreas Lubitz hat am 24. März den Germanwings-Flug 4U9525 von Barcelona nach Düsseldorf mutwillig gegen ein Bergmassiv in den französischen Alpen gesteuert. Daran lässt der am Mittwoch veröffentliche Zwischenbericht der französischen Flugunfall-Untersuchungsstelle BEA keinen Zweifel. Bei dem bewusst herbeigeführten Absturz waren alle 150 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Bereits auf dem Hinflug hatte der 27jährige offenbar seine Tat geprobt.

Wie die Auswertung von Stimmenrecorder und Flugdatenschreiber ergab, hatte der Flugkapitän bereits auf dem Hinflug von Düsseldorf nach Barcelona von 7.19 Uhr bis 7.24 Uhr das Cockpit verlassen. In seiner Abwesenheit forderte das Kontrollzentrum Bordeaux die Besatzung auf, die Flughöhe um 2000 auf 35 000 Fuß (10 668 Meter) zu reduzieren. Während des Sinkfluges wurde die Flughöhe am Autopiloten wiederholt kurzzeitig auf 100 Fuß (rund 30 Meter) verstellt, den niedrigste beim Airbus A320 einstellbaren Wert. Sie stabilisierte sich dann bei 25 000 Fuß (7620 Metern). Ob der zurückkehrende Kapitän das Geschehen bemerkte und Lubitz diesbezüglich befragte, geht nicht aus dem Bericht hervor. Den ganzen Bericht der Flugsicherheitsbehörde BEA lesen Sie hier.

Kapitän suchte die Toilette auf, dann begann der Sturzflug

Auf dem Rückflug von Barcelona nach Düsseldorf diskutierten die beiden Piloten, deren professionelles Niveau aufgrund der Schulungsunterlagen als „überdurchschnittlich“ eingestuft wurde, noch die Gründe einer vor dem Start entstandenen Verspätung. Um 9.30 Uhr verließ der Flugkapitän das Cockpit, um die Toilette aufzusuchen. Nur 29 Sekunden später wurde die Zielflughöhe auf 100 Fuß eingestellt und der Airbus begann seinen verhängnisvollen Sinkflug. Um 9.33 Uhr fing Lubitz an, die Geschwindigkeit zu erhöhen, bis sie sich bei 345 Knoten (rund 639 km/h) stabilisierte. Auf Funksprüche der französischen Fluglotsen reagierte er nicht.

Um 9.34 Uhr ertönte erstmals der Türsummer des die Rückkehr ins Cockpit begehrenden Flugkapitäns. Wiederholt wurde auch aus der Kabine versucht, den Co-Piloten über das interne Telefon anzurufen. Zwischen 9.39 und 9.40 Uhr sind dumpfe Schläge gegen die gepanzerte Cockpittür zu hören, deren externe Öffnung aus dem Cockpit mit einem Mechanismus blockiert wurde, der eigentlich das Eindringen von Terroristen verhindern soll. Sechs Sekunden nach 9.41 Uhr kollidierte die Maschine mit dem Bergmassiv. "Man kann daraus schließen, dass er handlungsfähig war und dass alle seine Handlungen den gleichen Sinn hatten, nämlich das Flugzeug auf den Boden stürzen zu lassen", sagte der Direktor der französische Luftfahrtermittlungsbehörde BEA, Rémi Joutyin, in Le Bourget bei Paris.

Der Hinflug: Die orangen Linien markieren die Abwesenheit der Kapitäns. Während dieser vier Minuten stellte Co-Pilot Lubitz die Flughöhe mehrfach auf 100 Fuß.
Der Hinflug: Die orangen Linien markieren die Abwesenheit der Kapitäns. Während dieser vier Minuten stellte Co-Pilot Lubitz die Flughöhe mehrfach auf 100 Fuß.

© BEA

Andreas Lubitz unterbrach Ausbildung aus medizinischen Gründen

Laut dem Zwischenbericht hatte Andreas Lubitz zwischen Januar und April 2008 am Auswahlverfahren für den Piloten-Grundkurs der Lufthansa teilgenommen. Am 1. September 2008 begann er dort seine Ausbildung, die er nur zwei Monate später aus medizinischen Gründen unterbrach. Am 9. April 2009 wurde sein medizinisches Flugtauglichkeitszeugnis aufgrund einer Depression und entsprechender Medikamentengabe vom Aeromedical Center der Lufthansa nicht verlängert, am 14. Juli ein Antrag auf Neuausstellung abgelehnt. Eine entsprechende Information ging an das Luftfahrtbundesamt als Lizenzbehörde. Am 28. Juli erhielt Lubitz dann doch sein „Medical“ mit der Einschränkung, dass vor jeder Verlängerung oder Erneuerung zusätzliche Untersuchungen sowie ein Kontakt des Mediziners mit dem Amt erforderlich waren. Am 26. August konnte der Mann daraufhin seine Pilotenausbildung fortsetzen und arbeitete nebenbei als Flugbegleiter bei der Lufthansa. Am 2. September 2013 trat er seine Stelle bei Germanwings an und wurde am 26. Juni 2014 zum Co-Piloten ernannt. Am 28. Juli wurde sein medizinisches Tauglichkeitszeugnis letztmalig erneuert.

Laut BEA gab es seit 1982 weltweit insgesamt sechs weitere Unfälle von Verkehrsflugzeugen mit insgesamt 423 Todesopfern, die mutmaßlich auf absichtliche Manöver eines Besatzungsmitglieds zurückgeführt werden. Einer der Schwerpunkte der weiteren Untersuchung der Germanwings-Katastrophe werde die Balance zwischen ärztlicher Schweigepflicht und Flugsicherheit sein, so die Behörde. Es gelte zu klären, wie Piloten, die die Intention haben, den Verlust des Flugzeuges und der Insassen zu verursachen, trotz rechtsverbindlicher medizinischer Kriterien für Flugzeugbesatzungen insbesondere auf den Gebieten Psychiatrie, Psychologie und Verhaltensproblemen ins Cockpit gelangen können. In einem zweiten Bereich wird es um die Cockpitsicherheit vor dem Kompromiss zwischen den Sicherheitsanforderungen seit den Terrorattacken vom 11. September 2001 und den Anforderungen für die Flugsicherheit.

Konsequenzen für die Luftsicherheit

Die jetzt vorgelegte Darstellung der BEA des genauen Ablaufs des Flugs ist dabei ein erster Schritt - der endgültige Bericht wird wohl erst nach einem Jahr vorliegen. Darin geht es dann auch um mögliche Konsequenzen für die Sicherheitsvorschriften in der Luftfahrt. Die französische Behörde will insbesondere die Regeln zur medizinischen Untersuchung von Piloten und die „Balance zwischen ärztlicher Schweigepflicht und Flugsicherheit“ betrachten. Zudem steht die Frage der Cockpitsicherheit auf ihrer Agenda. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 waren die Cockpittüren mit neuen Sicherheitssystemen ausgestattet worden - im Fall des Germanwings-Flugs versuchte der Kapitän vergeblich, in das verriegelte Cockpit zu gelangen. Jouty: „Das Szenario einer psychologischen Untüchtigkeit des Piloten wurde damals nicht in Betracht gezogen.“

Bei der Flugkatastrophe waren am 24. März alle 150 Menschen an Bord des Germanwings-Airbus ums Leben gekommen, unter ihnen 72 Deutsche. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft von Marseille erklärte schon wenige Tage nach dem Absturz nach einer Untersuchung des geborgenen Stimmrekorders, Lubitz habe die Maschine vermutlich absichtlich zum Absturz gebracht.

Der Bericht der BEA befasst sich auch eingehend mit den Tauglichkeitszeugnissen von Lubitz. Er bekam demnach im April 2008 ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 ohne Restriktionen. Zwischen April und Juli 2009 wurde die Erneuerung des Zeugnisses wegen "einer depressiven Episode und der entsprechenden Medikation" verzögert. Ab Juli 2009 wurde das Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 dann jährlich erneuert, allerdings mit einem besonderen Vermerk versehen.

Lizenz des Co-Piloten enthielt Hinweis auf Vorgeschichte

Weiter wurde bekannt, dass es einen Hinweis auf medizinische Untersuchungen in der Fluglizenz von Lubitz gab. Die Pilotenlizenz beinhaltete einen sogenannten SIC-Eintrag („Specific medical examinations“), heißt es im Zwischenbericht der Bea. Dies bedeute, dass der Fliegerarzt vor einer regelmäßigen Beurteilung der Flugtauglichkeit die Behörde kontaktieren müsse.

In dem Bericht heißt es zudem, dass das Flugmedizinische Zentrum der Lufthansa das Tauglichkeitszeugnis des Mannes wegen seiner mit Medikamenten behandelten Depression im Jahr 2009 zweimal nicht erneuert habe. Im selben Jahr habe Lubitz dann ein neues Tauglichkeitszeugnis erhalten. Dies zeige, dass der Fall des Mannes damals aufmerksamer untersucht worden sei, sagte Jouty. Das medizinische Problem sei bekannt gewesen. Es sei untersucht worden, und es sei eine Entscheidung getroffen worden.

Der Lufthansa als Muttergesellschaft von Germanwings lag der Zwischenbericht am Mittwochvormittag bereits vor. Ein Sprecher wollte sich dennoch nicht äußern. Man sei dabei, das Dokument auszuwerten, hieß es. Die Veröffentlichung des Inhalts sei aber Sache der französischen Untersuchungsbehörde.

Verlassen der Flughöhe nur in Ausnahmesituationen erlaubt

Eine Sprecherin der Deutschen Flugsicherung im hessischen Langen erläutert: Will ein Pilot die vorgesehene Flugroute oder -höhe verlassen, muss er sich an genaue Vorschriften halten. Er darf nur dann von der Strecke abweichen oder in einen Steig- oder Sinkflug übergehen, wenn ihm der zuständige Fluglotse das erlaubt. Einzige Ausnahme: eine Notsituation, zum Beispiel ein Gewitter. In einem derartigen Fall teilt der Pilot dem Lotsen mit, wie er das Unwetter umfliegen will. Der Lotse erteile dann nach Prüfung die Freigabe, da nur er das gesamte Bild im Flugraum im Blick habe, erklärte die Sprecherin. Das gleiche Prinzip gelte auch für Notlandungen, da der Lotse dafür sorgen müsse, dass keine anderen Maschinen in dieser Situation in diesen Luftraum hineingelassen werden. (mit dpa, rok)

Rainer W. During

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