zum Hauptinhalt
In den geöffneten Gräbern hätten zwei deutsche Adelige liegen sollen.

© Vatican Media/AFP

Gräber im Vatikan waren leer: Keine Knochen und keine Antworten im Fall Orlandi

Nach einer Suchaktion auf einem Friedhof im Vatikan bleibt das Schicksal von Emanuela Orlandi ein Rätsel. Sie verschwand vor 36 Jahren als Jugendliche.

Pietro Orlandi konnte es kaum fassen: „Ich hatte alles erwartet – bloß nicht, dass die Gräber leer sein würden. Das ist doch unglaublich“, betonte der Bruder von Emanuela Donnerstagmittag auf dem Petersplatz in Rom. Kurz zuvor waren auf dem Campo Santo Teutonico, dem deutschen Friedhof auf vatikanischem Gebiet in Rom, zwei Gräber geöffnet worden.

Er und seine Anwältin hätten „präzise Hinweise“ erhalten, auch aus dem Vatikan selber, dass Emanuela in einem der beiden Gräber bestattet worden sei, betonte Orlandi. Die Tochter eines Hofdieners von Papst Johannes Paul II. war 1983 auf dem Rückweg von einer Musikstunde außerhalb des Vatikans spurlos verschwunden und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Sie war 15 Jahre alt.

Die Angehörigen des Mädchens, die nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch nicht wissen, was Emanuela widerfahren ist, hatten in die gestrige Graböffnung große Hoffnungen gesetzt. „Sucht dort, wohin der Engel weist“, stand in einem anonymen Schreiben, das die Anwältin der Familie, Laura Sgrò, im vergangenen Sommer erhalten hatte.

Wurden die Gräber vorher ausgeräumt?

In dem Briefumschlag befand sich das Foto eines Engels, der auf zwei Gräber des Campo Santo Teutonico hinunterblickt und dessen Hände in Richtung der Grabplatten weisen. Bei den Gräbern handelt es sich um die letzten Ruhestätten von Sophie von Hohenlohe (gestorben 1836) und Herzogin Charlotte Friederike zu Mecklenburg (gestorben 1840).

Die Orlandi-Familie hatte beim Vatikan die Öffnung der Gräber beantragt – und Staatssekretär Pietro Parolin, die Nummer zwei im Kirchenstaat nach dem Papst, hatte dem Ansinnen im Juni zugestimmt. Unter der Aufsicht der vatikanischen Gendarmerie und im Beisein der Anwältin der Familie Orlandi und eines römischen Gerichtsmediziners sind die Gräber am Vormittag des Donnerstags eines nach dem anderen geöffnet worden.

Doch zur Überraschung der Anwesenden fehlten in den Gräbern nicht nur das vermutete Mädchenskelett, sondern auch die sterblichen Überreste derjenigen, die dort eigentlich hätten liegen sollen: die der beiden deutschen Adelsdamen. Unter der ersten Grabplatte befand sich eine rund drei mal vier Meter Großes Kammer – doch auch diese war leer.

Die leeren Gräber auf dem deutschen Friedhof sind nun ein weiterer Mosaikstein in einem Fall, der längst zu einem der größten Mysterien in der Ewigen Stadt zählt. Natürlich hat man sich in Rom gestern sofort gefragt, ob vielleicht jemand, der Angst vor der Enthüllung des Geheimnisses hatte, die Gräber vorsorglich ausgeräumt habe.

Doch Beweise dafür gibt es – wie immer im Fall Orlandi – natürlich nicht, und so ist dieser Verdacht auch nicht mehr als eine weitere wilde Spekulation in einem „Cold Case“, der die Phantasie der Römer wie kaum ein anderer beschäftigt.
Um das – höchstwahrscheinlich traurige – Schicksal der Schülerin ranken sich seit Jahren die wildesten Verschwörungstheorien.

Sexueller Missbrauch und der Papst-Attentäter

Die populärste und morbideste: Emanuela Orlandi sei von Kirchenmännern entführt worden, um sie dann für Sexspiele in der Kurie zu missbrauchen, an denen insbesondere der skandalumwitterte damalige Chef der Vatikanbank IOR, Kardinal Paul Macinkus, aber auch ausländische Diplomaten beteiligt gewesen sein sollen. Später soll die Schülerin nach dieser Theorie getötet und „entsorgt“ worden sein.Zunächst waren osteuropäische Geheimdienste oder die türkischen „Grauen Wölfe“ hinter der mutmaßlichen

Entführung vermutet worden: Die Kidnapper hätten den inhaftierten Papst-Attentäter Ali Agca freipressen wollen. Laut einer anderen Theorie wurde das Mädchen von der römischen Mafia, der „Magliana-Bande“, entführt, um von der Vatikanbank eine hohe Geldsumme zurückzuerhalten, die der Bandenboss Enrico De Pedis dem IOR zum Waschen übergeben haben soll.

Auch das Grab des auf offener Straße erschossenen Mafiabosses war vor einigen Jahren geöffnet worden – ohne dass dabei Klarheit geschaffen worden wäre: In der Gruft befanden sich zwar die Gebeine des Gangsters, aber nicht jene von Emanuela.

Zuletzt waren die Überreste Emanuelas in der vatikanischen Nuntiatur in Rom vermutet worden: Bei Bauarbeiten am Pförtnerhaus waren Ende Oktober des vergangenen Jahres ein weitgehend erhaltenes Skelett und weitere Knochen gefunden worden.

Anhand von DNA-Analysen und mit der C-14-Methode fand das gerichtsmedizinische Institut von Rom jedoch relativ schnell heraus, dass die Knochen von einem Mann und aus der Zeit vor 1964 stammten. Also aus einer Zeit, in der Manuela noch gar nicht geboren war.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false