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Panorama: Hilflos gegen die Hitze

Weil die Italiener alle Klimaanlagen laufen lassen, wird der Strom abgeschaltet – und in den Städten herrscht Chaos

„Cazzo, cazzo, cazzo”, ruft Carlo Crippa aus. Kein besonders elegantes Schimpfwort, aber der römische Zahnarzt lässt seiner Wut freien Lauf. Vor ihm auf dem OP-Stuhl sitzt ein Patient mit einer offenen Zahnwunde. Crippa plant eine Wurzeloperation. Während der Operation wird der Strom ausgeschaltet. Zwei Stunden müssen er und sein Patient warten, bis es wieder Elektrizität gibt.

Abkühlung in Spanien und Frankreich

Während in Spanien und Frankreich die Temperaturen wieder auf freundliche Sommerwerte knapp unter der 30-Grad–Marke sinken, stöhnen die Italiener immer noch unter einer der größten Hitzewellen seit Jahrzehnten. Besonders unangenehm in dieser Situation ist, dass immer wieder der Strom ausfällt. Der Grund: Italiens Klimaanlagen sind im Dauereinsatz – auf einen solchen Bedarf aber waren die Versorger nicht vorbereitet. Und so müssen die Menschen jetzt, wo sie sie am besten brauchen könnten, ohne Hilfe aus der Steckdose auskommen.

Ein mehrstündiger Ausfall der Stromversorgung führte in ganz Italien zu einem nie dagewesenen Chaos. Zwar hatte die Regierung darauf hingewiesen, dass es ab Donnerstag stundenweise zu Stromausfällen kommen könnte, aber niemand hatte ernsthaft damit gerechnet. Dass der Strom ab und an ausfällt, ist in Italien nichts Neues. Dass er aber stundenlang abgeschaltet wird, das ist selbst dort ein Novum. Insgesamt waren sechs Millionen Italiener betroffen.

In ganzen Stadtvierteln Roms und Mailands funktionierten die Ampeln nicht mehr. Die Folge: An sämtlichen Kreuzungen herrschte Verkehrschaos. Besitzer von Geschäften für Tiefkühlkost warfen verärgert ihre verdorbene Ware gleich kistenweise auf die Straße. Der Zugverkehr musste drastisch eingeschränkt werden, weil der Service an den Bahnhöfen nicht mehr funktionierte. Ein ähnliches Bild bot sich auch an den Flughäfen. Der Grund: Sämtliche Kommunikationssysteme waren zusammengebrochen. Hunderte Italiener saßen mehrere Stunden bei tropischen Temperaturen in Aufzügen fest.

Auch Guido Bertolaso, der Chef des Zivilschutzes, wurde überrascht. „Die Regierung hatte uns zwar darüber informiert, dass die Stromgesellschaft Enel plane, stundenweise den Strom abzustellen, teilte uns aber nicht mit, wann das geschehen würde”, klagt er. Der zuständige Minister Marzano erklärte, Enel habe ihre Stromlieferungen einschränken müssen, weil zu viele Bürger zu lange ihre Klimaanlagen einschalteten. Um Energie zu sparen, ordnete Enel eine Rationierung an. Betroffen sind immer nur einige Stadtviertel für maximal zwei Stunden. Wenn das eine Viertel wieder Strom bekommt, ist das nächste an der Reihe.

Zu den Problemen am Donnerstag trug auch bei, dass die Franzosen weniger Energie lieferten als üblich. Sie brauchten selbst mehr Strom. Italien kauft Energie auch von Österreich, Slowenien, Griechenland und Korsika. Jetzt wird der Ruf nach Atomstrom laut. Sämtliche italienischen Atomkraftwerke wurden Ende der 80er Jahre abgechaltet. Verschiedene Mitglieder der Berlusconi-Regierung hatten schon zu Beginn ihrer Amtszeit betont, es sei nötig, die Atomenergie wieder einzuführen.

Thomas Migge[Rom]

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