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Panorama: „Ich kann so etwas nie ausschließen“

Leichenplastinator von Hagens bestreitet die Präparation von Hinrichtungsopfern und sagt, dass prinzipiell alles möglich ist

Die Totengräber atmen Wolken in den kalten Morgen, Mitglieder der „Deutschen Hospiz Stiftung“, die vor der Naxos-Halle in Frankfurt mit Leichenwagen, Sarg und Kränzen ein Ende des „grausamen Sezier-Spektakels“ fordern. Proteste sind an der Tagesordnung, wo der Mediziner Gunther von Hagens seine umstrittene Anatomie-Schau „Körperwelten“ präsentiert, ästhetisch gefällig präparierte Leichen zu Fuß, zu Pferde und zerteilt. Seit der Spiegel berichtet hat, in der Ausstellung seien Körper chinesischer Hinrichtungsopfer zu sehen, kreist die Diskussion allerdings nicht mehr allein um die Frage nach menschlicher Würde über den Tod hinaus, sondern vielmehr um die Umstände des Todes selbst.

In der Halle schwenken die Objektive der Fernsehkameras von den gummihaften Figuren auf ihren Schöpfer, einen Mann in Nadelstreifenanzug, der mit Hut an eine biedere Version von Joseph Beuys erinnert. Nein, sagt Gunther von Hagens, in dieser Ausstellung gebe es keine Plastinate von chinesischen Hinrichtungsopfern. Wie sicher der Mediziner sein kann, auch in seinem Institut im chinesischen Dalian keine Hinrichtungsopfer präpariert zu haben, ist von Gunther von Hagens an diesem Vormittag allerdings nur mit Mühe zu erfahren.

Er habe „niemals“ Hingerichtete verarbeitet, sagt er, tritt von einem Bein aufs andere, blickt aus weit geöffneten blauen Augen in die Gesichter der Journalisten. Seine Mitarbeiter hätten von ihm „klare Anweisungen“, keine Leichen von Hingerichteten anzunehmen, sagt er, wippt auf den Zehenspitzen und knetet mit der rechten Hand eine Falte seiner Anzugtasche. Die Einschränkung, er könne seine Hand dafür natürlich nicht ins Feuer legen, will von Hagens vor einem eher als philosophisch zu bezeichnenden Hintergrund verstanden wissen: „Ich bin Wissenschaftler, und als solcher denke ich sehr genau, deshalb sage ich: Ich kann so etwas nie ausschließen, prinzipiell ist alles möglich. Nach gesundem Menschenverstand gehe ich aber davon aus, nie Hingerichtete zu Plastinaten verarbeitet zu haben.“ Er wisse grundsätzlich nicht, wie die Menschen zu Tode gekommen sind, die er präpariere. „Ich vertraue da auf meine Kooperationspartner. Man kann ohne Vertrauen in die Welt nicht arbeiten.“ In der Halle schreibt Zweifel Falten in die Gesichter der Anwesenden, ob „gesunder Menschenverstand“ und „Vertrauen“ als Kategorien ausreichen, um die Vorwürfe zu entkräften.

Warum er überhaupt in China arbeite, erklärt von Hagens mit dem entgegenkommen der dortigen Behörden und Universitäten. „Ich wäre heute noch in Deutschland, wenn mein Antrag auf Anerkennung als Lehrinstitution positiv beschieden worden wäre.“ Von Straflagern, die sich Berichten zufolge im Umland des „Instituts für Plastination der Dalian Medical University“ und der „Von Hagens Dalian Plastination Ltd.“ befinden sollen, wisse er nichts.

Neben den Ausstellungsexemplaren stellen die etwa 200 Mitarbeiter seines Unternehmens auch Präparate für wissenschaftliche Einrichtungen her. „Dafür brauche ich Leichen.“ Von Hagens sieht sich als Opfer einer „Stimmungsmache“, mit der man versuche, die Herstellung anatomischer Präparate zu kriminalisieren. Zur Berichterstattung über die jüngsten Vorwürfe sagte der Mediziner, der in Ostdeutschland aufgewachsen ist: „Mich beschleichen mitunter ostalgische Gefühle. Ich bin es aus der DDR gewohnt, bespitzelt zu werden.“

Dass er die Herkunft seiner Ganzkörperpräparate bei so genannten „herrenlosen Leichen“ nicht belegen könne, liege in der Natur der Sache. Was die „Verwesungsleiche“ erst zum „Präparat“ mache sei unter anderem deren „irreversible Anonymisierung“, erklärte von Hagens. Als Präparat verfüge der Körper über sachenrechtliche Eigenschaften, die den Handel mit anatomischen Präparaten ermöglichen. Gegen „Schicksalsanatomie“, bei der den Plastinaten die Lebensgeschichte der Körperspender beigestellt wird, habe er sich stets gewendet, „weil den Menschen dann die Tränen kommen, und das würde die Ausstellung zu einer Art Big-Brother-Anatomie machen“. Er denke dennoch darüber nach, demnächst das Plastinat einer chinesischen Körperspenderin samt der von ihr verfassten Kurz-Biografie in die Schau aufzunehmen, um für mehr Offenheit zu sorgen.

Auf den Bericht im Spiegel hin hätten seine Mitarbeiter in China eine Inventur der insgesamt 647 Ganzkörperpräparate vorgenommen, die in Dalian in Edelstahlbehältern gelagert werden. Dabei seien sieben Körper gefunden worden, die „Kopfverletzungen“ aufweisen. Obwohl das an sich kein Indiz dafür sei, dass diese Menschen hingerichtet worden sind, werde er, „um auch den leisesten Verdacht auszuschließen“, nach seiner Rückkehr anweisen, diese Körper zu bestatten. Kamerateams begleiten den Abgang des Mediziners, der sich einen Weg durch Menschen und Plastinate bahnt und in einem Nebenzimmer der Ausstellungshalle verschwindet, dessen Tür sich rasch hinter ihm schließt. Auch die Totengräber vor dem Gebäude sind nach Hause gegangen.

Karin Ceballos Betancur[Frankfurt am Main]

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