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Panorama: Ich bin der Picknicker

Total kompliziert findet unsere Autorin die Gelüste ihrer Freunde. Sechs Ernährungstypen und die Antwort, ob das noch normal ist

Mit Freunden essen ist so schön! Ab dem Abitur, spätestens, wird so ein Satz schick. Mit fünfzehn Jahren ist es noch lässig, gemeinsam Korn in kleinen Schlückchen zu trinken oder Bierdosen zu schießen. Mit Achtzehn lässt man den Firlefanz und steht einfach mit einem Bier in der Hand auf der Party. Doch danach fängt es an: Der Rock ’n’ Roll wird Schritt für Schritt gegenGruppenessen ausgetauscht. Spaßig anfühlen tut sich das nicht immer. Unsere Autorin hat aufgeschrieben, was sie alles an den Essgewohnheiten ihrer Freunde stört.

DER GESUNDESSER

Im Kühlschrank: Grüne Paprika, Linsen, Hawaiianischer Noni-Saft

Am Tisch: Der Mitbewohner eines guten Freundes ist ein Gesundesser. Dass heißt, er verfolgt so ungefähr alle vier Jahre einen anderen Ernährungstrip. In einer Phase durchlebte F. die Makrobiotik. Er stand morgens um drei Uhr auf, weil makrobiotisches Essen gerne ohne elektrische Küchengeräte zubereitet werden möchte. Im Falle der Eigenerzeugung von Tofu tat F. sich besonders schwer. Nachdem er Tag und Nacht gearbeitet hatte, und das Ergebnis immer noch ungenießbar war, und das fand F. auch selbst, da appellierte mein Freund: „Nur Menschen wie Madonna oder Gwyneth Paltrow können sich makrobiotisch ernähren, weil sie Köche beschäftigen. Aber du hast noch einen Job!“ F. schwieg stoisch. Da er seine Ernährungsweise sowieso dem Verlauf des Universums anpasste, war seine makrobiotische Karriere irgendwann beendet. In den folgenden Phasen seines Gesund-Wahns aß F. mal Gemüse, das nur bei Vollmond geerntet wurde, dann solche Lebensmittel, die schon in der Steinzeit verfügbar waren. Heute lebt F. vegan. Man kann ihm nur wünschen, dass pures Fett oder Zucker nie zu Allheilmitteln erklärt werden.

Risiko: Komplizierte Ernährungsmodelle können gesellschaftlich isolieren.

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DIE PINGELIGE

Im Kühlschrank: Milch (nur für Cornflakes!), Babymais, Alaska-Seelachs

Am Tisch: Wenn ich mit meiner Kollegin N. ein Lokal besuche, spiele ich in Gedanken ein Spiel, um meine Geduld zu trainieren. Wenn N. Fisch serviert bekommt, wähle ich aus den folgenden Szenarien eines aus. Der Anfang ist immer gleich: N. nimmt den ersten Bissen und verzieht das Gesicht, weil – und jetzt bitte ankreuzen - der Seelachs A) ganz labberig ist, bzw. matschig, B) langweilig schmeckt, C) angeblich nicht ganz durch ist, oder D) – und das ist die größte Unverfrorenheit überhaupt – Gräten hat! Würde mein Gedankenspiel bei RTL laufen, ich würde die Million locker schaffen. Schwierig wird es nur, wenn sich N. so etwas wie einen Salat Niçoise bestellt. Sie befreit den Eisbergsalat von allem, was ihn überhaupt zum Salat Niçoise macht. Sie pickt den Thunfisch raus, die Zwiebeln, die Tomaten, die Oliven, den Mais. Sie tut das nicht etwa, weil sie diese Zutaten nicht mag, sondern weil sie sie nicht gleichzeitig essen möchte. „Das ist mir zu viel Party im Mund!“, kommentiert sie ihr Schlachtfeld und isst zufrieden blanke Salatblätter.

Risiko: Kündigungen drohen, Kellner können ausrasten und Köche bitterlich weinen.

DIE PSEUDO-VEGETARIERIN

Im Kühlschrank: Vegetarische Tiefkühlpizza, Tofu-Schnitzel „Jägerart“, Sojamilch

Am Tisch: „Ich kann nichts essen, was mal Augen hatte!“, antwortet meine Freundin K. immer, wenn man sie fragt, warum sie Vegetarierin ist. K. gehört einer an Zuwachs gewinnenden Ernährungsgemeinschaft von Menschen an, die nur glauben, sie seien Vegetarier. In Wahrheit werden die Pseudo-Vegetarier von einem übermäßigen Verlangen nach Fleisch geplagt. Wenn K. beim Restaurantbesuch den Kellner fragt, ob sie ’Spaghetti con salsicce’ auch mit Tofu haben könnte, ist man kurz davor, sie zu schütteln und zu schreien: „’Spaghetti con salsicce’ werden mit fettigen, italienischen Würsten garniert und so soll es auch bleiben!“ Vierteljährlich unterliegt K. ihrer Sehnsucht nach Fleisch. Letztens war es wieder soweit und K. schlang ausgerechnet ein Mettwurstbrötchen herunter. „Da sind so viele Tiere drin“, dachte ich, „da kannst du die Augen gar nicht mehr zählen.“

Risiko: Permanentes Selbstbelügen kann starke psychische Schäden verursachen.

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DIE NICHTESSERIN

Im Kühlschrank: Limo mit Süßstoff

Am Tisch: S. war schon immer unglaublich diszipliniert. Für eine Mathe-Klausur am Montag lernte sie schon Freitagnachmittag. Sie ging früh morgens vor dem Unterricht Joggen und aß eine Tafel Schokolade im Gegensatz zu mir nie auf einmal auf. Heute isst S. gar keine Schokolade mehr. Sie isst auch sonst kaum etwas. Vor einem Jahr glaubte S. ihrem Freund, dass sie einen dicken Hintern habe und setzte sich das Ziel, so dünn zu werden wie Nicole Kidman. Während sich die meisten Mädchen bei diesem Wunschgedanken gleichzeitig einen 5-Liter-Eimer süßes Popcorn einverleiben, legte S. auch hier wieder eine unglaubliche Disziplin an den Tag. Sie durchlitt eine Reihe von Selbstkasteiungen, von der Kohlsuppen- bis zur Ananas-Diät. Doch irgendwann waren ihr auch diese Speisepläne zu üppig. Deshalb ernährt sich S. heute nur noch von zwei Esslöffeln Müsli und einer Hand voll Dörrpflaumen am Tag. Ihren Freundeskreis hat sie gelernt auszutricksen. Wenn wir uns im Restaurant treffen, kommt sie entweder später oder sagt, sie habe schon gegessen. Letztens rief sie mich heulend an, weil ihr Freund sie wegen einer anderen verlassen hat. Als S. ihn fragte, wie die Neue denn so sei, erwiderte er: „Naja, sie ist irgendwie weiblicher ... als du.“ S. kann das nicht verstehen: „Mein Hintern ist doch immer noch total breit“, schluchzte sie. Momentan wiegt sie 44 Kilo, bei einer Größe von einem Meter siebzig.

Risiko: Magersucht ist eine gefährliche Krankheit – sie kann tödlich enden.

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DER AUFSCHNEIDER

Im Kühlschrank: Fertig-Currywurst für die Mikrowelle, Dosen-Ananas, Salto Spaghetti Eis

Am Tisch: Als Kind besuchte ich am liebsten meinen Freund L. Bei ihm zu Hause gab es nämlich immer nur Fischstäbchen, Burger oder Toast Hawaii. Während ich irgendwann ein Alter erreichte, in dem ich feststellte, dass Ravioli aus der Dose nicht sehr anders riechen als Hundefutter, wurde L. von seiner kindlichen Ernährung so stark geprägt, dass er sich bis heute ausschließlich von solchen Fertiggerichten ernährt. „Ich bin Student, ich kann es mir nicht leisten, permanent im Bio-Supermarkt einzukaufen“, lügt L. seine Freunde an. Bei gemeinsamen Urlaubsreisen stinkt die Luft im Auto immer so nach Bifi-Roll, dass sich die anderen Mitfahrer am liebsten übergeben möchten.Während alles stöhnt, merkt L. nur unbeeindruckt an, dass das Brötchen um die Wurst wirklich noch optimiert werden könnte. „Das ist ein bisschen zu trocken“, murmelt er gedankenverloren.

Risiko: Sich bekriegende Ernährungsberater unterschiedlicher Schulen sind sich hier ausnahmsweise einig: Das ist sehr ungesund.

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DIE ALLESESSERIN

Im Kühlschrank: Feigen-Senf-Sauce, Blutwurst, Tessiner Alpkäse, frische Artischocken

Am Tisch: Egal, was man M. als Kind vorsetzte, sie quäkte immer „Köstlich!“ Unter den liebevollen Blicken ihrer begeisterten Eltern verspeiste sie daheim ein Rosenkohlgericht genauso gern wie den Oktopus-Salat an der Riviera. Heute wird M.s feiner Geschmackssinn nicht mehr mit Liebe belohnt. Der Mini-Gourmet von damals ist dieser Tage ein vom Aussterben bedrohter Sonderling, der in einer boomenden Gesellschaft aus Vegetariern, Veganern und Makrobiotikern ums harte Überleben kämpft. Aber die Allesesserin hält sich tapfer. Wenn ihr gesamter Freundeskreis beim Edel-Italiener „Penne al Arrabiata“ bestellt, blickt M. von der Karte auf und sagt: „’Penne al Arrabiata’ sind was Herrliches! Ich möchte heute aber trotzdem mal die in Salbei geschwenkte Leber kosten.“ Aus der großen Tafelrunde blitzen ihr angewiderte Blicke entgegen. M. überlegt dann, ob sie ihr altes Leben nicht besser hinter sich lassen sollte. Und stattdessen den italienischen Restaurantbesitzer heiraten sollte, samt seiner kochenden Mutter.

Risiko: Eigentlich keines, der ausgewogenen Ernährung wegen. Gefahr droht nur durch Rotwein und Zigaretten. Daran erfreut sich ihr Gaumen nämlich genauso gern.

Aufgeschrieben von Marika Mettke

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