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Husum und Brandenburg: Warum töteten die Mütter ihre Babys?

Der aktuelle Fall der fünf toten Babys in Husum erinnert an den spektakulären Fall von Brieskow-Finkenheerd. Was sind die Motive dieser Mütter?.

Von Sandra Dassler

Eine Kollegin erzählte, dass sie während einer Dienstreise in einem abgelegenen afrikanischen Dorf gefragt wurde: „Sie sind aus Deutschland? Ist das nicht dort, wo die Menschen immer ihre Kinder töten? Obwohl es so ein reiches Land ist?“

Die Deutsche Kinderhilfe beklagt, dass jeden zweiten Tag in Deutschland ein Kind umgebracht wird. Noch vor wenigen Jahren konnte man die zahlreichen Fälle von getöteten Neugeborenen kaum mehr auseinanderhalten. So stand im August 2008 eine 22-Jährige aus Nauen vor Gericht. In Cottbus lief der Prozess gegen eine 18-Jährige aus Schwarzheide. Unmittelbar zuvor war dort eine 23-Jährige aus Lübben verurteilt worden, danach begann die Verhandlung gegen eine 25-Jährige. Alle diese Frauen hatten ihre Kinder kurz nach der Geburt getötet.

Angesichts des am Donnerstag bekannt gewordenen Falls einer 28-Jährigen aus dem Raum Husum, die der Polizei gestand, fünf ihrer Neugeborenen getötet zu haben, stellen sich wieder die alten Fragen: Warum verhüten solche Frauen nicht? Weshalb nutzen sie nicht die Möglichkeit der anonymen Geburt oder eine Babyklappe? Weshalb bemerkt niemand die Schwangerschaften?

Der jüngste Fall erinnert fatal an die Tragödie, bei der den damaligen Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) „die wilde Schwermut“ befiel: In Brieskow-Finkenheerd bei Frankfurt (Oder) waren im Sommer 2005 neun Babys gefunden worden – alle zwischen 1992 und 1998 nach der Geburt von ihrer Mutter getötet. So einen Fall hatte es in der deutschen Kriminalgeschichte noch nie gegeben. Die heute 46-jährige Sabine H. war zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Ihre in vielen Verhandlungstagen vor Gericht erörterte Geschichte weist erstaunliche Parallelen zum jüngsten Fall auf. So waren ihre neun Schwangerschaften wie die fünf der Frau von Husum angeblich weder vom Ehemann noch von Verwandten und Bekannten bemerkt oder zumindest hinterfragt worden. Beide Frauen gaben an, nie verhütet zu haben – Sabine H. begründete das vor Gericht damit, dass sie nach der ersten Kindstötung irrtümlich annahm, der Arzt könnte bei der Untersuchung feststellen, wie viele Babys sie zur Welt gebracht habe und danach fragen.

Beide Frauen haben vor den Tötungen ihrer Neugeborenen zwei beziehungsweise drei Kinder liebevoll aufgezogen und beide gaben als Motiv der Verbrechen an, dass ihr Ehemann keine weiteren Kinder mehr gewollt habe.

Bei der Mutter aus Husum wird man sicher weitere Ermittlungen abwarten müssen, im Fall von Sabine H. waren auch die Richter am Landgericht Frankfurt (Oder) zur Auffassung gelangt, dass ihr Motiv die Angst um ihre Ehe war. Mehr noch: Sabine H. hatte nach eigenen Aussagen den Tod der Kinder bedauert und sie weiter um sich haben wollen. Deshalb vergrub sie die Leichen in Blumenkübeln, pflanzte Tränendes Herz darüber und berichtete dem Gericht, dass sie oft auf dem Balkon gesessen und gedacht habe: „Sie könnten noch leben, aber er – mein Ehemann – hat sie ja nicht gewollt.“

Wie Sabine H. zur neunfachen Totschlägerin werden konnte, hat das Gericht durch mehrere Gutachter zu ergründen versucht. Ihr Fazit: Wenn die Verheimlichung der Schwangerschaft und die Tötung des Kindes beim ersten Mal gelingt, wird dieses Verhalten für die Frauen oft zum zwanghaften Muster.

Dabei verdrängen sie neun Monate lang mehr oder weniger ihre Schwangerschaft – ähnlich wie jene Frauen, die ungewollt schwanger werden und nicht möchten, dass jemand es bemerkt. Sie reden sich ein, es könne nicht sein, dass sie ein Kind bekommen, beschreiben Experten das Problem. Wenn das Baby dann da ist, wollen sie es nur noch schnell wieder loswerden – ganz egal wie.

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