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Vicky Leandros

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Griechenland-Krise: „Nicht alle Griechen sind Betrüger und korrupt“

Vicky Leandros verteidigt ihr Geburtsland - und verrät, warum sie nach zwei Jahren als Vizebürgermeisterin in Piräus zurücktrat.

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Vicky Leandros, 59, gewann 1972 den Grand Prix d’Eurovision. Die Sängerin hat rund 55 Millionen Platten verkauft. 2006 wurde sie in Piräus Vizebürgermeisterin, das Amt übte sie zwei Jahre aus. Vom 26. bis 30. Dezember wird Vicky Leandros mit Big Band im Tipi in Berlin auftreten.

Frau Leandros, geboren sind Sie als Vassiliki Papathanasiou, und obwohl Sie von Ihrem Mann getrennt leben, heißen Sie immer noch Freifrau von Ruffin. Wie dürfen wir Sie anreden?

Nennen Sie mich einfach Vicky Leandros.

Wir haben gerade Ihrer Probe zugehört. Sie singen Französisch, sprechen mit Ihren Mitarbeitern Griechisch und wir reden nun Deutsch miteinander. Wie viele Sprachen beherrschen Sie eigentlich?

Griechisch, Deutsch, Englisch, Französisch. Gesungen habe ich auch auf Italienisch und Spanisch.

Nicht zu vergessen Ihre japanischen Hits. Zum Beispiel „Machi Kutabireta Nichiyobi“ von 1967…

… übersetzt heißt das „Sonntags nie“.

Sie erinnern sich noch an den Text?

Also der Anfang ging so: „Kami mo kirei ni tokashita shi, kutsu mo pikapika hikatta shi“.

Ihr Stil liegt irgendwo zwischen Schlager und Chanson. An Weihnachten wird man Sie in Berlin mit Big Band erleben können. Haben Sie keine Angst, Ihre Fans zu erschrecken?

Für das Publikum wird es neu sein. Ich bin in meinem Leben musikalisch viele Wege gegangen, habe mit verschiedenen Orchestern zusammengearbeitet, mit Oscar-Preisträger Michel Legrand, mit Philharmonikern. Wenn man so lange singt wie ich, wäre es langweilig, immer dasselbe zu machen.

Neulich hat man Sie sogar an der Seite von Scooter gesehen, Sie haben Ihren Klassiker „L’amour est bleu“ in einer Techno-Version gesungen. Wussten die Teenager im Publikum, wer da auf der Bühne stand?

Ich glaube nicht, dass sie mich kennen. Wahrscheinlich sind die 16-Jährigen wirklich nicht so mein Publikum. Ich bin mit H. P. Baxxter von Scooter befreundet und habe das aus Spaß mitgemacht.

In Deutschland hatten Sie einen Ihrer größten Erfolge 1974, da waren Sie 22, mit „Theo, wir fahren nach Lodz“. Stimmt es, dass Ihr Vater den Song für Sie ausgesucht hat und Sie ihn gar nicht wollten?

Damals war mein Programm auch schon sehr gemischt. Zwei Jahre vorher hatte ich für Luxemburg den Grandprix mit „Après toi“ gewonnen, ich hatte Lieder von Jacques Brel, Elton John, den Moody Blues aufgenommen. Ich durfte mir für jede Platte zehn Songs aussuchen, zwei hat das Team bestimmt. Als ich den „Theo“ hörte, bin ich aus dem Studio gerannt, Tür zugeknallt, weg war ich. Wir haben dann lange diskutiert. Das Lied wurde übrigens erst ein Hit, als es das ZDF in die „Starparade“ nahm. Vorher wollte das kein Sender spielen, die meinten, das passe nicht zu mir.

„Ich habe die Liebe gesehen“, „Ich liebe das Leben“, „Liebe, wo ist dein Zuhause“, alles Titel von Ihnen. Geht das nicht schon sehr in eine Richtung?

Ich singe gerne über verschiedene Liebessituationen, aber ich war eine der Ersten, die mit „Verlorenes Paradies“ über den Klimawandel gesungen hat.

Das war 1982 und …

… dafür wurde ich von Kollegen beschimpft, wie ich denn über die Umwelt singen und die Welt schlecht darstellen könne, dass die Flüsse verschwinden, die Blumen sterben. Oder „Die Welt vor deinem Fenster“, ich hatte einige dieser Lieder.

Sie haben auch mit Mikis Theodorakis gearbeitet.

Einer meiner größten Erfolge, „Ich habe die Liebe gesehen“, ist von ihm geschrieben und ich habe auch CDs mit seinen Liedern aufgenommen.

Der Titel hieß im Original „O Kaimos“, was so viel wie „Sorge“ bedeutet. Bei Ihnen wurde es Liebe.

Er entstand unter dem Eindruck der griechischen Militärregierung Anfang der 70er Jahre. Als wir 2004 die letzte CD gemeinsam aufgenommen haben, erzählte Mikis über sein Leben, wie er im Gefängnis saß, aber er meinte, alles sei jetzt vorbei. Das Lied war dann international mit verschiedenen Texten erfolgreich. Schauen Sie: Ich habe mir vorgenommen, dass ich mich in meinen Liedern nicht politisch ausdrücken muss. Man kann seine Meinung auch auf anderem Weg kundtun.

Sie kandidierten 2006 in Piräus und waren dann zwei Jahre Vizebürgermeisterin.

Ich war für zwei Bereiche verantwortlich: Kultur und internationale Beziehungen. Ich habe mit über 100 Beamten zusammengearbeitet.

Sie haben die ersten fünf Lebensjahre in Athen verbracht. Ist Griechenland immer noch Heimat für Sie?

Meine Heimat ist Deutschland. Hier bin ich aufgewachsen, hier sind meine Kinder groß geworden. Aber Griechenland ist auch ein Teil von mir.

Träumen Sie manchmal auf Griechisch?

Oh, ich träume in beiden Sprachen. Aber komischerweise rechne ich auf Griechisch.

Wenn Sie heute durch Piräus fahren, gibt es da irgendetwas, von dem Sie sagen würden: Das ist von mir, das habe ich als Stadträtin erreicht?

Es ist ein Kulturzentrum geschaffen worden in einem der fünf Distrikte, das ist noch vorhanden. Und das Juwel von Piräus, das große Theater mitten in der Stadt, da waren die ersten EU-Gelder nicht mehr vorhanden, wir mussten die neu beantragen, das wird jetzt saniert.

Die Europäische Kommission hat schon 2004 darauf hingewiesen, dass mit den Zahlen, die Griechenland liefert, etwas nicht stimmen kann. Wann haben Sie denn das erste Mal geahnt, da kommt etwas Schweres auf diese Nation zu?

Wenn man mittendrin ist und jeden Tag ins Rathaus geht, merkt man natürlich sehr viel. Meine Familie meinte dann auch, es sei besser, aufzuhören. Ich habe gesagt, die Lage hier ist so unübersichtlich. Nicht, dass ich mich nicht durchsetzen kann, aber ich wollte in keinen Skandal verwickelt werden und am Ende meinen guten Ruf verlieren.

Gab es einen konkreten Anlass?

Ich habe sehr schnell gemerkt, dass einiges im Argen liegt. Also nicht nur, dass Beamte erst um zehn Uhr kommen und um eins wieder gehen – trinken ein paar Kaffee, essen ein Sandwich und weg sind sie … Man musste sie erst wieder zur Arbeit erziehen, was sehr, sehr schwer ist.

Wenn Sie Schlagzeilen wie diese lesen: „Nehmt den Pleite-Griechen den Euro weg“. Was empfinden Sie?

Ich sehe das ein bisschen nüchterner und differenzierter. Es mag sein, dass da etwas Wahres dran ist. Nur sind nicht alle Griechen Betrüger und korrupt.

Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Fühlen Sie sich durch solche Aussagen beleidigt?

Nein, aber ich weiß, wie die Griechen denken. Es gab viele Artikel, die zu persönlich waren, zu verletzend. Und die Medien haben sich nicht so ausgedrückt, wenn es um Spanien oder Italien ging.

Der CDU-Politiker Josef Schlarmann hat gefordert, Griechenland müsse einige Inseln verkaufen.

Es wird manchmal auch dummes Zeug geredet. Wenn wir Europa zusammenhalten wollen, darf man nicht ganze Völker beleidigen.

Im Fernsehen sehen wir oft Bilder von wilden Protesten auf dem Syntagma-Platz in Athen, von Rauchschwaden und prügelnden Polizisten. Haben Sie Verständnis für die Demonstranten?

Ich glaube, dass die hier falsch interpretiert werden. Oft heißt es: Die Griechen wollen gar keine Reformen. Das stimmt nicht, ein Teil der Bevölkerung wusste gar nicht, dass es ihrem Land schlecht geht. Ihr Durchschnittsgehalt liegt bei 800 Euro. Wenn die jetzt noch einmal 20 oder 30 Prozent weniger kriegen, ist klar, dass die auf die Straße gehen. Normale Familien bringen bereits ihre Kinder in die SOS-Kinderdörfer, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Das gab es noch nie in Griechenland.

Es gibt viele junge Griechen, die sich heute von ihrem Land abwenden und wie einst Ihr Vater nach Deutschland gehen. Würden Sie denen raten, lieber zu Hause zu bleiben?

Schwierig. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten ist hoch, auch für die, die studiert haben. Was sollen die machen? Es wird lange dauern, bis Griechenland sich erholt hat. Schauen Sie auf die neuen Bundesländer, das hat, obwohl viel Geld zur Verfügung stand, sehr lange gedauert. Auch in Griechenland muss sich die Mentalität ändern. Nicht, dass sie dort das Leistungsprinzip nicht kennen. Aber viele Griechen haben lange die Augen zugedrückt, wenn es Geschenke jeder Art von Parteien gab, die an die Macht kamen. Seit Jahrzehnten hat jede Regierung, die an die Macht kam, Versprechungen gemacht und immer neue Beamte eingestellt. Was ich mir wünschen würde, ist, dass die Griechen sich jetzt als Einheit sehen und bereit sind, etwas Neues aufzubauen. Dafür braucht man die Jungen.

Sie haben diesen Schritt gewagt, mit 19 sind Sie sogar nach Amerika gegangen. Kurze Zeit später kamen Sie zurück nach Deutschland.

Alles war schon arrangiert mit zwei Produzenten. Doch als ich da in New York stand, ich hatte auch gerade eine Liebe unglücklich beendet, da fühlte ich mich auf einmal sehr allein. Ich bin in den Flieger und zurück nach Europa geflogen.

Sie könnten heute eine Las-Vegas-Show haben.

Wenn man jung ist, ist man ja auch ein bisschen verrückt, denkt: Was will ich eigentlich hier? Ich geh jetzt mal. Mein Leben ist anders verlaufen, und es ist bisher sehr schön. Ich bin dankbar dafür.

Sie sind jetzt seit annähernd 45 Jahren im Geschäft …

… na ja, es gab ein paar Unterbrechungen, ich habe meine Kinder großgezogen, ich war in der Politik und …

Sie müssen nicht mehr mit Scooter auf der Bühne stehen, um sich die Brötchen zu verdienen.

Musik ist sowieso kein Broterwerb, das ist Leidenschaft, sonst können Sie nicht durchhalten.

Wenn Sie zum x-ten Mal „Après toi“ singen, funktioniert die Leidenschaft da über den Text, denken Sie an irgendetwas Spezielles, oder ist das der Swing?

Beides. Doch natürlich ist der Text sehr wichtig. Ich versetze mich in die Lieder hinein.

Nehmen wir mal Ihr Lied „Berlin“. Da heißt es: „Du zeigst mir oft deine Krallen.“Wann zeigt denn Berlin seine Krallen?

Ich ärgere mich nicht über Berlin, es ist eben nur manchmal ziemlich hart hier.

Nehmen wir die nächste Zeile: „Ich bin dir verfallen“. Woran denken Sie da?

Berlin ist großzügig, offen, hat eine Herzlichkeit, eine Wärme, Berlin ist so kreativ, wie es früher New York war.

Wo treffen Sie denn diese kreativen Menschen? Sitzen Sie abends mit denen im Prominenten-Lokal und reden über Projekte – oder inspiriert Sie der Straßenmusiker am Alex?

Es ist all das, und wenn man durch die Straßen geht, durch Galerien. Ich lade auch oft zu mir ein und koche für Freunde.

Moussaka?

Ja, es kann sein, dass ich fünf Stunden Moussaka zubereite, und wir sitzen dann beieinander in meiner Wohnung in Mitte und unterhalten uns, der eine malt, der andere schreibt.

Für Moussaka braucht man fünf Stunden?

Also erst einmal müssen Sie das Hackfleisch mit den klein geschnittenen Zwiebeln in Olivenöl anbraten, reduzieren, fügen frische, geschälte Tomaten hinzu, die Flüssigkeit muss weg, das dauert ja alles zusammen schon 30, eher 45 Minuten. Dann müssen die Auberginen geschnitten und von beiden Seiten angebraten werden, machen Sie das mal für acht bis sechzehn Leute, da sind Sie zwei Stunden mit beschäftigt. Die müssen ins Sieb, Sie müssen die Bechamelsauce machen, dafür brauchen Sie einen neuen Topf, mit Butter, Mehl, Käse, Parmesan oder meinetwegen auch Leerdammer …

… Leerdammer? Keinen griechischen Käse?

Es gibt so eine Art griechischen Ziegen-Gouda, den können Sie auch nehmen. Dann müssen Sie alles auf ein Blech geben, immer so schichten, Auberginen, Hackfleisch, Bechamel, oben drauf Käse und das kommt 45 Minuten in den Backofen. Macht ungefähr viereinhalb Stunden.

Haben Sie niemanden, der Ihnen das abnimmt?

Nein, das will ich gar nicht. Wenn ich nach Hause komme und mich erden, wieder runterkommen will, sind Einkaufen und Kochen ganz wichtig. Meine drei Kinder sind ja nicht mehr da, die haben jetzt ihr eigenes Leben. Aber sie sollen wissen, wenn sie zu mir kommen, kriegen sie was zu essen. Ebenso meine Freunde.

Gibt es zu Weihnachten bei Ihnen Moussaka?

Nicht doch! Heiligabend versammeln wir uns auf dem Hof meines Mannes und es gibt Gans. Und am 25. muss ich nach Berlin, weil ich ja einen Tag später im Tipi auftrete.

Es gibt noch ein Berlin-Lied von Ihnen: „Fremd in einer großen Stadt“, das war 2005, ungefähr zu der Zeit, als sie nach Berlin zogen, nach der Trennung von Ihrem Mann. Haben Sie beim Singen dieser Zeile auch eine bestimmte Situation vor Augen?

Eher ein Gefühl, „fremd in einer großen Stadt, das Leben fängt neu an“, so habe ich damals gefühlt.

Haben Sie Verständnis für Menschen, die sich vor dem Alter fürchten?

Ja. Älter werden ist nicht immer die größte Freude.

Darf man versuchen, das Alter etwa durch Schönheitsoperationen aufzuhalten?

Das muss jeder für sich entscheiden. Ich glaube nicht, dass man es so aufhalten kann. Dass man viel Sport treibt, ist okay, sich pflegen ist auch wichtig, doch ich möchte nicht mit meinen Töchtern konkurrieren.

Sie lehnen Schönheitsoperationen für sich nicht kategorisch ab.

Wer weiß, wie ich in ein paar Jahren dazu stehe. Ich denke einfach nicht darüber nach.

Sie wirken sehr kontrolliert. Es muss doch Situationen geben, in denen Sie unvernünftig sind. Fahren Sie gerne mal schnell?

Natürlich, aber das dürfen wir ja nicht.

Sind Sie schon mal nachts ins Meer gesprungen?

Ja, ich bin ein Mensch, der gerne lebt. Ich höre auch sehr laut Musik.

Dass sich die Nachbarn beschwert haben?

Ja.

Frau Leandros, eine Antwort schulden Sie uns noch: Woran denken Sie bei der Zeile „Berlin, du zeigst mir oft deine Krallen“.

Also gut: Neulich suche ich in Prenzlauer Berg einen Parkplatz und fahre wirklich langsam um die Ecke. Da kommt ein Radfahrer, ich seh’ ihn, halte an, und der schreit mich an: „Hey, verschwinde!“ Das ist so ein Krallenmoment.

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