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Hurrikan: 2.400 Kinder nach "Katrina" vermisst

Seufzend legt Robert Snow den Telefonhörer auf. Dann lehnt er sich in seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch zurück und schließt die Augen.

Alexandria (21.09.2005, 14:12 Uhr) - «Ich brauche eine Pause», sagt der 73-Jährige. Gerade hat er mit einer jungen Mutter telefoniert, die seit elf Tagen ihren dreijährigen Sohn Corey sucht. Snow konnte ihr nicht helfen. «Sie ist in Tränen ausgebrochen, es war schrecklich», klagt er. Gut drei Wochen nach dem Hurrikan «Katrina» sind noch etwa 2400 Kinder als vermisst gemeldet.

Snow ist einer von 150 ehrenamtlichen Helfern in der Telefonzentrale des Nationalen Zentrums für vermisste und missbrauchte Kinder (National Center for Missing and Exploited Children - NCMEC) in Alexandria (US-Bundesstaat Virginia). Die gemeinnützige Einrichtung will Kinder, die durch den Hurrikan ihre Eltern aus den Augen verloren haben, wieder mit ihren Familien zusammenbringen.

«Das ist die größte Herausforderung, vor der unsere Mitarbeiter jemals gestanden haben», sagt Geschäftsführer Ben Ermini. Fast 3300 vermisste Kinder hat das NCMEC nach seinen Worten bislang erfasst, knapp 900 von ihnen sind inzwischen wieder bei ihren Familien - so wie der elf Monate alte Ty-Ray aus Lafayette (Louisiana). Als die Stadt evakuiert wurde, ist der kleine Junge in einen anderen Bus gebracht worden als seine Mutter. Fünf Tage lang hat die Mutter ihren Sohn gesucht. Dann hat ein Mitarbeiter des NCMEC, der in Louisiana war, die beiden wieder zusammengebracht.

Insgesamt 46 Mitarbeiter sind Ermini zufolge in den betroffenen Staaten Texas, Louisiana und Mississippi abwechselnd unterwegs. Sie besuchen Kinderheime und Gastfamilien, um die Kinder zu fotografieren und ihre Namen zu erfassen. In der NCMEC-Zentrale in Alexandria fließen alle diese Daten zusammen. «Jeden Tag kommen etwa 300 neue Fälle hinzu», sagt Ermini. Das seien etwa zehn Mal so viele wie normalerweise.

Jeder, der ein Kind vermisst, kann in der Telefonzentrale anrufen. Für Kinder, die wegen des Hurrikans verschollen sind, hat das Zentrum auf Bitte des Justizministeriums am 1. September eine spezielle Hotline eingerichtet. Dort vergleichen ehrenamtliche Helfer wie Snow die Angaben der Anrufer mit den Daten der registrierten Kinder.

Kaum hat Snow den Telefonhörer aufgelegt, klingelt es erneut: «Wie heißt ihre Enkelin? Und sie wissen nicht, wo sie lebt? Wer hat sie zuletzt gesehen? Sprechen Sie bitte etwas langsamer.» Snow versucht, die Anruferin zu beruhigen. Inzwischen kennt er solche Fälle. Etwa 1500 Anrufe gehen Ermini zufolge täglich bei der Katrina-Hotline ein - fast vier Mal so viele wie üblich. Das belastet auch die erfahrenen ehrenamtlichen Helfer. «Einige müssen wir sogar nach Hause schicken, weil sie ganz einfach psychisch fertig sind. Selbst gestandene Männer fangen plötzlich an zu weinen», sagt Ermini.

Auch das Schicksal des 13-jährigen Oneal und seiner vier Geschwister hat die Mitarbeiter zu Tränen gerührt. Die Kinder waren früher als ihre Mutter mit dem Hubschrauber vom Dach ihres Hauses in Houma (Louisiana) gerettet worden. Eine Woche lang ist die Mutter auf der Suche nach ihren Kindern umher geirrt. Dann hat sie die Hotline angerufen und erfahren, wo ihre Kinder waren. «Solche Glückstreffer geben mir die Kraft, weiter zu machen», sagt Snow. (Von Carsten Lootze, dpa)

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