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Haiti: Alle gegen die Cholera

Die Cholera breitet sich in Haiti weiter aus. Hilfsorganisationen versuchen zu helfen, wo es geht. Die Caritas schätzt, dass bis zu 70.000 Menschen mit dem Erreger infiziert sind.

Jeder Zipfel verfügbarer Grund ist besetzt in Port-au-Prince. Der Rand der Ausfallstraße Richtung Leogane ist gesäumt von Marktständen. Der Mittelstreifen verschwindet unter Zelten. Darin hausen immer noch Menschen, die durch das Beben vom Januar obdachlos geworden sind. Wasser läuft eine hügelige Seitenstraße herab und verteilt sich vor den Marktständen. Überall liegt Abfall herum.

„Sie haben das schmutzige Wasser gesehen“, sagt Gary Shaye, Länderdirektor Haiti der Hilfsorganisation Save the Children. „Häufig haben die Menschen kein anderes Trinkwasser zur Verfügung.“ Deshalb breitet sich die Cholera jetzt so rasch aus. Mehr als 1100 Menschen sind an der Krankheit schon gestorben, obwohl Cholera eigentlich leicht zu behandeln ist. Etwa 18 000 Infizierte sind registriert. Doch weil nicht alle Kranken zum Arzt gebracht und nicht alle Toten den Behörden oder Hilfsorganisationen gemeldet werden, wird die tatsächliche Zahl wohl deutlich höher liegen. Die Caritas schätzt, dass bis zu 70 000 Menschen infiziert sind. Wegen des Ausbruchs der Cholera kam es am Donnerstag in Port-au-Prince zu Ausschreitungen. Demonstranten griffen UN-Blauhelmsoldaten mit Steinen an. Sie warfen den Soldaten vor, die Cholera eingeschleppt zu haben.

Cholera ist eine Bakterieninfektion. Der Erreger, Vibrio cholerae, befällt die Darmschleimhaut und verursacht Erbrechen und lebensgefährliche Durchfälle. Vor allem verunreinigtes Wasser und schlechte Hygiene führen zu einer Ausbreitung des Erregers. Wegen des Flüssigkeitsverlustes endet eine Cholera-Infektion mitunter tödlich. Besonders tückisch: Bei etwa 75 Prozent der Infizierten treten keine Symptome auf – die Menschen erscheinen gesund, verbreiten das Bakterium aber dennoch über ihre Ausscheidungen und können andere anstecken. In vielen Dörfern stehen weder Toiletten noch Latrinen zur Verfügung, berichtet die Hilfsorganisation Oxfam. In den Camps von Port-au-Prince gibt es meist immerhin sauberes Wasser, doch auch hier ist es dreckig und eng, was die Ausbreitung von Infektionskrankheiten fördert. Die sanitären Verhältnisse in Haiti seien schon lange vor dem Erdbeben erschreckend gewesen, sagt Oxfam-Länderdirektor Roland van Hauwermeiren. „Dass sich die Cholera jetzt landesweit ausbreitet, ist die Konsequenz.“

Hinzu kommt, dass die Menschen kaum etwas über die Krankheit wissen, weil Cholera in Haiti bisher praktisch nicht vorkam. In dem Irrglauben, sich vor einer Ansteckung zu schützen, würden Medikamente zur Cholera-Behandlung von Gesunden genommen, berichten Helfer. So seien Elektrolytlösungen, die den Flüssigkeitsverlust von Kranken ausgleichen sollten, mit Reis gekocht und gegessen worden. Wirksame Prävention ist das nicht. Doch die Menschen tun fast alles, um sich und ihre Familien zu schützen. Sie seien deshalb auch sehr erpicht darauf, die grundlegenden Hygieneregeln zu erlernen, sagt Paula Brennan, verantwortlich für die Cholera-Bekämpfung bei Oxfam.

Das Misstrauen gegenüber den ausländischen Helfern ist besonders groß, seit die unbestätigte Nachricht verbreitet wurde, nepalesische UN-Soldaten hätten die Krankheit ins Land gebracht. Vor wenigen Tagen kam es in Cap Haitien im Norden des Landes deshalb zu gewalttätigen Protesten gegen eine Basis der Nepalesen, bei denen zwei Menschen starben.

Unterdessen sind auch je ein Fall in der Dominikanischen Republik und in Florida bekanntgeworden. In beiden Fällen sind die Infizierten wieder in stabilem Zustand, doch Experten erwarten mehr Infizierte, gerade in den USA. In Haiti wird eine weitere Ausbreitung kaum zu verhindern sein. Die Hilfsorganisationen wiederholen ihre Spendenaufrufe. Die UN rechnen mit bis zu 200 000 Kranken.

Und die Toten? „Die Menschen sind es gewohnt, bei ihren Verstorbenen zu wachen, sie zu berühren oder zu küssen“, sagt Julie Boileau, die für Save the Children arbeitet. Nun versuchen die Helfer, die Menschen davon zu überzeugen, die Toten nicht anzufassen – denn über infektiöse Flüssigkeiten an den Leichen könnte man sich anstecken. mit jlu

Alexandra Endres

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