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Allein im Heim. Mittlerweile gibt es in Deutschland 2,5 Millionen Pflegebedürftige.

© dpa

Haften Kinder für ihre Eltern?: BGH urteilt über Unterhaltspflicht

Jahrzehntelang hatte der Sohn keinen Kontakt mehr zum Vater. Trotzdem kann es sein, dass er für die Pflegekosten seines Vaters aufkommen muss. Warum das Urteil des BGH so bedeutend und wegweisend ist.

Eltern sorgen für ihre Kinder, klar. Aber wie weit haften umgekehrt erwachsene Kinder mit ihrem Einkommen für die Pflege- und Heimkosten der Eltern? Über diese Frage entscheidet der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Es geht um einen Vater, der bald nach der Scheidung jeden Kontakt zu seinem damals 18-jährigen Sohn abgebrochen und ihn weitgehend enterbt hatte. Vierzig Jahre später sollte der Sohn rund 9000 Euro Unterhalt für den Senior bezahlen, der inzwischen im Heim lebte. Der Sohn, von Beruf Beamter, hält das für grob unbillig. Das Urteil wird am 12. Februar verkündet werden.

Der Fall spielt im Raum Bremen, hat aber bundesweit große Bedeutung. Denn vor allem nach Scheidungen kommt es immer wieder vor, dass ein Elternteil den Kontakt zum Kind einstellt. Wenn mit einem anderen Partner eine neue Familie gegründet wird, brechen die Bindungen zu den Kindern aus früherer Ehe bisweilen völlig ab. Kommt im Alter der Elternteil ins Heim, reicht häufig die Rente nicht. Die Kinder werden dann vom Sozialamt zum Unterhalt für den Senior oder die Seniorin herangezogen. Denn nach dem Gesetz schulden nicht nur Eltern ihren Kindern Unterhalt, sondern auch umgekehrt Kinder bedürftigen Eltern. So war es auch in dem Bremer Fall. Als der Vater mit 85 Jahren ins Heim kam, konnten die Kosten anfangs aus seiner Lebensversicherung plus Rente finanziert werden, dann musste das Sozialamt aber mehr als 30 000 Euro übernehmen. Da der Sohn leistungsfähig ist, errechnete das Amt dessen Unterhaltspflicht mit rund 9000 Euro. Der Vater starb zwar Anfang 2012 im Alter von 89 Jahren, aber das ändert an der nachträglichen Regressforderung nichts.

Streit der Anwälte

Der Sohn beruft sich nun auf eine Ausnahme im Gesetz, nach der die Unterhaltspflicht erlischt, wenn sich ein Elternteil „vorsätzlich einer schweren Verfehlung“ schuldig gemacht hat. Ob die vorlag, darüber fochten in der mündlichen Verhandlung am Mittwoch die Anwälte. Rechtsanwalt Siegfried Mennemeier bestritt aufseiten des Sozialamts einen Bruch des Vaters mit seinem Sohn. Der Kontakt sei vielmehr eingeschlafen, was früher nach Scheidungen ein Regelfall gewesen sei – nach altem Scheidungsrecht gab es kein gemeinsames Sorgerecht der Eltern. Es sei ungeklärt, ob nicht der Sohn keinen Kontakt mehr zum Vater wollte. Schließlich habe der Vater auch Unterhalt für die Ausbildung des Sohnes bezahlt.

Die Anwältin des Sohnes, Brunhilde Ackermann, erinnerte dagegen an das Testament des Vaters, der 1998 sein Erbe einer Bekannten vermachte und dem Sohn nur den unumgänglichen Pflichtteil geben wollte. In der Begründung des Testaments schrieb der Vater selbst, dass er seit 27 Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Abkömmling habe. Es stehe fest, dass der Abbruch des Kontakts vom Vater ausging, sagte die Anwältin.

Die Frage, mit der sich der BGH beschäftigt, ist auch angesichts der Vergreisung unserer Gesellschaft von wachsender Bedeutung: Kommunen wollen auf den meist über die Renten hinausreichenden Heim- und Pflegekosten nicht sitzen bleiben und überziehen Angehörige oftmals mit knallharten Forderungen – bis hin zu Zwangsdarlehen auf deren Eigenheime. Dem Deutschen Städte- und Gemeindebund zufolge mussten Kommunen im vergangenen Jahr bereits 3,7 Milliarden Euro für die sogenannte Hilfe zur Pflege ausgeben. Die nächste Milliardengrenze dürfte aber bald überschritten sein, denn die Zahl der Pflegebedürftigen wird dem Statistischen Bundesamt zufolge von 2007 bis 2020 um über 29 Prozent auf knapp drei Millionen steigen. Die Kommunen scheuen sich deshalb nicht, bis zum BGH zu streiten.

Bei der Scheidung war er 18

Es ist nicht das erste Urteil, das der BGH über den Unterhaltsverlust von Eltern spricht. In einem ähnlichen Fall wurde 2004 eine Rentnerin auf Sozialhilfe verwiesen, weil sie sich zuvor „aus einem groben Mangel an elterlicher Verantwortung“ nicht um ihre Tochter gekümmert hatte. In einem anderen Fall musste dagegen ein Sohn für seine Mutter zahlen. Zwar hatte auch sie sich nicht um den Jungen gekümmert. Doch der Grund dafür, eine schwere psychische Erkrankung, könne der Mutter nicht vorgeworfen werden, entschied der BGH 2010.

Gut möglich, dass sich das Gericht im aktuellen Fall wieder auf die Seite der Kinder stellt. Mehreren Grundsatzurteilen zufolge müssen Unterhaltspflichtige zwar „auch den Stamm“ ihres Vermögens einsetzen, um Elternunterhalt zu bezahlen. Doch dies gilt nur mit Einschränkungen. Auch geht es jetzt erstmals um einen Kontaktabbruch in späteren Jugendjahren. Der 1953 geborene Sohn war bei der Scheidung seiner Eltern 18 Jahre alt, nach dem 1971 geltenden Recht aber noch nicht volljährig. (mit AFP)

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