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Panorama: Habemus papam

Zehntausende Bayern feiern das Kirchenoberhaupt – versöhnt mit sich und dem kleinen Rest der Welt

Das Knattern verwandelt sich in ein Dröhnen. Selbst die „Benedetto“-Chöre kommen jetzt kaum noch gegen den Hubschrauber an. Es ist Samstagnachmittag, 17 Uhr 30, auf dem Marienplatz. „Gleich ist er da“, schreit die blonde Hamburgerin ins Handy, das sie mit der einen Hand vors Gesicht hält. Mit der anderen streckt sie die Digitalkamera über die Köpfe in Richtung der Absperrung, wo gleich, ohgottohgott, der Papst im Papamobil vorbei fährt.

Zehntausende haben sich in der Münchener Innenstadt versammelt. Jugendliche schwenken Fahnen mit Landeswappen von Baden-Württemberg, Hessen, auch der Berliner Bär tanzt im Wind. Junge Männer mit Tattoos auf den Armen fachsimpeln mit feinen Herrschaften in Jackett und Einstecktüchlein darüber, wo er wohl bleibt, der Heilige Vater. Kellner aus den umliegenden Wirtshäusern, die „Wurstkuchl“ und „Donisl“ heißen, laufen herbei, Väter tragen kleine Jungen und Mädchen auf der Schulter. „Grüß Gott“ steht auf den Fähnchen, mit denen flächendeckend gelb-weiß gewedelt wird. Auch zwei tief verschleierte Frauen mit Dolce&Gabbana-Brillen sind ganz dabei. Die eine ist Jordanierin, die andere stammt aus Marokko. Sie sind eigentlich Anhängerinnen Mohammeds, aber jetzt in dieser Stunde vor allem Münchnerinnen. „Der liebe Papa ist auch unserer“, sagt die eine und strahlt.

Plötzlich beschleunigt sich der Wedeltakt der Kleinen hoch droben auf den Schultern. „Jetzt“, Gekreisch, Jubel. Da vorne ist er, winkt sogar rüber. Zu uns, ja extra, nur zu uns. Und schon ist der Moment vorbei. „Eigentlich habe ich ja nichts am Hut mit Kirche und so“, sagt die Hamburgerin. „Aber das hier reißt einem ja doch mit.“ Ist wie mit der Fußball-WM. Eine Münchnerin, Mitte 50, schaut auf ihre braungebrannten Arme. „Hab tatsächlich Gänsehaut.“

Das Papamobil ist um die Ecke gebogen, der prominente Sohn der Stadt hat mit seinen roten Schühchen recht leichtfüßig die Stufen zur Bühne vor der Mariensäule genommen. Nun wird konkret, was viele dazu brachte, schon am Samstagfrüh zum Marienplatz zu pilgern. Einmal ganz nah dran sein, einen Zipfel des Menschen Joseph Ratzinger erspähen, den viele zwar schon oft erlebt haben, schließlich war er fünf Jahre lang Erzbischof von München, der aber jetzt als Papst Benedikt XVI., als Stellvertreter Gottes, so seltsam ins Übermenschliche entrückt ist. „Den Papst so ganz nah, das erleben wir sonst nicht mehr“, sagt eine 63-jährige Frau aus dem Badischen. Sie ist mit ihrer Schwester gekommen, schon im Mai haben sie die Reise geplant. Seit 13 Uhr sitzen sie auf dem Platz, bepackt mit Decke und Jacken – und haben es immerhin in die fünfte Reihe geschafft. Die, die dem Papst bei seinem Gebet hier fast die Hand reichen könnten, die waren schon um 8 Uhr hier, noch vor der Polizei. Die hat den Platz danach bis auf einen kleinen Weg außenrum mit Gittern abgesperrt. Wer ins Innere wollte, musste sich in die Tasche schauen lassen und wurde abgetastet. Scheren und Taschenmesser wurden konfisziert.

Die Säule mit der vergoldeten Madonna ist die geographische und auch geistliche Mitte Bayerns. Von hier aus wurden die Entfernungen gemessen. Kurfürst Maximilian hat das ganze Land der Madonna gewidmet und sie zur „Herzogin von Bayern“ ernannt. Die „Benedetto“-Chöre werden leiser, es wird still. Benedikt erinnert jetzt auf der üppig mit Lilien, Nelken und Chrysanthemen geschmückten Bühne, dass die Mariensäule auch für ihn ganz persönlich wichtig ist. Sie war Zeugin zweier wichtiger Umbrüche in seinem Leben. Das erste Mal verließ er seinen Professorenstuhl in Regensburg und wurde Ende der 70er Jahre Münchner Erzbischof. Das zweite Mal, fünf Jahre später, verabschiedete er sich hier im Februar 1982 von seiner Heimat, als er nach Bayern ging.

„Tschüss Mama, bin beim Papst“, steht auf dem schwarzen T-Shirt eines Zehntklässlers aus Essen. Für den Papst hat er am Montag sogar einen Tag schulfrei bekommen. „Der Benedikt spricht die Jugendlichen an“, sagt er. Das heiße aber nicht, dass er jetzt alles so macht, wie es der Papst will. Dieser beschwört vorne auf der Bühne gerade seine christliche Arbeitsdisziplin. Dass er sich als Lastträger des Herrn verstehe. Nach so viel Härte ertönt dann aber „Gott mit Dir, Du Land der Bayern“. Und nicht nur auf dem Marienplatz, sondern auf allen Flecken in der Innenstadt, wo Leinwände sind, stehen sie nun da, die Bayern, haben Tränen in den Augen, singen und sind so richtig versöhnt mit sich, mit dem Papst und dem kleinen Rest der Welt.

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