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Golf von Mexiko: Es geht um die Existenz

Die Ölpest im Golf von Mexiko ruiniert die Fischer – jetzt wollen sie wenigstens bei der Reinigung der Strände helfen

Die Küste ist im Alarmzustand. Fischer versammeln sich an den Pieren der Ortschaften, von Venice im Mississippi- Delta, Bundesstaat Louisiana, über Biloxi, Mississippi, bis Mobile, Alabama. Manche sind zornig. Viele sind niedergeschlagen. Einige fordern, sie wollten wenigstens an den anfallenden Arbeiten im Zuge dieser Heimsuchung, die wohl ihre Jobs auf Jahre infrage stellen wird, beteiligt werden – als kleines Zubrot im Angesicht der Existenzbedrohung.

Seit drei Tagen leben sie in einem merkwürdigen Zwischenzustand. Die Katastrophe ist da, und zugleich noch nicht so ganz da. Sie meinen zu wissen, was auf sie zukommt: schwarzer Ölschlick, der die Marschen und Strände verpestet, der die Gefieder unzähliger Vögel verklebt und viele umbringen wird. Und der die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen, die an diesem mehrere hundert Kilometer langen Küstenabschnitt leben, verändert. Austernzucht, Fischfang, Krabbenindustrie, Wassertourismus – was wird aus all den Arbeitsplätzen? In dieser Gegend gibt es nur eine alternative Einkommensquelle von ähnlicher oder größerer ökonomischer Bedeutung: Ölförderung. Auch deren Zukunft steht nach diesem Desaster infrage.

Seit Donnerstag ist klar: Die Hoffnungen, dass man den Ölteppich, der auf die Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ 70 Kilometer vom Land entfernt folgte, draußen auf der See eindämmen können, haben sich zerschlagen. Es ist nicht gelungen, das Bohrloch in 1,7 Kilometer Tiefe zu schließen. So strömen weiterhin jeden Tag 800 000 Liter Rohöl am Meeresboden aus, steigen langsam zur Oberfläche auf und vermischen sich dabei mit dem Wasser. Der Ölteppich nimmt inzwischen eine größere Fläche ein als Schleswig-Holstein.

Auf Luftbildern sind die Ausmaße zu sehen: Das Öl bedeckt eine Fläche in Form eines um 90 Grad nach links gedrehten Herzens. Es erstreckt sich über 150 Kilometer in Nord-Süd-Richtung, schmiegt sich im Westen und Norden an die Küste der Staaten Louisiana, Mississippi und Alabama an, hat die vorgelagerten Chandeleur-Inseln eingeschlossen und läuft 250 Kilometer weiter östlich im Meer als Herzspitze aus. Mehrere bedeutende Naturschutzgebiete liegen in diesem Bereich, der gerade in diesen Wochen Nist- und Rastplätze für vielfältige Vogelarten bietet. Einige waren bereits zuvor vom Aussterben bedroht. „Aus Sicht der Fortpflanzung der Vögel ist das die denkbar schlimmste Jahreszeit für so ein Desaster“, sagt Michael Parr vom Vogelschutzbund der USA.

Bis Samstagmittag hatte die Ölpest freilich nur vereinzelt das Land erreicht. Noch lauerte die Gefahr auf den Wassern des Golfes von Mexiko, die seit Tagen von starken Winden zu hohen Wellen aufgetürmt und dabei durcheinander gewirbelt wurden. Es gab erste Berichte von Seevögeln mit verklebtem Gefieder. Katastrophenhelfer, die aus dem fernen Delaware eingeflogen waren, reinigten einen „Northern Gannet“ mit ölauflösender Seife namens „Danish Blue Dish Soap“. Noch sind solche Bilder die Ausnahme.

Aber vielleicht liegt das daran, dass die Region, wo der Ölteppich zuerst anlanden sollte, so unzugänglich ist. Im sumpfigen Mississippi-Delta ist das Straßennetz begrenzt. Der südlichste, per Auto erreichbare Ort ist Venice, 120 Kilometer von New Orleans, 460 Einwohner, Spitzname „das Ende der Welt“. Von dort sind es weitere 40 Kilometer, bis die Ausläufer des Deltas ins Meer übergehen. Fischer aus dem umliegenden Landkreis Plaquemines Parish sagen, sie könnten sehen, wie sich die zähen braunen Flecken auf Venice zubewegen. Sie nennen es „Schokoladenmus“.

So orientieren die Menschen sich vorerst an den Bildern und den verheerenden Folgen der Havarie des Öltankers „Exxon Valdez“ 1989 vor Alaska. Und alle denken an den Hurrikan „Katrina“. Er hatte die Golfküste vor fünf Jahren verwüstet. Von dem Schlag haben sie sich noch nicht voll erholt. Nun folgt die nächste Katastrophe. Doch diese ist menschengemacht.

Dennoch halten sich die Menschen an der Küste zurück, die Ölindustrie pauschal zu verdammen. „Wir haben hier unten nur zwei Wahlmöglichkeiten: Seafood oder Öl“, sagt Albert „Rusty“ Gaudé, ein wettergegerbter älterer Mann. Es gibt kaum eine Familie, in der nicht mindestens einer der Männer im Ölgewerbe arbeitet. Diese Jobs sind besser bezahlt als die Fischerei. In Venice hoffen die Fischer, dass der Ölkonzern BP sie für die Reinigungsaufgaben anstellt. Arbeit gibt es genug. Seit Tagen werden schwimmende Barrieren ausgebracht, die das Öl vom Land abhalten sollen. Bald wird man Massen von Vögeln und etliche Kilometer Küste vom Öl reinigen müssen.

Es ist freilich nicht ausgemacht, dass die Fischer damit betraut werden. Längst haben Politiker sich der Katastrophe angenommen. Auf ihrer Prioritätenliste stehen die Jobaussichten der Fischer momentan nicht weit oben. Sie müssen in den Medien ihre Tatkraft im Angesicht eines Desasters beweisen. 2010 ist ein wichtiges Wahljahr in den USA. Die Politiker wollen vermeiden, dass es ihnen wie George W. Bush ergeht. Dem wurde bei Hurrikan „Katrina“ 2005 vorgeworfen, er habe viel zu spät reagiert, obwohl sich die Katastrophe damals über Tage angekündigt hatte.

Wird die Ölpest zu „Obamas Katrina“ oder zu „Jindals Katrina“, fragen manche Medien. Bobby Jindal, ein indischstämmiger Republikaner, ist Gouverneur von Louisiana. Er hat als erster Gouverneur der betroffenen Staaten den Notstand ausgerufen und das Pentagon um die Erlaubnis ersucht, die Nationalgarde für den Kampf gegen das Öl zu mobilisieren.

US-Präsident Barack Obama hat die Küste zum nationalen Notstandsgebiet erklärt sowie Einheiten von Armee und Marine in Marsch gesetzt. Und er hat drei Minister zum Krisenmanagement an die Küste beordert. Er will an diesem Sonntag hinreisen. Am Samstagabend sollte er beim White House Correspondent Dinner sprechen. Normalerweise wird eine witzige Rede mit vielen Pointen erwartet. Das passt nun nicht zur Lage. Er muss einen Ton finden, der die Elite der nationalen Medien unterhält, ohne die Menschen an der Golfküste in ihrer Not zu verletzen.

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