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© rtr

Haiti: Star-Rummel und Emo-Journalismus

George Clooney leitet eine Spendengala für Haiti. US-Sender lassen Fachjournalisten vor der Kamera operieren. Ethik-Experten meinen, so eine "emotionsbasierte" Berichterstattung könne manipulativ werden und den Verdacht wecken, sie diene der Selbstdarstellung.

Mit einer gigantischen Spendengala haben Dutzende Stars vor allem aus den USA Millionen Dollar für die Opfer des Erdbebens in Haiti gesammelt. Die Fernsehshow, die weltweit und selbst in den USA gleich auf mehreren Kanälen übertragen wurde, wurde live aus Los Angeles, New York und London gesendet. Moderiert von George Clooney und dem aus Haiti stammenden Musiker Wyclef Jean, sangen Musiker für die Überlebenden der Naturkatastrophe.

Bruce Springsteen sang zu Beginn der Gala „We shall overcome“, begleitet nur von seiner Gitarre und einem einzelnen Musiker. Stevie Wonder sang mit einem Gospelchor, Shakira mit nur kleiner Besetzung. Alle Beiträge wurden aus den drei Städten live übertragen, doch ohne Publikum. Währenddessen saßen Stars wie Mel Gibson, Meg Ryan, Reese Witherspoon, Cindy Crawford, Pierce Brosnan und Dutzende andere an den Telefonen und nahmen Spendenzusagen entgegen. Zwischendurch berichtete CNN-Chefreporter Anderson Cooper live aus Haiti.

Doch viele amerikanische Fernsehsender haben nicht nur ihre Starkorrespondenten in das Katastrophengebiet geschickt. Während die Berichterstatter am Samstag beispielsweise vermelden konnten, dass ein junger Mann am 11. Tag nach dem Beben lebend unter den Trümmern eines Hotels in Port-au-Prince entdeckt wurde, sind erstmals auch praktisch alle Medizin-Fachjournalisten der Sender mit dabei. Und die greifen dann auch gleich als Helfer vor laufenden Kameras ein und werden ihrerseits zu Stars.

So greift CNN-Chefdoktor Sanjay Gupta vor laufender Kamera auch gleich selbst zum Skalpell. Er operiert ein kleines Baby mit Kopfverletzungen oder ein zwölfjähriges Mädchen – und sein Sender zeigt den Einsatz des ausgebildeten Neurochirurgen immer wieder aufs Neue. Zwischendurch twittert Gupta, der anfangs auch als Gesundheitsminister Barack Obamas im Gespräch war: „Es tut mir so leid, dass ich heute meine Show nicht moderieren kann, konnte nicht aus dem Feldlazarett weg. Wenn CNN mich nicht feuert, verspreche ich, dass ich die Show morgen mache.“ Andere Sender wollen da nicht nachstehen. ABC-Doktor Richard Bresser hilft einer Mutter bei der Entbindung ihres Kindes.

Auch CNN-Starkorrespondent Cooper, der bei der Spendengala live eingeblendet wurde, arbeitet in einer Doppelrolle als Journalist und Helfer. So half er vor laufender Kamera, eine junge Frau aus den Trümmern eines eingestürzten Hauses zu befreien. Seine Rettungsaktion wurde im Sender immer wieder aufs Neue ausgestrahlt, in Deutschland zeigte das ZDF die Bilder. In einem anderen Beitrag ist Cooper zu sehen, wie er einen blutenden Jungen in Sicherheit trägt, der bei einer Plünderung von einem Ziegelstein am Kopf getroffen worden war und schwer verletzt am Boden lag.

Stephen Ward vom Zentrum für journalistische Ethik an der Universität von Wisconsin, hat ein ungutes Gefühl dabei. Er verstehe den Willen der Reporter zu helfen, doch so eine „emotionsbasierte“ Berichterstattung könne manipulativ werden und den Verdacht wecken, sie diene der Selbstdarstellung, kritisierte Ward in der „Washington Post“.

In einem Beitrag der US-Zeitung „Philadelphia Inquirer“ über den „Emo-Journalismus“ bemängelt James Naughton, ein ehemaliger Leiter des Poynter-Instituts für Journalismus in Florida, auch er würde in einer Situation wie im Erdbebengebiet in Haiti sicher helfen, jemanden unter den Trümmern zu retten. Er würde aber wohl nicht über seine eigene Tat berichten, weil das Risiko bestehe, dass sich dann die Geschichte nur noch um den Reporter selbst drehe.

Der US-Sender ABC berichtet derweil stolz, wie es seiner Korrespondentin Robin Roberts gelingt, eine vierjährige Waise mit ihren Adoptiveltern in Iowa zusammenzuführen. Die ABC-Korrespondentin schaffte es nach eigenen Angaben, sich zu dem zerstörten Waisenhaus durchzuschlagen und das Mädchen Esther zu finden. Über Telefon informierte sie die Adoptivmutter im fernen Iowa, die vor laufender ABC-Kamera ihre Tränen kaum unterdrücken kann. Wie in einer Reality-Show zeigte ABC die kommenden Tage, wie die glücklichen Eltern mithilfe des Senders nach Haiti fliegen und dort in dem Waisenhaus ihre Tochter in die Arme schließen. Schließlich fliegen sie mit Esther im Arm in die USA zurück – und ABC ist natürlich immer live dabei. Nach dem Motto: Tue Gutes und zeig es. AFP/dpa

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